WEIMAR. (fgw) Der russische Revolutionär Lenin sagte vor gut 90 Jahren in einem Gespräch mit der deutschen Frauenrechtlerin Clara Zetkin: “Der Kommunismus soll nicht Askese bringen, sondern Lebensfreude, Lebenskraft, auch durch erfülltes Liebesleben.” Diese Aussage kam mir dieser Tage wieder in den Sinn, als ich eine Aussage einer ansonsten sehr frei-denkenden jungen Frau zu Gehör bekam. Diese beklagte andersartige Liebesauffassungen als frauenfeindlich und als gar dem Freidenkertum und Humanismus widersprechend.
Wieder einmal, und das leider auch in unserern Kreisen, wird so die eigene Norm als die allgemeingültige gehalten, werden die Betroffenen nicht gefragt und generell wird damit Männern Böses unterstellt. Aber: zu jeder Beziehung gehören nun mal zwei Menschen, unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts oder sogar drei und mehr Menschen…
Denken wir da nur an einen der Gründerväter des deutschen Freidenkertums, an Albert Dulk (1819-1884), der mit zwei, zeitweilig sogar mit drei Frauen in FREIER Lebensgemeinschaft lebte.
Es gibt weltweit so viele andere Spielarten der Sexualität, des Liebesspiels, als nur die von der katholischen Kirche für einzig möglich gehaltene. Und… gerade heute formulieren selbstbewußte und unabhängige Frauen Wünsche, die biedere Gemüter und Spießbürger für anomal, krank oder männlicher Phantasie entsprungen halten… Vorurteile und Klischees statt Toleranz und Achtung des freien Willens anderer.
Ein Lenin war da schon viel weiter. Und ich persönlich halte es mit dem US-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin, der 1962 in seinem Roman “Eine andere Welt” es sinngemäß so formulierte: “Es ist egal, wen man liebt, wie man liebt, wo und wann man liebt, sondern nur DASS man liebt.”
Und somit sollte jedes von gleichberechtigten Menschen freiwillig eingegange Lebens- und Liebesverhältnis, das auf der Achtung des oder der anderen beruht, als normal und legitim angesehen werden, und vor allem als private Angelegenheit der jeweiligen Menschen.
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]