Wie ich begann zu glauben, dass Peter Lustig recht hatte

Von Robertodelapuente @adsinistram
Mein Flachbildschirm steht in der Ecke. Unangeschlossen. Er sieht gut aus. Keine schlechte Marke. Aber seit vielen Wochen steht er nur herum. Kann mich nur schwer überwinden, den Kasten ans Netz zu nehmen. Das ist ein Gewinn an Lebensqualität.
Ich schaue seit Wochen kein TV mehr. Was ich gucke ist Netflix oder mal was aus der Mediathek. Wenn überhaupt. Den Rest der Zeit höre ich Musik. Radio eher selten. Nur im Auto. Und was soll ich sagen - von Hypes und Überdrehungen kriege ich nichts mehr mit. Ich habe keinen blassen Schimmer, »was Deutschland bewegt«. Aber ich bewege mich trotzdem noch. Mehr als vorher sogar. Ich weiß natürlich, dass die TV-Wirklichkeit weiterläuft und neue Sendungen vereinnahmen Menschen und sie reden darüber und schwatzen sich irre an dem, was sie am Vorabend gesehen haben. Ich zucke nur noch mit den Achseln, kratze mich am Kopf und finde, dass es sich so viel besser lebt ohne Fernsehen und all die ranzigen Gesichter, die einen aus der Glotze heraus anstarren. Man wird auf gewisse Weise autarker. Muss sich keine Agenden mehr diktieren lassen. Widmet sein Interesse den Dingen, die man möchte.

Als zum Beispiel dieses Flugzeugs von Germanwings zerschellte, da habe ich das auch ohne den Kasten realisiert. Manche berichteten, dass ihnen die Berichterstattung im Fernsehen gehörig an den Zeiger ging. Es muss echt schlimm gewesen sein, wie man die Leichenbittermienen zum Gegenstand des abendlichen Berieselungsrituals rekrutierte. Aber ich war fein raus. Ich süffelte Wein und las ein Buch oder guckte mir »Better Call Saul« an. Die Serie erreicht nicht die Qualität von »Breaking Bad« - aber das ist eine andere Sache. Das ist keine Weltvergessenheit meinerseits. Ich habe doch im Radio davon gehört und im Internet zwei, drei oder auch vier Berichte gelesen. Reicht das nicht? Ich hatte keinen Anreiz, mit dem Unglück auch noch meinen Tag zu beenden und die hundertste Experteneinschätzung zu ertragen. Ohne TV ist man auch informiert. Vielleicht nicht weniger. Vielleicht nicht schlechter. Unter Umständen sogar besser.

Peter Lustig hatte recht: Abschalten. Ich habe es als Hosenscheißer nie getan. Mich nervte der Zausel mit seinem Ratschlag, den er stets am Ende seiner Sendung anbrachte. Ich wollte doch fernsehen und mir nicht von einem alten Mann vorschreiben lassen, dass es da draußen auch noch eine Welt gab. Die TV-Welt war auch schön. Man konnte überall hin und musste nicht viel dafür tun. Himmel, ich war ein Kind der Achtziger. Wir verbrachten alle ordentlich Zeit vor der Flimmerkiste. Man parkte uns. Und keiner fand, dass das das Kindeswohl gefährde. Nur die Freaks meinten das seinerzeit. Wahrscheinlich hatten sie recht. Wie Peter Lustig. Aber wenn einer in Latzhosen daherkommt, dann ist es schwer Respekt zu zollen oder Vorschläge als richtig anzuerkennen. Man zeigte solchen den Vogel und zappte rüber ins ORF. Damals hatten wir das noch und da liefen feine Sachen. Die österreichischen Kinder hockten wahrscheinlich noch länger vor dem Kasten. Sie waren Glückspilze so ganz ohne Peter Lustig.
Später wurde ich natürlich selektiver. Ich guckte nicht jede Scheiße. Aber da Fernsehen immer auch bedeutet, die 24 Stunden des Tages mit Content zu füllen, kommt es zwangsläufig zu ordentlichen Schissen. Man entkommt auch als selektiver Charakter nicht. Und dann kommt ja noch der Umstand dazu, dass Fernsehen heute mehr denn je das Wesen von Paranoia und Hype angenommen hat. Wenn man Konsument ist, glaubt man eben irgendwann wirklich, dass der Absturz eines Flugzeuges ein Meilenstein in der jüngeren Geschichte ist und nicht eben nur ein Unfall, wie es ihn geben kann und auf die eine oder andere Weise immer mal gegeben hat.
Ich möchte wirklich empfehlen, das Ding abzustöpseln und in die Ecke zu stellen. Nicht als Lebensmodell. Irgendwann gucke ich auch mal wieder. Wenn ich das nach dieser Katharsis noch kann. Aber ich genieße die Ruhe und höre Depeche Mode, mag den Sound der Ruhe und lausche Simon & Garfunkel. Und diese Empfehlung hat was von passivem Widerstand, wenn man das so sehen mag: Weggucken, weghören, sich ausgewählte Medienangebote sichern und nicht das, was man einem vorsetzt. Es tut wirklich gut. Glaubt das. Man verpasst nichts. Gar nichts. Es gibt ein Leben nach dem Tod, den wir Fernsehen nennen. Abschalten!
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