„Soz - Sozialistische Zeitung“, September 2010
Umweltschützer in den USA schlagen Alarm: Die neuen Richtlinien zu Tiefseebohrungen, die am 16. August vom von der US-Regierung erlassen wurden, sollten eigentlich eine umfassende Verschärfung der Sicherheitsstandards und deren strickte Überwachung mit sich bringen. Doch stattdessen seien wiederum „Schlupflöcher“ in die neuen Regelungen zur Ölförderung auf hoher See eingebaut worden, monierten Umweltaktivisten gegenüber dem US-Blatt Christian Science Monitor (CSM). Sobald in ein paar Monaten das derzeitige Moratorium für Tiefseebohrungen im Golf von Mexiko aufgehoben werde, könnten neue Bohrlizenzen auf Grundlage einfacher „Umwelteinschätzungen“ (Environmental Assessment) erteilt werden, warnte Richard Charter von der Umweltschutzorganisation Defenders of Wildlife.
Bei diesen „Umwelteinschätzungen“ handele es sich Charter zufolge um „oberflächliche Dokumente von wenigen Seiten Umfang“, deren Anfertigung leicht zu einer bloßen Formalität verkommen könne. Notwendig wären hingegen umfangreiche Umweltstudien bei der Vergabe künftiger Bohrgenehmigungen, so der Umweltaktivist. Obwohl der amerikanische Innenminister Ken Salazar Mitte August abermals beteuerte, dass die künftigen Bohrgenehmigungen auf Grundlage „vollständiger Informationen“ über deren „potentielle Konsequenzen für die Umwelt“ erteilt werden sollen, sind gerade diese als „Environmental Impact Statement“ bezeichneten, umfangreichen Umweltstudien in den neuen Regelungen nicht ausdrücklich vorgesehen.
Die neuen Richtlinien, die als Konsequenz aus der größten Ölkatastrophe in der bisherigen US-Geschichte eine Verschärfung der Sicherheitsstandards versprachen, bleiben also in einem wichtigen Punkt wage und zahnlos. Somit scheinen sich die Investitionen in zusätzliche Lobbyarbeit ausgezahlt zu haben, die von der einflussreichen amerikanischen Öllobby nach Ausbruch der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko in Washington getätigt wurden. Wie die Los Angeles Times (LAT) am 21. Juli meldete, hat allein die wichtigste Lobbygruppe der Ölindustrie, das American Petroleum Institute, seine Ausgaben für Lobbytätigkeit nahezu verdoppelt. Nach der verhängnisvollen Explosion auf der Ölplattform Deepwater Horizon am 20. April habe laut LAT das American Petroleum Institute allein binnen dreier Monate an die 2,3 Millionen US-Dollar zur Beeinflussung der politischen Willensbildung in Washington ausgegeben.
Der Verursacher der gigantischen Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, der Ölmulti BP, verfügt bereits seit Jahren über beste Kontakte in höchste US-Regierungsstellen. Nach dem 20. April verstärkte der Energiekonzern nochmals seine Präsenz in Washington, indem er weitere Lobbyfirmen, Anwaltskanzleien und Public-Relations-Experten unter Vertrag nahm. Dabei verlässt sich der Konzern zumeist auf Politveteranen, die über beste Kontakte zur derzeitigen Administration verfügen. So vertritt beispielsweise die Anwaltskanzlei WilmerHale BP vor den anstehenden Untersuchungsausschüssen der Regierung und des Kongresses. WilmerHale befindet sich in Besitz von Jamie Gorelick, die in der Clinton-Administration den Posten der stellvertretenden Generalstaatsanwältin bekleidete. Ähnlich verhält es sich auch mit der für BP tätigen Lobbyfirma Duberstein Group, die von Ken Duberstein, einem engen Berater von Präsident Ronald Regen, geleitet wird. Die von BP angeheuerte Lobbykanzlei Podesta Group befindet sich hingegen im Besitz von Tony Podesta, dem Bruder von John Podesta, den ehemaligen Staatschef des Waisenhauses unter Bill Clinton. John Podesta spielte auch eine wichtige Rolle bei der Ausformung des Wahlkampfteams des derzeitigen US-Präsidenten Barack Obama.
Im zweiten Quartal 2010 stiegen BPs direkte Ausgaben für Lobbytätigkeiten – die nach amerikanischer Gesetzeslage öffentlich gemacht werden müssen – beim Kongress um 6,3 % gegenüber dem Vorquartal auf 1,7 Millionen US-Dollar, wobei ein Schwerpunkt der Lobbytätigkeit gerade bei der Beeinflussung der neuen Richtlinien zu Tiefseebohrungen gelegen haben soll. Das Wall Street Journal (WSJ) meldete am 27. Mai, dass der Ölmulti vor allem „eine dramatische und teure Verschärfung dar Regeln“ bei der Ölförderung auf hoher See fürchte: „Das Unternehmen will Einschränkungen bei neuen Bohrungen vermeiden“, erklärten Lobbyisten gegenüber dem WSJ.
