Wie gelingt nachhaltige Erziehung? – Unser persönliches Ratgeber-Ranking
Das Pädagogische Credo zurzeit lautet ja: Eltern sollen aufhören, ihre Kinder nach Ratgebern zu erziehen und wieder mehr auf ihr Bauchgefühl hören. Und selbstverständlich wollen die meisten von uns keine Helikopter-Eltern sein, die ständig nur damit beschäftigt sind, ihre Kinder zu erfolgreichen, glücklichen Menschen zu formen. Dennoch möchte ich dem entgegen halten. Komplexe Weltzusammenhänge, soziale Unsicherheit, ein demokratischer Erziehungsstil hat uns zu dem gemacht, was wir sind: Die Generation Reflektion.
Und nur, weil wir aufhören Erziehungsratgeber zu lesen, haben wir nicht mehr Vertrauen in unsere eigenen Methoden, hinterfragen ständig unseren Umgang mit den Kindern; hoffen, alles richtig zu machen, unseren Kinder helfen zu können, sich in der Welt zurecht zu finden und zu zufriedenen Menschen zu werden. Wie lebt man seinen Kindern einen nachhaltigen, bürgerlich engagierten Lebensstil vor? Wie gibt man ihnen das Rüstzeug mit, um kritische Konsumenten zu werden?
Die richtige Lektüre
Ich möchte daher dafür plädieren: Liebe Eltern, Ihr müsst nicht aufhören, Erziehungsratgeber zu lesen. Aber lest die RICHTIGEN!
Ich glaube, dass unsere Unsicherheit, unser ständiges Reflektieren auch aus unserer eigenen Erziehung resultiert. Obwohl unsere Eltern hohe Wertvorstellungen hatten, uns keine Gewalt antaten und uns unglaublich liebten, haben sie es nicht geschafft, uns Vertrauen in uns selbst zu vermitteln und unsere eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu unterstützen.
Wenn Erziehungswissenschaftler, eure Eltern und Freunde also raten: Denkt nicht so viel darüber nach, wie ihr mit euren Kindern umgeht und sprecht, sage ich: Doch! Tut genau das! Beobachtet euch und ändert euer Verhalten! Trefft eine eigenverantwortliche Entscheidung und legt die Richtung fest, in die euer Leben und das eurer Kinder gehen soll. Sollen eure Kinder fremdbestimmte, komplett angepasste Konsumenten und Wirtschaftssubjekte werden, oder verantwortungsbewusste und rücksichtsvolle Gesellschaftsmitglieder, die soziale, grüne und wirtschaftliche Nachhaltigkeit leben?
Das Ranking im Ratgeber-Dschungel
Die richtigen Erziehungsratgeber können dabei helfen. Daher hier mein persönliches Ranking:
1. Jesper Juul: Dein kompetentes Kind
„Dein Kompetentes Kind“ ist eigentlich kein Erziehungsratgeber. Es ist ein Buch über gleichwürdiges Familienleben, in dem alle Familienmitglieder die Persönlichkeit und Bedürfnisse der anderen respektieren. Eltern können ihren „Job“ nur dann gut machen, wenn sie mit sich selbst und ihrer Paarbeziehung im Reinen sind und ihre Bedürfnisse artikulieren können. Dabei macht der Ton die Musik! Viel wichtiger als klare Regeln sind der Umgangston, die Atmosphäre des Familienlebens. Wir sollten aufhören unsere Kinder von oben herab zu behandeln und uns stattdessen immer wieder fragen: „Was würden mein Partner oder meine Freunde sagen, wenn ich so mit ihnen reden würde?“ Wichtiger als den Kindern bei der Entwicklung von Selbstvertrauen zu helfen, ist ihr Selbstgefühl zu unterstützen. Das heißt, sie komplett so anzunehmen, wie sie sind, ihre Persönlichkeit zu respektieren, und sie nicht ständig zu bewerten und sie immerzu zum Erlernen von Fähigkeiten ermuntern zu wollen. Und wir sollten nicht vor Konflikten in der Familie zurückschrecken, denn Trauer, Wut und Enttäuschung sind normal und begleiten uns unser Leben lang. Wer frühzeitig einen Weg lernt, sie gesund – ohne komplette Selbstaufgabe, Anpassung, Selbstzerstörung und Gewalt – zu bewältigen, ist auf die Herausforderungen des Lebens bestens vorbereitet.
