Das hart umstrittene Gesetz zur Reform der Sozialhilfe (Welfare Reform Bill) ist zu Beginn dieses Monats in Großbritannien verabschiedet worden. Das Gesetz führt eine jährliche Begrenzung auf Gewinne ein und ändert viele Zahlungen des bisherigen britischen Sozialhilfe-Systems. Premier David Cameron bezeichnet Reform als die größte Revolution des Wohlfahrtstaates in den letzten 60 Jahren.
Polly Toynbee ist Journalistin bei der Zeitung “The Guardian”. Davor war sie Redakteurin bei der BBC für soziale Angelegenheiten. Sie ist somit höchst qualifiziert zu erklären, was diese etwas undurchsichtig “Revolution” für den britischen Staatsbürger bedeutet. Nach ihrer Ansicht wird die britische hart arbeitende Bevölkerung zu Anfang April den Schock fürs Leben erfahren: “Ab 6. April werden bereits schlecht bezahlte Paare mit Kindern mit einem Jahreseinkommen von £17,000 (ca. 20.300 Euro) kolossale £3.870 (ca. 4.600 Euro) Verluste an Steuergutschriften haben. Wo bisher in der Familie jemand 16 Stunden in der Woche arbeiten musste, muss jetzt 24 Stunden gearbeitet werden oder man verliert die Steuergutschrift. Was, wenn es aber keine zusätzliche Arbeitsstunden gibt? Hunderttausende dieser Haushalte mit 470.000 Kindern werden in genau dieser Falle sitzen. Die meisten wollen schon seit langem mehr Stunden arbeiten. Der britische Gewerkschaftsdachverband TUC spricht von 1,3 Millionen teilzeitbeschäftigten Personen, die Vollzeit-Arbeitsplätze suchen. Die Zahlen der Regierung bezüglich der Menschen, die Arbeit haben, unterlassen es hinzuzufügen, dass die meisten davon Teilzeitarbeitsplätze sind. Eigentlich sind diese Opfer der Reform genau die Menschen, die die Konservativen so loben – keine kinderlosen Ehepaare, sondern arbeitende Paare mit Kindern, die sich jeden Tag abkämpfen, um keine Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Wird dieser enormer Einkommensverlust aus dem politischen Alltag verschwinden – oder werden die Wähler es entdecken und schockiert sein?”, fragt sich Polly Toynbee.
Polly Toynbee schildert den konkreten Fall einer solchen Familie: “Gill und Tony haben 3 Kinder und haben bis vor kurzem Vollzeit gearbeitet. Tony in einer Druckerei, Gill als Fachkraft für häusliche Pflege. Aber als ihr jüngstes Kind geboren wurde mit mehrfachen Behinderungen, die viele Operationen erforderten, gab Gill ihre Arbeit auf. Wegen sinkender Geschäfte im Druckereibereich verlor Tony seinen Arbeitsplatz und konnte nur noch einen 18-Stunden-Arbeitsplatz in einem Supermarkt finden. Er ist ständig auf der Suche nach Erhöhung seiner Arbeitsstunden, aber das machen viele andere auch: in Liverpool gibt es 8,5 Bewerber für eine freie Stelle. Wenn sie nicht mehr arbeiten können, werden sie etwa £300 an Steuergutschriften im Monat verlieren. Sie bezahlen monatlich eine £347-Rate für die Hypothek auf ihrem kleinen Haus und haben Angst ihre Wohnung zu verlieren. Die Zahlen zeigen, dass es besser wäre, wenn sie gar nicht arbeiten würden, denn dann würden sie Wohnungsgeld bekommen.”
Eine seltsame Reform. Es geht darum, einem großen Teil der Bevölkerung das Wenige an lebensnotwendigem Einkommen zu nehmen, das sie noch hat. Es gibt zwar Proteste, die insbesondere von den Kirchen und auch der Occupy-Bewegung kommen. Aber warum so wenig Protest der Betroffenen? Noch einmal Polly Toynbee: “Die Reform wurde überdeckt von Geschichten über Schnorrer, so dass die meisten Menschen keine Idee haben, welche Brutalität in ihrem Namen vorbereitet wurde. Die BBC hat völlig versagt dabei, die Nation richtig zu informieren, indem sie die “Schnorrer-Geschichten” mit schlecht terminierten Dokumentationen über Arbeitsscheue garnierte. Während die Zahl der Arbeitslosengeld beantragenden Personen gegen 3 Millionen geht und 6,3 Million versuchen aus ihrer Teilzeitbeschäftigung zu kommen, folgt die Regierung der Ansicht einer seltsamen Soziologie, indem sie von einer Epidemie der Faulheit spricht und dabei die schlimmste Rezession seit 1930 ignoriert”.
