Über »(getarnt) Schwachsinnigen« hat man schon mal ganz unverfänglich reden können. Das war, als man auch über »selbstverschuldete Fürsorgeempfänger« beriet oder »Arbeitsscheuen« ihren Müßiggang austreiben wollte. Hört sich das nicht alles bekannt an? Ein wenig anders schreiben sie es heute schon. Wer sagt denn bitte heute noch »Fürsorgeempfänger«? Aber »selbstverschuldet« ist als Adjektiv geblieben. Man kann ja keine ganz neue Sprache erfinden. Irgendwo muss man ja anknüpfen.
Neulich erst wetterte Thilo Sarrazin in jener Zeitung, dass es nichts »an den Problemen [...] ändere«, dass man nun »Roma« und »Sinti« zu den »Zigeunern« sage. »Zigeuner«: Das war auch so eine »unerwünschte« Gruppe in jenem Deutschland damals. Es gehörte zum guten Ton nach dem Krieg und bei wachsenden Bewusstsein über die Dimension der Kriegsverbrechen, diese Gruppe bei ihrem richtigen Namen zu nennen und nicht mit despektierlichen Bezeichnungen zu konfrontieren. Das gebot der Anstand und die Menschenwürde. Heute darf man das scheinbar schon mal beanstanden, denn das »gesunde Volksempfinden« habe nun die Nase voll von dieser politisch-korrekten Lingual-Diktatur. Von diesen »Zigeunern« liest man in der »Bildzeitung« öfter mal, dass sie sich nicht integrieren können, unfähig für ein gemeinschaftliches Leben seien. »Gemeinschaftsunfähige« war damals ein anderes Wort für die »Asozialen«.
Dass dieses oben genannte »gesunde Volksempfinden« damals schon Anlass dafür war, die ganzen »Tippelbrüder«, »Schwachsinnigen« oder »selbstverschuldete Fürsorgeempfänger« zu erziehen, versteht sich freilich von selbst. Man hat in diesem Land immer schon was auf das gehalten, was das Volk so will. Heute kann man über dieses kollektive Empfinden noch bei der »Bildzeitung« lesen. Immer dann, wenn Politik mal wieder einen Blankoschein für ihre Ausländerpolitik braucht oder wenn es gegen strukturelle linke Mehrheiten in Parlamenten geht.
Wäre es vor - sagen wir - 15 Jahren eigentlich möglich gewesen, einen durch Hirnhautentzündung geschädigten Menschen im Vorbeigehen einen »Schwachsinnigen« zu nennen? Hätte das im Jahre 11 vor Sarrazin schon jemand so ungeniert geschrieben? Und wenn ja, was hätte er an Kritik einstecken müssen? Ist der Zeitgeist also wirklich so viel linker geworden, wie das dieselbe Zeitung behauptet? Oder ist es nicht eher das Gegenteil?
Das zu beanstanden ist aber keineswegs eine Frage der politischen Korrektheit, wie das die Freunde »offener Worte« oft kritisieren. Einen Menschen nach einer Krankheit mit cerebralen Folgen als »Schwachsinnigen« zu bezeichnen ist nicht einfach »so dahingeschrieben« oder sollte auch nicht die »political incorrectly-Normalität« einer Gesellschaft sein. Jedenfalls nicht, wenn es um einen konkreten Menschen geht. Es ist eine Taktlosigkeit mit unmenschlichem Unterton. Beleg für eine verrohende Wortwahl, die die beschriebenen Menschen vergegenständlicht und diskreditiert. Dass Juristen zuweilen noch so vor Gericht sprechen, entschuldigt allerdings nichts. Franz-Josef Wagner sieht ja nicht gerade aus wie ein Anwalt.
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