Zu sehen sind eindringliche, berührende Schwarz-Weiß Bilder der beiden Fotografen zum Thema „New York City Limits" - die Grenzen und Kehrseiten des amerikanischen Traums, für den die Stadt steht und ihre oft versteckten Nuancen. Ergänzt wird dies durch eine Video-Poetry-Installation.
Die beiden Künstler beschäftigen sich schon lange mit der Fotografie. Für Jörg Rubbert, geboren 1963 in der Nähe von Hamburg, spielt die Straßenfotografie als selbst bestimmtes Arbeitsfeld eine essentielle Rolle. Sie nimmt nicht nur bis heute einen breiten Platz in seinem Werk ein, sondern bestimmt auch seine ästhetische Herangehensweise und seinen Umgang mit der Kamera. Auf der Straße fotografiert Rubbert ausschließlich analog in Schwarzweiß. Er hat bereits zahlreiche Publikationen und Ausstellungsprojekte realisiert; so nahm er 2012 und 2010 mit Ausstellungen am Europäischen Monat der Fotografie teil.
Antonius, geboren 1952 in Berlin und Amerikaner mit deutschem Pass ist Maler, Creative-Director, Fotograf und Künstler. Seine Fotografien, die er selbst als „fotografische Choreografien" bezeichnet, wurden schon rund um den Globus ausgestellt. Nach Ausstellungen und Publikationen in Japan und Australien war Antonius im Vorstand des AWI (Arbeitskreis der Werbe- und Industriefotografen Deutschlands). Auch gewann Antonius 2013 den Foto Oscar mit seiner Serie „Magic Gardens".
Wir trafen die beiden Künstler zu einem Gespräch im „Village Voice"-Café in Berlin Mitte und erfuhren mehr über die Entstehung der Ausstellung und die persönlichen Geschichten dazu.
Chased: Fangen wir ganz von vorne an: Wo habt Ihr beiden euch kennengelernt und wie kam es zu dieser Doppelausstellung zu New York?
Jörg: Antonius und ich haben beide 1986 in der international renommierten Schweizer Fachzeitschrift "PHOTOGRAPHIE" ein eigenes Portfolio veröffentlicht, bei dem wir zum ersten Mal aufeinander aufmerksam wurden. Danach hat einige Jahre lang jeder seine persönliche künstlerische Entwicklung vorangetrieben, bis ich eines Tages einen Flyer von Antonius mit einem New York-Motiv im Briefkasten der aff-Galerie fand, in der ich Mitglied bin. Daraufhin habe ich Kontakt zu ihm aufgenommen und der Rest ist bekannt: Es war uns beiden schnell klar, dass wir zusammen eine Ausstellung konzipieren müssen - natürlich mit dem gemeinsamen Thema "NEW YORK".
Chased: Wie ist euer jeweiliger Bezug zu New York? Antonius, du bist aus Berlin, hast aber auch Familie in New York...
Antonius: Ja, ich bin in Berlin geboren, habe Berlin aber erst kennengelernt, als ich sieben oder acht Jahre alt war. Mein Vater ist aus New York, meine Großeltern lebten dort.
Ich kam mit circa sieben Jahren nach Frankreich und dann nach Deutschland. Meine Eltern haben sich dann getrennt, mein Vater lebte in New York, so war ich immer in meinen Schulferien in New York, und das kontinuierlich, jedes Jahr. Bis auf eine tragische Geschichte...
Damals gab es ja noch kein Internet und ähnliches, und sowohl wir als auch mein Vater sind damals umgezogen und die Post ging irgendwie verloren. Und ich konnte zwei Jahre nicht reisen wegen einer Krankheit. Dann bin ich nach zwei Jahren wieder nach New York gefahren, und niemand war mehr in der Wohnung!
Gott sei Dank wussten die Nachbarn dort Bescheid und ich bin dann nach langer Fahrt zu der neuen Adresse gefahren, mein Großvater öffnete die Tür und sagte: „Well, he passed the way." Mein Vater war also tot. Er war bei einem Autounfall gestorben. Sehr jung. Das habe ich dann erst nach zwei Jahren erfahren, denn die Post kam ja nicht bei uns an ... Damals war ich 17. Insofern gibt es da also eine tragische oder melancholische Komponente für mich in New York. Und jetzt vor kurzem war ich nach all der nach langer Zeit wieder dort.
Chased: Jörg, und was ist Dein Bezug zu New York?
Jörg: Ich habe in New York zwei Jahre lang gelebt, 1989/90. Und ich habe dort sehr viel erlebt und sehr viele Filme dort gemacht. Ich hatte damals bewusst eine Auszeit von meinem Studium genommen, um ins Ausland zu gehen und zu fotografieren und meinen Rücken freigehalten, um ein Jahr lang „durchzufotografieren" und mal zu testen, ob das etwas für mich ist. Ob also künstlerische Fotografie von Berufs wegen für mich in Frage kommt..
Ich habe sehr viele Galeristen dort kennengelernt, habe unter anderem im International Center of Photography mit der Leiterin dort gesprochen, die übrigens auch in der PHOTOGRAPHIE-Ausgabe, in der wir Fotos veröffentlicht haben, selbst Bilder publiziert hat. Und da schließt sich dann der Kreis in mehrerlei Hinsicht.
Sie hat meine Bilder begutachtet und mir Mut gemacht, gleichzeitig aber auch gesagt, dass Fotos zu publizieren tough ist, gerade in New York. Dort gibt es ganz andere Rahmenbedingungen als hier. Dort repräsentieren die Galerien eine feste Anzahl an Fotografen und begleiten quasi deren Lebensweg, indem sie immer wieder Ausstellungen mit ihnen machen. Meistens vertreten sie auch eine bestimmte Stilrichtung innerhalb der Fotografie. Das ist dann oft auch auf die jeweiligen Vorlieben der Zielgruppe abgestimmt. In Berlin und in Europa wird das natürlich viel flexibler gehandhabt.
