Wibke Bruhns – Meines Vaters Land

Von Nicsbloghaus @_nbh

Manchmal erreichen einen Bücher auf verschlungenen Wegen. Vor allem solche, die man sich vermutlich nie selbst gekauft oder aus eigenem Antrieb gelesen hätte.
Meines Vaters Land (Geschichte einer deutschen Familie) von Wibke Bruhns gehört ganz sicher dazu.

Wibke Bruhns ist die Tochter von Hans Georg Klamroth, einem im Zuge des 20 Juli 1944 hingerichtetem Offiziers. Diesem Vater, den W. Bruhns nicht kennenlernte, spürt das Buch nach.
Herausgekommen ist eine Familiensaga, die fünf Generationen umfasst. Wobei natürlich die Zeit der Eltern (Else & Hans Georg Klamroth) den Großteil des Buches ausmacht. Es endet mit dem Kriegsende 1945.

Wibke Bruhns schafft den Drahtseilakt, zum einen eine sehr persönliche Nähe zu den Eltern, den Geschwistern und Verwandten darzustellen und trotzdem einen Abstand zu wahren, der viel über das Unverstandene (wer versteht schon wirklich die Gedanken und Gefühle seiner Eltern) aussagt. Ihr Vater wird im gesamten Buch immer nur “HG” genannt; die Mutter (persönlicher) Else. Ein einziges mal bricht die Autorin mit dieser Distanz und spricht ihren Vater direkt an.

Was mir an diesem Buch vor allem gefällt: es ist eine Aufarbeitung der deutschen Geschichte; eine sehr persönliche. Und das macht das Buch lesenswert und wichtig. Ich kenne nicht viele Bücher, die auf solch persönliche Art versuchen, Geschichte begreifbar zu machen; zu versuchen, zu verstehen wie Dinge geschehen konnten, die zur Katastrophe des 2. Weltkrieges führten. Was Menschen dazu brachte, dem Demagogen Hitler zu folgen.
Diese Fragen stellt sich die Autorin, deren Eltern beide NSDAP-Mitglieder, deren Vater SS-Angehöriger und Major der Wehrmacht war. Und der Etliches wissen musste über das, was im “Reich” geschah, war er doch als Offizier der Abwehr insbesondere auch mit dem (geheimdienstlichen) Schutz der sog. V1 und V2-Projekte betraut. HG war nachweislich in Dora-Mittelbau; muss also gesehen haben, unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben und arbeiten mussten.
Sich – als Tochter – damit auseinander setzen zu müssen; den nur aus Tagebüchern und Briefen bekannten Vater in dieser Rolle zu sehen… wie unglaublich schmerzhaft – und wie ungeheuer mutig, dies öffentlich zu tun!

Freilich spiegelt dieses Buch weit mehr als nur den schmerzhaften Prozess der Annäherung an den unbekannten Vater; es ist zugleich die exemplarische Geschichte einer angesehenen, großbürgerlichen Kaufmannsfamilie, der Klamroths aus Halberstadt. Wibke Bruhns verfolgt diese Geschichte über fünf Generationen, und am Ende weiß man, warum diese Sippe und die Gesellschaftsschicht, die sie repräsentierte, so anfällig waren für das, was sich Nationalsozialismus nannte. Mit wachsendem zeitlichem Abstand wird immer deutlicher: Das Unheil, das nach 1933 seinen Lauf nahm, war lange im Schoße deutscher Bürgerfamilien ausgebrütet worden. (Quelle: Die Zeit Online)

HG, Bildquelle: klausklamroth.de

Es ging mir wirklich zu Herzen zu lesen, wie sich die Autorin zum einen in die distanzierte Rolle der Chronistin drängt und zum anderen aber manchmal nicht in der Lage ist, diese Rolle durchzuhalten – wenn sie versucht, ihrer Erschütterung gerad darüber Ausdruck zu geben, dass Ihr Vater und mit Abstrichen auch die Mutter überzeugte Nazis waren. Sie versucht sich (und dem Leser) zu sagen: “Na ja, sie mussten das wohl um die Firma zu halten…” aber gleichzeitig zerreißt sie die Wut zu sehen, dass sie die schreienden Ungerechtigkeiten nicht zur Kenntnis nehmen. An diesem inneren Kampf läßt Wibke Bruhns den Leser teilhaben.

Der o.g. Zeit-Artikel endet mit den Worten: “Ein anrührendes, mutiges, wahrhaftiges Buch. Man kann es nicht ohne Erschütterung lesen.
Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Nur, dass ich dankbar bin, dieses Buch gelesen zu haben, das auf so seltsamem Wege zu mir kam.