Wie einstmals Cánovas und Sagasta

Von Robertodelapuente @adsinistram
Die erste europäische Postdemokratie und ihre Folgen.
Wer sich mit der neueren spanischen Geschichte etwas auskennt, mit der Zeit des Restaurationssystems um es genauer zu sagen, der hat vielleicht den Begriff "Pardo-Pakt" oder "Pacto del Pardo" schon mal gehört. Er ist die Überschrift zu einer parteiübergreifenden Scheindemokratie, die ab 1885 das restaurative Spanien prägte.
Als König Alfonso XII. im genannten Jahr starb, war sein Sohn noch nicht mal geboren. Seine Witwe Maria Christina übernahm bis zu dessen Amtsfähigkeit die Regentschaft. Um die Monarchie in dieser schweren Zeit zu sichern, kamen die Liberalen und die Konservativen, die beiden großen Parteien dieser Epoche, zu einer Vereinbarung. Sie beschlossen, ihren Parteienstreit und jeglichen Wahlkampf einzustellen. Der Pakt, der im königlichen Palast El Pardo geschmiedet wurde, sah vor, die Wahlergebnisse so zu fälschen, dass es bei jeder Wahl einen Regierungswechsel zwischen den beiden "Vertragspartnern" gibt. Die Liste der Regierungspräsidenten dieser Zeit liest sich dann auch monoton einfach: Cánovas, Sagasta, Cánovas, Sagasta, Cánovas ...

Diese zwischenparteiliche Vereinbarung, sich gar nicht erst mit verschiedenen politischen Positionen und Ansichten aufzuhalten, sondern sich aus Gründen einer übergeordneten Sache zu einigen, kennen wir heute gewissermaßen auch. Oder anders gesagt: Das Spanien des Pardo-Paktes war vielleicht die erste Postdemokratie, die dieser Kontinent je gesehen hat.
Natürlich war das Spanien vor diesem Pakt keine Musterdemokratie, an die wir den Maßstab der Gegenwart legen könnten. Es gab ja bloß ein Zensuswahlrecht, das nur wenige Wahlberechtigte zuließ. Später etablierte man dann ein Männerwahlrecht und vergrößerte so die Zahl derer, die wählen durften. Dieser kleine Wählerwillen wurde aber gleichwohl verfälscht. Wobei klar ist, dass man die Manipulation des Wahlergebnisses von damals nicht mit der heutigen Leichtfertigkeit verwechseln darf, mit der man das Votum "austrickst". Und um die Monarchie geht es heute auch nicht mehr. Heute handelt es sich um das gekrönte Haupt einer ökonomischen Lehre, die wir Neoliberalismus nennen. Lang lebe der König - der König lebt zu lang!
Cánovas' Konservative und Sagastas Liberale vereinbarten also, dass dieses bisschen Demokratie, das innerhalb dieser Ära namens Zweiten Restauration zugestanden wurde, auch noch zugunsten einer übergeordneten Sache von außerordentlicher Wichtigkeit geopfert wurde. Und das ohne, dass man den Menschen ihre kleine demokratische Freude vermieste und ihnen das Wahlrecht entzog. Sie durften ja wählen, auch wenn sie keine Wahl hatten.
Gabriel ist kein Sagasta und Merkel keine Cánovas - die Geschichte ist zu komplex, als dass sie auch nur Episoden zuließe, die sich ähnlich sind. Aber diese Idee einer demokratischen Struktur, die erhalten bleiben und die trotzdem nicht als Störenfried vorgeordneter Interessen fungieren soll, die ist dem heutigen Konzept von Demokratie schon ähnlich. Zeiten, da eine Kanzlerin ohne rot zu werden etwas von der marktkonformen Demokratie erzählen kann, sind soziologisch betrachtet verwandt mit der Regentschaftszeit Maria Christinas. Man kann sich als moderner Mensch vorstellen, wie Cánovas einigen Hofberichterstattern in den Notizblock diktierte, dass der Konstitutionalismus eine Art von monarchiekonformer Demokratie sein muss.
Der Pardo-Pakt hielt bis Anfang der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Liberale und Konservative wechselten sich in der Regierung ab und unterdrückten allerlei moderne Entwicklungen innerhalb der spanischen Gesellschaft, konservierten miteinander ein System, das schon lange am Ende war. Dann glitt man in die Diktatur Primo de Riveras ab. Das Spanien des Pardo-Paktes hat stumpf gemacht, die spanische Bevölkerung entpolitisiert und den Boden bereitet für Romantizismen von der einen starken Hand, die das Durcheinander des Staates regelt. Ein kurzes Zwischenspiel genannt Zweite Republik führte in Bürgerkrieg und abermals in die Diktatur.
Der Pakt, der die politische Streitkultur aufhob und eine Anpassung der beiden etablierten Parteien aneinander fast vorschrieb, hat den Widerstand gegen diktatorische Tendenzen nicht nur faktisch aufgehoben, sondern sogar noch begünstigt. Ich schrieb vor einiger Zeit, dass Postdemokratie immer auch Prädiktatur sei. Was nach dem Pakt von Pardo kam, bestätigt dies. So weit sind wir in unserer postdemokratischen Wirklichkeit noch nicht vorangeschritten. Hoffen wir das Beste.
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