Antonius: Dazu muss man aber sagen, dass die Wertigkeit und Anerkennung von Fotografie in Amerika grundsätzlich viel größer ist. Ob nun Galerien oder Museen - das Metropolitan Museum ist ja das größte - sie haben eine riesige Foto-Abteilung. Sie haben dort Originalbilder von Paul Strand - Originale aus den 1920ern. Das ist wirklich sensationell. Da steht man dann davor und denkt, das ist nicht besser zu machen. Die damaligen großen Bildkünstler haben eigentlich schon alles gemacht. Jede Art von Bild, Porträt, Mode, avantgardistisch ... So etwas gibt es in Deutschland nur selten zu sehen. Aber es fängt auch hier langsam an. Aber es fehlt immer noch die Anerkennung der Fotografie als Kunstform. Auch viele Maler sehen Fotografie nicht als Kunstform an.
Jörg: Naja, irgendwann haben wir zwei uns dann getroffen mit ein paar Bildern unterm Arm und haben festgestellt, das passt alles thematisch sehr gut zusammen. Die Bilder ergänzen sich. Ich mag die Bilder von Antonius, er mag meine Bilder.
Antonius hat so eine klassische Art zu fotografieren, wie die großen Meister es in den 1940ern und noch weiter zurück gemacht haben - zeitlose Dokumentar- und Reportagefotografie - die ich sehr schätze. Deswegen haben wir uns auch entschieden, dass wir unsere Bilder gemischt hängen, wenn wir eine Ausstellung zusammen machen. Wir wollten das ganz bewusst nicht separieren, sondern „kreuz und quer" hängen.
Antonius: Dann findet auch eher ein Dialog statt.
Chased: Ihr stellt ja beide Schwarz-Weiß-Fotografien aus. New York ist ja nun eine eher bunte Stadt -
warum also schwarz-weiß?
Antonius: Schwarz-weiß bedeutet immer, dass sichtbar werden muss, was sichtbar ist. Sonst hast du immer Farbe dazu, ein Kolorit, was an sich schon ablenkt ... Es gibt natürlich auch fantastische Farb-Fotografien. Ich fotografiere meist erst in Farbe und dann wandle ich um in schwarz-weiß. Aber man muss es natürlich schon vorher wissen.
Jörg: Das Farb-Problem habe ich ja nicht. Wenn ich analog fotografiere, ist das gleich schwarz-weiß, das ist dann für mich ziemlich schmerzfrei. Da ist alles gleich auf der richtigen Schiene. Das ist vielleicht auch der einzige Unterschied zwischen uns..
Ich hab mit der Nikon F2 die meisten Filme geschossen, eine ganz klassische Kamera, ganz schwer und robust mit Standardbrennweite. Das heißt, bei mir ist der Bildausschnitt immer so, dass der Betrachter den Eindruck hat, er steht inmitten der Szenerie. Das hängt damit zusammen, dass die Standardbrennweite einen sehr authentischen Bildwinkel hat. Und das ist gerade für Straßenfotografie geeignet. Einige Fotos habe ich mit einer alten Leica gemacht, mit einer IIIC, Baujahr ´58, die hatte ich mir in New York gekauft. In einem dieser großen Foto-Läden.
Antonius: Ja, da gibt es so einen in der 34. Straße (?) und einen in Chelsea. Ich stand gerade wieder am Schaufenster dort, ich suche nämlich eine Widelux, eine Kamera mit einem Schwenkobjektiv.
Chased: Wie geht ihr vor, wenn ihr Menschen auf der Straße und die zum Teil auch sehr skurrilen Situationen dabei fotografiert?
Antonius: In der Regel findet zunächst eine situative Beobachtung statt. Es finden aber auch ab und zu direkte Kontakte zu den fotografierten Personen statt. Als "local", das heißt mit meiner Hautfarbe, bin ich dankenswerterweise nicht allzu sehr sichtbar.
Jörg: Ich nehme die Situation so auf, wie sie sich mir in dem Moment darstellt. Ich habe meine Kamera für diese Eventualitäten "voreingestellt" und drücke situativ den Auslöser. Ich versuche, stets möglichst nah am Geschehen zu sein, da ich meine Aufnahmen ausschließlich mit dem Standardobjektiv mache. Der Bildausschnitt wirkt wie schon gesagt sehr authentisch, da er vom Bildwinkel her dem des menschlichen Auges vergleichbar ist. Da ich analog fotografiere, kann ich das Ergebnis nicht sofort ansehen und gegebenenfalls korrigieren - das ist aber in der sogenannten Straßenfotografie eh nicht möglich, da die Situation sich meist ebenso schnell wieder auflöst, wie sie entstanden ist.
Chased: Noch eine Frage zum Abschluss: Ihr macht ja die Ausstellung gemeinsam. Welches Bild des anderen gefällt euch jeweils am besten?
Antonius: Das ist ganz schwer. Da bin ich viel zu emotional. Ich habe selbst bei meinen eigenen Bildern kein Lieblingsbild. Ich baue eher immer sofort Geschichten zu Bildern die ich sehe.
Jörg: Ich habe eines! Und zwar „"Car Wash on Westside Highway". Ich finde das Bild einfach toll! Es erinnert mich an die ganz großen Klassiker.
Chased: Das waren doch gute Abschlussworte. Vielen Dank an euch beide für eure Zeit und viel Erfolg bei den Ausstellungsvorbereitungen. Wir sind gespannt und freuen uns auf die Eröffnung.
J. Rubbert