2. Tom Hodgkinson: Leitfaden für faule Eltern
Tom Hodgkinsons Erziehungsmotto lautet: Weniger ist mehr! Kinder müssen nicht erzogen werden. Wenn man sie in Ruhe lässt, sie nicht ständig mit starren Vorschriften belastet und versucht, zu manipulieren, entwickeln sie sich ganz allein zu selbstständigen, eigenverantwortlichen Persönlichkeiten. Das entlastet zugleich das Familienleben und Erwachsenen-Dasein. Der „Leitfaden für faule Eltern“ setzt dabei auf einen nachhaltigen Lebensstil: Raus in die Natur, kein Plastikspielzeug, zurück zur Gartenarbeit, weg mit kapitalistischer Moralerziehung. Leider verliert sich Hodgkinson bei allen Rufen nach Rebellion und Unabhängigkeit dann doch in immer mehr Regeln und Vorschriften: kein Fernsehen, keine staatlichen Schulen, keine wettbewerbsorientierten Sportvereine, kein Vollzeitjob, keine Fernreisen, usw. Man sollte also nicht alles ganz so verbissen sehen, amüsant ist der „Leitfaden für faule Eltern“ allemal.
3. Annette Bopp & Birgit Krohmer: Der Baby-Guide fürs erste Jahr
Als mein Mann erfuhr, dass wir Eltern werden, ging er am nächsten Tag in einen Buchladen und kam mit dem „Baby-Guide fürs erste Jahr“ zurück. Im Nachhinein eine der besten Investitionen für unser Kind überhaupt. Das Buch plädiert für einen natürlichen, ursprünglichen Umgang mit Kindern, zu dem es nur wenig Schnick-Schnack, sondern vor allem Einfühlungsvermögen braucht. Von Geburt und Rückbildung, über Säuglingspflege, Ernährung, Gesundheit, bis hin zu Partnerschaft und Sexualität wird hier alles umfassend und umsichtig thematisiert. Das Buch stößt allerdings an seine Grenzen bei Kindern, die nicht ganz so pflegeleicht sind. Dass ein Kind trotz ständigem Tragen, Kuscheln im Familienbett, osteopathischer Unauffälligkeit und einer innigen Stillbeziehung stundenlang schreit und kaum schläft, ist bei Annette Bopp & Birgit Krohmer nicht vorgesehen (kann in der Realität aber vorkommen).
Spezial-Thema: Erziehungsratgeber für Väter
Thomas Gesterkamp: Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere
Ja, auch Väter haben Probleme Familie, Beruf, Flexibilität, Mobilität, verschiedene Rollenerwartungen und Ansprüche an sich selbst unter einen Hut zu bekommen. Thomas Gesterkamp behandelt das Thema sehr vielfältig, selbstkritisch und reflektiert, nimmt „den armen gestressten Mann“ nicht pauschal in Schutz, zeigt aber wo sich in Betrieben, Familien und der Gesellschaft Anforderungen und Erwartungen ändern müssen und was der einzelne dafür tun kann. Praxisnahe Tipps zur Kindererziehung sind rar, dafür gibt’s eine umfassende Betrachtung der Rolle des Vaters in der heutigen Zeit.
Spezial-Thema: Gesundheit
Dr. med. Franziska Rubin: Meine sanfte Medizin für Kinder – mit Hausmitteln natürlich behandeln und heilen
Ich weiß, viele von uns kennen “die Franzi” noch mit bunten Haaren und lustigen Klamotten als eine der ersten Moderatoren im Kinderkanal – und stellen ihre Vertrauenswürdigkeit als Ärztin daher partout in Frage. Dennoch ist ihr mit „meine sanfte Medizin für Kinder“ ein umfassender Gesundheitsratgeber gelungen für alle, die nicht immer gleich zu Zäpfchen, Ibuprofensaft und Nasivin greifen wollen. Für jedes Wehwehchen gibt es hier ein Kügelchen, aber auch viel Wissen darüber, was Kindern im Krankheitsfall sonst noch so hilft und gut tut.
