Wie es beginnt: Die ersten Sätze… Buchanfänge

Von Ralf Boscher @RalfBoscher


Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne… so Hermann Hesse. Jedem Anfang? Der Anfang eines Buches kann in der Tat etwas Zauberhaftes sein – wenn er denn gelingt. Denn dann legt der Leser das Buch nicht zur Seite, sondern blättert neugierig geworden um. Gelingt er besonders gut, zieht er den Leser gleich ins Buch hinein – in eine andere Welt. Der Zauber der Literatur beginnt zu wirken.

Hier einige erste Sätze aus Büchern, die ich vor kurzem gelesen habe bzw. im Moment lese:

Die aufrührerischen Engel fielen, in Girlanden aus Feuer gehüllt. Und als sie niederfuhren und durch die Leere stürzten, waren sie verflucht, wie die frisch Erblindeten verflucht sind, denn so wie die Dunkelheit für diejenigen umso schrecklicher ist, die das Licht gekannt haben, wird der Verlust der Gnade von jenen viel schmerzhafter wahrgenommen, die sich einst in ihrem Glanze sonnten. (Der brennende Engel, John Connolly).

„Verdammt!“ Bettina Berg riss die Augen auf. Sie durfte nicht einschlafen. Noch nicht. Mit zu Fäusten geballten Händen rieb sie sich die Augen, was aussah, als hielte sie sich ein imaginäres Fernglas vors Gesicht. Wo war Auer? (Sünders Fall (Berg und Thal Krimi), Béla Bolten).

Am zweiten Tag der Dunkelheit hatte man sie alle erwischt. Die Besten, die Klügsten. Die Mächtigen, die Reichen, die Bedeutenden. Abgeordnete und Minister, Wirtschaftsbosse und Intellektuelle, Oppositionsführer und andere Berühmtheiten. Aber sie wurden nicht verwandelt. Sie wurden getötet. (Die Nacht, Guillermo del Toro / Chuck Hogan).

Nie war mir der Applaus so zuwider gewesen. Auch bei unserer einzigen Fernsehaufzeichnung nicht, als ein überflüssiger Animateur dem Studiopublikum signalisierte, wann und wie es reagieren sollte. Der Applaus im Flugzeug schmerzte. Dabei war die Boeing 737 bestenfalls zur Hälfte besetzt, aber es klang, als wollten das die Rentner mit maßlos übertriebenem Beifall ausgleichen. (Chiliherzen, Jürgen Schmidt / Sandra Wagner).

„Du dämliche Sau!“ Leif war traurig, aber noch viel zorniger, als sein Benz-Cabrio nach einer weiteren sinnlos vervögelten Nacht über die Autobahn in Richtung Hamburg rauschte. Neben ihm auf dem Beifahrersitz räkelte sich der Cowboy zufrieden im Ledersitz. „Mach mal halblang, Alter, war doch gar kein übler Fick.“ (Midleifcrisis: Als meine Frau mich hinauswarf und ich mit 117 anderen schlief, Leif Lasse Andersson).

Die Polizei von Niceville brauchte nicht einmal eine Stunde, um die Person zu finden, die den Jungen zuletzt gesehen hatte: Alf Pennington. Sein Antiquariat lag an der North Gwinnett, nicht weit von der Kreuzung Kingsbane Walk, auf dem normalen Schulweg des Jungen, der Rainey Teague hieß. (Niceville, Carsten Stroud)

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Hier noch die ersten Sätze aus Lieblingsbüchern von mir:

Garps Mutter, Jenny Fields, wurde 1942 in Boston festgenommen, weil sie einen Mann in einem Kino verletzt hatte. Es war kurz nachdem die Japaner Pearl Harbor bombardiert hatten, und die Leute waren tolerant gegen Soldaten, weil plötzlich jeder Soldat war, aber Jenny Fields blieb fest in ihrer Intoleranz gegen das Benehmen von Männern im allgemeinen und Soldaten im besonderen. (Garp und wie er die Welt sah, John Irving).

Louis Creed, der als Dreijähriger seinen Vater verloren und seinen Großvater nie gekannt hatte, wäre niemals auf den Gedanken gekommen, in seinen mittleren Jahren einen Vater zu finden; aber genau das geschah – auch wenn er diesen Mann seinen Freund nannte, was ein Erwachsener im allgemeinen tun muß, wenn er den Mann, der eigentlich sein Vater sein sollte, relativ spät im Leben trifft. (Friedhof der Kuscheltiere, Stephen King).

Dieses Buch enthält die uns gebliebenen Aufzeichnungen jenes Mannes, welchen wir mit einem Ausdruck, den er selbst mehrmals gebrauchte, den „Steppenwolf“ nannten. (Der Steppenwolf, Hermann Hesse).

Eines Abends, ungefähr fünf Jahre nach Bettys Tod, da dachte ich, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Und darauf war ich nun weiß Gott nicht gefaßt. (Verraten und verkauft, Philippe Dijan).

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Und hier noch die ersten Sätze aus meinen Romanen:

Der Eingriff war ohne Komplikationen verlaufen. Als Tanja aus der Narkose erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Um sie herum war Dunkelheit. Sie versuchte, sich aufzusetzen. Den Schmerz, den diese langsame Bewegung auslöste, nahm sie im ersten Moment nur undeutlich wahr, fast so, als wäre dies nicht ihr Schmerz. (Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe Tod und Teufel, Ralf Boscher).

Den ersten Brief, den ich erhielt, empfand ich nicht als beunruhigend. Er war an die Anschrift meiner Eltern adressiert. Kein Absender. Nur die Adresse, darüber mein Name in dicken, schwarzen Druckbuchstaben auf weißem Briefumschlag. (Abschied ist ein scharfes Schwert. Mordsroman, Ralf Boscher)