Generell gilt BP als einer der lobbyfreudigsten Ölkonzerne, der laut dem WSJ seit 2004 circa 625 Millionen US-Dollar zur Durchsetzung seiner Interessen in Washington einsetzte. Die gesamte Öl- und Gasindustrie spendete Angaben der Nichtregierungsorganisationen Centers for Responsive Politics zufolge allein in 2008 an die 132 Millionen US-Dollar an die Politik.Dementsprechend löchrig sind bereits alle Richtlinien und Gesetze, die das Geschäftsfeld mächtigen amerikanischen Energiemultis auch nur im entferntesten tangieren. Die persönliche Verfilzung zwischen Politik und Kapital war insbesondere bei der für die Energiebranche zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Mineral Management Service (MMS), so weit fortgeschrittenen, dass diese umstrukturiert und am 21. Juni in das Bureau of Ocean Energy Management, Regulation and Enforcement umbenannt werden musste. Die Korruption im MMS wurde durch seine weitverzweigten Zuständigkeiten befördert, da diese Behörde für die Sicherheitsstands und Umweltauflagen bei der Ölförderung genauso zuständig war, wie für die Lizenzeinnahmen auf der Förderung von Energieträgern. Der Interessenkonflikt war somit vorprogrammiert: Niedrigere Umweltstandards und Sicherheitsvorkehrungen bedeuteten im Umkehrschluss höhere Einnahmen – zuletzt waren es circa 13,7 Milliarden US-Dollar jährlich.
Die größte Handlungsfreiheit konnte die amerikanische Ölindustrie während der Regentschaft des konservativen US Präsidenten George W. Busch erringen. Während dieser Ära konnten Ölkonzerne oftmals ohne Anfertigung jedweder Umweltstudie mit neuen Bohrungen beginnen. Im Rahmen von Ausnahmegenehmigungen (sogenannten “categorical exclusion”) durften neue Gas- und Ölbohrungen auf öffentlichem Gelände im Schnellverfahren aufgenommen werden, sofern in derselben Region bereits Energieträger gefördert worden. Dieser Gummi-Paragraph kam bei Tausenden von Genehmigungsverfahren zur Anwendung.
Doch auch unter Präsident Barack Obama blieb beispielsweise die eigentlich von MMS auszuübende Aufsicht über die Ölbranche rein symbolisch. Die Behörde verließ sich vielmehr auf die Selbstüberwachung und Selbstregulierung durch die Energiekonzerne, obwohl die Störfälle bei der Energiegewinnung in den USA sich zuletzt häuften. So kam die New York Times (NYT) in einem Artikel Anfang Mai auf 1433 schwere Zwischenfälle in dem Zeitraum von 2001 bis 2007, bei denen 41 Menschen zu Tode kamen und 302 verletzt worden. In 356 Fällen trat hierbei Rohöl in größeren Mengen aus. „Dennoch fährt die föderale Agentur damit fort, der Industrie zu erlauben, sich größtenteils selbst zu überwachen“, konstatierte die NYT. Zur Begründung habe der MMS erklärt, „dass die besten technischen Experten für die Industrie arbeiten, und nicht für die Regierung.“
Eine erfolgreiche Lobbykampagne der Ölindustrie in 2009, an der BP führend beteiligt war, verhinderte sogar die Einführung von Sicherheitsmaßnahmen, mit deren Hilfe die Katastrophe im Golf von Mexiko wahrscheinlich hätte abgewendet werden können. Die Ölkonzerne waren laut NYT gemeinsam gegen „striktere Sicherheits- und Umweltstandards und häufigere Inspektionen“ der Unterwasser-Förderanlagen vorgegangen. Damals habe die Ölbranche argumentiert, dass „zusätzliche Regulierungen für Tiefseebohrungen nicht notwendig“ seien. BP habe laut NYT zudem „MMS gedrängt, den Unternehmen zu erlauben, Sicherheitsschritte in Eigenregie einzuleiten.“
Dabei hat der Mineral Management Service alle an Tiefseebohrungen beteiligten Unternehmen – also auch BP – in 2004 und 2009 sogar ausdrücklich aufgefordert, zusätzliche Sicherheitssysteme bei ihren Ölplattformen einzubauen, die einen eventuellen Austritt von Rohöl bei Havarien verhindern können. Wiederum verzichtete der MMS darauf, diese Sicherheitsstandards auch durchzusetzen. Stattdessen gab sich diese Regulierungsbehörde wieder mal mit Beteuerung der Industrie zufrieden, wonach dies Problem „unter Kontrolle“ sei.