Where the heart is

In der Klinik werden sie oft die “Herzle” genannt, je nach Landstrich auch “Herzsche” oder “Herzilein”, eher ein blöder überlieferter Begriff alter Kinderkrankenschwestern, die gerne auch “Mongis”, “Spibis” oder “Wölfchen” gesagt haben. Herzchen hält sich aber am längsten, ist nicht ganz so diskriminierend wie die Bezeichnungen für unsere Trisomien oder die Kinder mit Spaltbildungen. Und eigentlich soll es auch nur ausdrücken, wie sehr uns die Kinder mit Herzerkrankungen am Herzen liegen.

Das Herz ist der Sitz der Seele. Jeder, der was anderes behauptet, hat keine Ahnung oder ist zu metaphysisch veranlagt. Es gibt für Eltern und für uns Ärzte kaum Krankheitsbilder, die mehr “ans Herz” gehen, als wenn Kinder genau daran erkrankt sind. Dies erschrickt uns am meisten, uns Ärzte, weil das Herz der Motor von allem ist, die Eltern, weil es das Organ ist, das man am besten im Laienstand kennt: Es schlägt.
Bei den Vorsorgeuntersuchungen darfst Du alles außer Acht lassen, nur nicht die Auskultation des Herzens. Das Stethoskop ist das Zeichen des Mediziners als Zugang zur Gesundheit. Wenn das Abhören “alles ok” erbringt, bedeutet das vielen Eltern das Wichtigste in der ganzen Untersuchung.
Hörst Du als Kinderarzt aber ein Geräusch am Herz, wohlwissend, dass das ganz viel oder auch rein gar nichts bedeuten kann, bricht für viele Eltern die heile Welt zusammen. Und Du musst im ersten Moment ein simples Foramen ovale genauso ernst erklären wie eine Fallotsche Tetralogie oder ein Single-Ventricle-Syndrome.

Meist kommen sie mit Herzproblemen auf die Welt. Die erworbenen Herzerkrankungen sind dank guter Impfprogramme und Antibiotika-Regime sehr selten. Herzgeräusche, die später gehört werden, jenseits der Neugeborenenperiode, sind meist eher harmlos, kleine Löchlein, die kurz vor dem Verschluss nochmal ordentlich Krach machen, oder harmlose Sehnenfäden, die durch das Wachstum des gesamten Körpers plötzlich Laut geben. Was man aber gleich am Anfang hört – das lässt alle sorgen. Das Geburtsglück ist verpufft, die Farbe des Kinderzimmers spielt plötzlich keine Rolle mehr, und ob Papa es nicht geschafft hat, die Wickelkommode aus Schweden lotgerecht aufzustellen oder nicht – wen juckts?

Du Kindercheck-Beauftragter hast bei der U2 ein Geräusch gehört. Die Eltern sind schon verwundert, dass Du die Membran des Hörrohrs mehrmals gedreht hast, mehrere Punkte am Brustkorb abgehört hast, auch den Rücken, dazu noch versuchst, die Pulse zu tasten, vielleicht sogar einen Blutdruck einforderst bei den Krankenschwestern (bitte Arme und Beine!).
Dann wendest Du Dich an die Eltern und erklärst. Sie hören Dich kaum, hören nur “Herz” und haben … Angst. Denn die Tochter des Bruders des Nachbarn… und hatte nicht auch Deine Cousine…? Wir versuchen dann, immer schnell eine Diagnose herbeizuführen, versuchen, möglichst schnell den Kinderkardiologen der Kinderklinik zu informieren. Ok, das ist eine Fahrt von vierzig Kilometer, aber Hey, dann wissen Sie Bescheid, ok? Die Eltern nicken.

Gehst ans Telefon, schließt die Tür hinter Dir, siehst die beiden hinter dem Glasfenster stehen, wie er sich mehr an sie klammert, als sie an ihn, und vor ihnen… liegt der kleine Martin auf dem Wickeltisch, nach der Untersuchung schon wieder verpackt und rosig und grinsend. Und … eigentlich sieht man ihm doch gar nichts an, oder, Herr Dokter?

Der Kardiologe zeigt sich dankenswerterweise kooperativ und Du schickst die Eltern, die eigentlich heute nachmittag stolz mit dem Neugeborenen zur Omma fahren wollten – Kaffeetrinken und Frankfurter Kranz, zur Feier des Tages – weiter in die Kreisstadt, da müssen Sie sicher nicht lange warten, der Kollege weiß ja Bescheid, dass Sie kommen. Alles klar, Herr Dokter. Und Du verabschiedest sie in der gleichen Ungewissheit, in der sie sind, denn auch nach Jahren gelingt es Dir nicht, die harmlosen Geräusche von den problematischen zu unterscheiden. Das sieht nur das Echo.
Paar Tage später fragst Du nach, und der Kardiologe war so freundlich, den Krankenschwester auf der Entbindungsstation mitzuteilen: Alles ist ok. Nur ein einfacher Ventrikelseptumdefekt, der sich sicher in den ersten Jahren schließen wird. Erleichterung.

Aber das ist nicht immer so. Manchmal ist mehr, manchmal geht es schnell. Zumindest bei Layla war es anders. Aber davon ein anderes Mal.



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