Informationsquelle
Welfare Reform Bill passes final House of Lords hurdle – BBC
Tax credit cut will hit hardest those the Tories love to praise – working families – The Guardian
Polly Toynbee ist Journalistin bei der Zeitung “The Guardian”. Davor war sie Redakteurin bei der BBC für soziale Angelegenheiten. Sie ist somit höchst qualifiziert zu erklären, was diese etwas undurchsichtig “Revolution” für den britischen Staatsbürger bedeutet. Nach ihrer Ansicht wird die britische hart arbeitende Bevölkerung zu Anfang April den Schock fürs Leben erfahren: “Ab 6. April werden bereits schlecht bezahlte Paare mit Kindern mit einem Jahreseinkommen von £17,000 (ca. 20.300 Euro) kolossale £3.870 (ca. 4.600 Euro) Verluste an Steuergutschriften haben. Wo bisher in der Familie jemand 16 Stunden in der Woche arbeiten musste, muss jetzt 24 Stunden gearbeitet werden oder man verliert die Steuergutschrift. Was, wenn es aber keine zusätzliche Arbeitsstunden gibt? Hunderttausende dieser Haushalte mit 470.000 Kindern werden in genau dieser Falle sitzen. Die meisten wollen schon seit langem mehr Stunden arbeiten. Der britische Gewerkschaftsdachverband TUC spricht von 1,3 Millionen teilzeitbeschäftigten Personen, die Vollzeit-Arbeitsplätze suchen. Die Zahlen der Regierung bezüglich der Menschen, die Arbeit haben, unterlassen es hinzuzufügen, dass die meisten davon Teilzeitarbeitsplätze sind. Eigentlich sind diese Opfer der Reform genau die Menschen, die die Konservativen so loben – keine kinderlosen Ehepaare, sondern arbeitende Paare mit Kindern, die sich jeden Tag abkämpfen, um keine Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Wird dieser enormer Einkommensverlust aus dem politischen Alltag verschwinden – oder werden die Wähler es entdecken und schockiert sein?”, fragt sich Polly Toynbee.
Polly Toynbee schildert den konkreten Fall einer solchen Familie: “Gill und Tony haben 3 Kinder und haben bis vor kurzem Vollzeit gearbeitet. Tony in einer Druckerei, Gill als Fachkraft für häusliche Pflege. Aber als ihr jüngstes Kind geboren wurde mit mehrfachen Behinderungen, die viele Operationen erforderten, gab Gill ihre Arbeit auf. Wegen sinkender Geschäfte im Druckereibereich verlor Tony seinen Arbeitsplatz und konnte nur noch einen 18-Stunden-Arbeitsplatz in einem Supermarkt finden. Er ist ständig auf der Suche nach Erhöhung seiner Arbeitsstunden, aber das machen viele andere auch: in Liverpool gibt es 8,5 Bewerber für eine freie Stelle. Wenn sie nicht mehr arbeiten können, werden sie etwa £300 an Steuergutschriften im Monat verlieren. Sie bezahlen monatlich eine £347-Rate für die Hypothek auf ihrem kleinen Haus und haben Angst ihre Wohnung zu verlieren. Die Zahlen zeigen, dass es besser wäre, wenn sie gar nicht arbeiten würden, denn dann würden sie Wohnungsgeld bekommen.”
Eine seltsame Reform. Es geht darum, einem großen Teil der Bevölkerung das Wenige an lebensnotwendigem Einkommen zu nehmen, das sie noch hat. Es gibt zwar Proteste, die insbesondere von den Kirchen und auch der Occupy-Bewegung kommen. Aber warum so wenig Protest der Betroffenen? Noch einmal Polly Toynbee: “Die Reform wurde überdeckt von Geschichten über Schnorrer, so dass die meisten Menschen keine Idee haben, welche Brutalität in ihrem Namen vorbereitet wurde. Die BBC hat völlig versagt dabei, die Nation richtig zu informieren, indem sie die “Schnorrer-Geschichten” mit schlecht terminierten Dokumentationen über Arbeitsscheue garnierte. Während die Zahl der Arbeitslosengeld beantragenden Personen gegen 3 Millionen geht und 6,3 Million versuchen aus ihrer Teilzeitbeschäftigung zu kommen, folgt die Regierung der Ansicht einer seltsamen Soziologie, indem sie von einer Epidemie der Faulheit spricht und dabei die schlimmste Rezession seit 1930 ignoriert”.
Informationsquelle
Welfare Reform Bill passes final House of Lords hurdle – BBC
Tax credit cut will hit hardest those the Tories love to praise – working families – The Guardian