Menschen verursachen Katastrophen. Biografische Erklärungsversuche sind verständlich - aber biografische Sensationslust ist völlig fehl am Platz.
Was treibt Menschen an? Was prägt sie? Was lässt sie so handeln, wie sie handeln? Das sind klassische Biografenfragen. Was führt dazu, dass ein junger Mensch mit verantwortungsvollem Pilotenjob offenbar seinem Leben ein Ende setzen will und dafür ein vollbesetztes Flugzeug verunglücken lässt? Warum rührt es uns so an, dass offenbar ein einzelner Mensch eine solche Katastrophe herbeigeführt hat? Das Bedürfnis nach biografischen Erklärungsversuchen ist verständlich. Die Art, in der sie medial verbreitet werden, ist es nicht.
Der Boulevard marschiert vorneweg - wie so oft. Vom "Amok-Piloten" schreibt die BILD, und davon, dass der verdächtige Co-Pilot des abgestürzten Airbus A320 der Fluggesellschaft Germanwings von den Alpen "besessen" gewesen sei. Aber die einschlägig bekannten Medien sind nicht die einzigen, die sich mit biografischen Spekulationen hervortun. In Live-Tickern, die untereinander um jede Sekunde ringen, wird jedes Detail ausgebreitet: Erst war es der Terror, dann die Technik, jetzt also der Einzeltäter. Klarnamen, Urlaubsbilder, zerrissene Krankmeldungen, das Elternhaus des Verdächtigen: Die biografische Sensationsgier macht vor nichts halt. Keine Frage: Um eine so unwahrscheinliche Unglücksursache zu verarbeiten, ist es sinnvoll, sich die Lebensgeschichte desjenigen vor Augen zu führen, der sie vermutlich verantwortet. Aber verantwortungsvolle biografische Berichterstattung würde auf Spekulationen verzichten und nicht allzu vorschnell mit oftmals ungeprüften neuen vermeintlichen Lebensmotiven aufwarten, sondern erst einmal gründlich recherchieren und dann sachlich berichten. Verantwortungsvolle biografische Berichterstattung würde das Umfeld des Verdächtigen schützen. Denn selbst wenn dieser Co-Pilot zur Person der Zeitgeschichte geworden sein sollte (Zweifel daran sind angebracht), seine Eltern und sein Umfeld sind es nicht - im Gegenteil: auch sie haben einen Verlust zu verkraften. Und verantwortungsvolle biografische Berichterstattung würde statt einer öffentlichen (Vor)-Verurteilung um echte Erklärungen bemüht sein. Dass aber zum Beispiel die BILD die neuen Neuigkeiten als der Lebensgeschichte des Co-Piloten hinter seine Bezahlschranke packt, zeigt, worum es eigentlich geht: Mit biografischer Sensationslust lässt sich gut Geld verdienen. Dahinter tritt die oftmals große Erklärungskraft ernst gemeinter Biografik in den Hintergrund. Zu hoffen bleibt, dass die biografischen Ängste, Nöte und Zwänge des verdächtigen Co-Piloten irgendwann von der medial befeuerten Empörung befreit und etwas nüchterner eingeordnet werden.