Spezial-Thema: Spielen
GU Ratgeber Kinder: PEKIP spielerisch fördern
Für alle, die ihr Baby nicht jeden Tag zu einem anderen reizüberflutenden Kurs schleppen wollen, aber trotzdem Anregungen für altersgerechte Spiele suchen, ist dieses Buch wärmstens zu empfehlen. Ohne viel Schnick-Schnack kann man Baby und vor allem auch sich selbst tolle Abwechslung bieten und die Mobilität fördern. Das wichtigste dabei: Baby ist nackt und hat „Quality-Time“ mit Mama oder Papa.
Spezial-Thema: Schlafen
Angelika Schlarb: Mini-Kiss, Das Elterntraining für Kinder bis 4 Jahre mit Schlafstörungen
Dieses Buch ist eigentlich ein Begleit- und Arbeitsbuch zum Trainingsprogramm Mini-KiSS der Uni Tübingen. Viele Anregungen und Hilfen sind aber auch für verzweifelte Eltern weit weg von Tübingen nützlich und zu empfehlen. Mini-Kiss zeigt vielfältige Lösungen und Alternativen fern ab vom herkömmlichen Schlaftraining auf, betrachtet immer die Familien-Gesamt-Situation und nimmt alle Beteiligten und deren Verantwortung an Schlafstörungen sehr ernst, ohne jemanden die Schuld aufzubrummen.
Annette Kast-Zahn, Hartmut Morgenroth: Jedes Kind kann schlafen lernen
Statt mich in die Reihe der Moralapostel und Schlaftrainings-Hetzer einzureihen, möchte ich euch kurz von unserer persönlichen Erfahrung mit dem Buch berichten. Möget ihr eure eigenen Schlüsse daraus ziehen.
Nach 15 Monaten, in denen mein Mann und ich maximal 3 Stunden am Stück geschlafen hatten, keine Besserung vom nächtlichen stundenlangen Schrei-Terror in Sicht war und wir ALLES andere probiert hatten, waren wir am Ende unserer Kräfte, Möglichkeiten, Zuversicht. Vier qualvolle Ferber-methodisch-korrekte Nächte später schlief unser Sohn durch und zeigte tagsüber keine offensichtlichen psychischen Schäden. 14 Tage später kam allerdings der nächste Zahn, das Glück war vorbei und das ganze Spiel sollte von vorn beginnen. Nach zwei Stunden ferbern kam mein Mann verzweifelt aus dem Kinderzimmer und verkündete, dass er diese Tortur nicht noch einmal durchstehen könnte und wir beendeten das Schlaftrainings-Experiment. Seitdem schlafen wir wieder zu dritt mehr oder weniger gut im Elternbett, sind oft übermüdet und gereizt, müssen aber kein schlechtes Gewissen mehr haben, dass wir unseren verzweifelten Sohn allein mit seinen Gefühlen und bleibender Frustration im Kinderzimmer zurück lassen.
Nicht zu empfehlende Bücher:
Achim Schad: Kinder brauchen mehr als Liebe – Klarheit, Grenzen, Konsequenzen
Dieser Erziehungsratgeber ist nicht grundsätzlich schlecht oder nicht zu empfehlen. Viele Tipps und Beispiele in Sachen Essen oder Schlafen sind sehr praxisnah und einleuchtend. Dennoch finde ich, dass die Worte Macht, Hierarchie, Konsequenzen und Pflichten im Familienleben nicht überstrapaziert werden sollten. Insgesamt finde ich das Buch wenig einfühlsam. Es behandelt Kinder von oben herab und zeigt, wie Menschen lernen, in vorgegebenen Situationen zu funktionieren.
Charles Fernyhough: Das Kind im Spiegel, Wie Bewusstsein entsteht – die ersten drei Lebensjahre
In diesem Buch stehen bestimmt viele nützliche und kluge Dinge. Allerdings habe ich es nie geschafft über Seite 50 hinaus zu kommen. Nun ist meine Langeweile sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass ich bereits relativ viel über Psychologie und Bewusstseinsbildung weiß. Dennoch konnte mich der persönlich und auch oft poetische Erfahrungsbericht von Fernyhough auch sprachlich und stilistisch einfach nicht mitreißen.