Ihr Lieben,
heute Abend möchte ich Euch eine Geschichte von JosefQuadflieg erzählen:
„Der dumme Martinez“
In die Schule eines kleinen Ortes in Mexiko ging ein Jungenamens Martinez, der konnte nicht rechnen und nicht schreiben und nicht lesen.Er konnte nur Blumen gießen und Hefte austeilen und die Landkarte aufhängen.Ja, das konnte er uns das tat er sogar am liebsten.
Keiner wusste so gut mit dem verzwickten Kartenständer undder langen Schnur umzugehen, die daran war und durch allerlei Haken und Ösen lief.
Die Kinder und Lehrer mochten Martinez nicht gern und nanntenihn nur den „dummen Martinez“.
Eines Tages sagte der Lehrer: „Martinez, bleib heute nachdem Unterricht mit Jo in der Klasse und mach bitte das Aquarium sauber.“
Das tat Martinez gerne, aber Jo, der war gar nicht gern mit Martinez zusammen.
Er sprach kein Wort mit ihm.
Auf einmal hörten die Jungen aufgeregte Schreie. War das aufder Straße? In der Schule? Auf dem Flur hörte man Rufe und bald drang ein beißender Geruch in die Klasse. Jo rissdie Tür auf. Qualm und Flammen schlugen ihm entgegen. Die Schule brennt!
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„Martinez! Martinez!“ schrie Jo. „Hilf mir! O weh, wirverbrennen!“Das Feuer drang schon in die Klasse vor, fraß sich in denFußboden, packte die ersten Schulbänke.Die einzige Rettung wäre ein Sprung auf dem Fenster gewesen. Das das befandsich gut acht Meter über der Straße. Da rannte Martinez zum Kartenständer.
Flink wie eine Katze knotete er die Kordel los, zog sieflink aus den Ösen, löste sie von den Aufhängehaken, band sie mit geschickten GriffenJo unter den Armen um die Brust und eilte mit ihm zum Fenster.
Vorsichtig kletterte Jo aus das Fenstersims, hielt sich anden Steinen fest, am Blitzableiter, am Antennendraht. Dann musste er springen. Obenstand Martinez und hielt die Schnur fest, sie schnitt tief in seine Hand ein.
Als Jo wohnbehalten unten ankam, war endlich auch dieFeuerwehr zur Stelle.
Doch die Flammen hatten den „dummen Martinez“ schon ganz verbrannt.
Die Leute aus dem Ort, die durch das Sirenengeheul derFeuerwehr auf den Brand aufmerksam geworden und sofort zur Schule gelaufenwaren, standen stumm auf der Straße und einer fragte den anderen: „Wer ist es,der verbrannt ist?“ Und sie antworteten einander: „Es war der Martinez, derkleine Dumme, wer sonst, das ist typisch, dass gerade er verbrannt ist, er wareinfach zu dumm!“
Aber war er wirklich so dumm gewesen, der tapfere Martinez?
Zum Glück gab es Jo, der allen von seiner selbstlosen Tat erzählte…
Und tief beschämt gingen die Menschen wieder heim.“
Ihr Lieben,
gerade Menschen, die ein großes Handicap haben, können oftganz gewaltige Leistungen erbringen.
Das liegt daran, dass diese Menschen oft versuchen, ihr Handicap durchbesondere Leistungen auf anderen Gebieten auszugleichen.
Für mich sind Gestalten wie dieser Martinez die wahrenHelden in dieser Welt.
Nicht Staatmännern und Kriegshelden sollte man Denkmäler bauen, sondern solchenMenschen wie Martinez. Sie zeigen uns „Normalen“,worauf es wirklich ankommt in dieser Welt.
Diese Geschichte erinnert mich an meinen JugendfreundHans-Christoph.
Manchmal stimmt es mich traurig, dass ich ihm heute nicht noch einmal Dankesagen kann, dass ich ihm nicht noch einmal sagen kann, was er für mich getanhat. Gerne würde ich ihm meine Söhne vorstellen, denen ich auch viel über ihnerzählt habe.
Hans-Christoph war auch einer wie Martinez.
Er war geistig sehr helle, aber er hatte ein Handicap wie Martinez.
Sein großes Handicap war seine besonders schwere Asthmaerkrankung.
Durch diese schwere Krankheit bedingt war er zierlich und klein für sein Altervon 14 Jahren und er wog keine 50 Kilo.
„Husti, Krüppel und Zwerg“ – das waren noch diefreundlichsten Bezeichnungen, mit denen er in der Schule bedacht wurde.
Aber er ließ sich nicht entmutigen, er gab niemals auf undstatt sich selbst zu bemitleiden wegen seiner schrecklichen Krankheit, retteteer mir das Leben, indem er mir zeigte, dass das Leben auch schön sein kann, indem er Zuversicht und Hoffnung in mich einpflanzte, indem er mir seineFreundschaft anbot und mich fast jedes Wochenende zu sich nach Hause einlud.
Durch ihn lernte ich die Freude kennen, den inneren Frieden,
die Versöhnung,das Niemals-Aufgaben.
Wenn ich heute jeden Tag hier auf dem Blog zwei Geschichtenerzähle, dann tue ich das auch ein Stück im Gedenken an Hans-Christoph, den ichgebe nur weiter, was ich von ihm, einem 14-Jährigen (!) gelernt habe.
Meine größte Freude ist es heute, Freude an andere Menschenweiterzugeben, anderen Menschen zuzurufen: „Gib niemals auf!“
Hans-Christoph wurde nur 14 Jahre alt, vielleicht so alt wieMartinez.
Er und Martinez, das sind die wahren Helden für mich in dieser Welt und imGedenken an Hans- Christoph gebe ich wie ein Brunnen jeden Tag das weiter, wasich selbst empfangen habe.
Ich wünsche Euch nun einen gemütlichen fröhlichen Abend undgrüße Euch herzlich aus meinem Garten bei untergehender Sonne
Euer altes Eselskind Werner
Quelle: Karin Heringshausen