Wie geht es eigentlich Joachim?

Erstellt am 19. September 2014 von Albertus
Derzeit übe ich mich gerade im Verfassen von Kurzgeschichten, derer zwei sind fertiggeschrieben. Bei der dritten, die um einiges länger wurde als die ersten beiden, bin ich derzeit in der Endphase des Strukturierens. Um den ein oder anderen "Kunstgriff" komme ich freilich nicht umhin, aber auch das macht Spaß – und verwundert manchmal sogar richtig. Denn es zeigt sich auch beim Schreiben, dass weniger oft mehr ist. Außerdem kann man, wenn man einen (neuen, kurzen) Satz an der richtigen Stelle positioniert, zwei ganze Absätze mit Schwung auf logischen Stil bringen. Unten lest ihr eine kleine Kostprobe aus meiner zweiten Kurzgeschichte.
Kurzgeschichte (Auszug)
Der rote Joachim
 

„Ich habe alle Überwartungen getäuscht“, lallte Joachim in den Hörer. Am anderen Ende der Leitung stand Monika, und wunderte sich nicht mehr über das Betragen ihres Mannes. Wenn er zuviel getrunken hatte, begann er seine Umwelt regelmäßig mit stark reizorientierten semantischen Verstrickungen zu malträtieren, um einerseits seine, wie er sagte besondere Fähigkeit in diesen Belangen zu exponieren, und andererseits, um egozentrischen Argumentationen „den Pesthauch der individuellen Identität zu nehmen.“ Monika liebte ihren Mann, aber wenn er auf Drogen war, konnte er unerträglich werden. Diesmal war es wieder soweit.
Joachims Wesen war eigentlich ein recht liebenswürdiges. Er hatte nie geraucht (außer hie und da einen Joint), andere Frauen interessierten ihn nicht, und sein Job – er arbeitete als Psychotherapeut in der Landwirtschaftskammer – war sein Ein und Alles. Ausgenommen Monika natürlich. Sie hatte er bei einem Ausflug mit „rekonvaleszenten“ Jungbauern kennengelernt, die nach einem Burn-Out – die stressigen Foto-Arbeiten am neuen, erotisch angelegten Bauernkalender brachten die bodenständigen und bausbackigen Buben beim scharfen Posing mit den professionellen und halbnackten Models völlig aus der Fassung – in einer Therme auf Genesungstour waren. Als er Monika damals an der Rezeption erblickte, schlug es bei ihm ein wie der Blitz. Vergessen war die Jungbauern-Schar hinter seinem Rücken, und das nicht nur zum nachträglichen Leidwesen eines Unbeaufsichtigten seiner Gilde, der in einer Bademeisterin des Hauses ein Model aus jenen verheißungsvollen Tagen wiederzuerkennen meinte, und jener, sich nun nicht mehr unter den dienstlichen Fittichen der Kammer sondern privat wähnend, mit einer Hand und einem wahrlich saublöden Grinsen im Gesicht an den Bikini-Hintern klatschte. Eine Anzeige war die Folge.
Noch heute wird dieses Erlebnis sowohl von Monika als auch von Joachim in schwierigen Momenten der Ehe gerne als willkommene und beziehungskittende Anekdote herangezogen, und immer wieder können während dem Auswalzen des Themas neue Details gefunden werden – manche Abnormität wird aber wohl nur in den Einbildungen der beiden leben.

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Schreiben und lesen kann atomar gefährlich sein. (Hadschi 2009)