Ich habe auf der 64. Berlinale viele Filme verpasst, andere jedoch nicht verpasst. In den kommenden Tagen geht es hier um die Filme, die ich in diesem Jahr auf der und um die Berlinale sehen konnte. Den Auftakt macht ein Dokumentarfilm.
Wie
zufrieden sind wir mit unserer Regierung? Kaum jemand, den man fragt,
wird absolut nichts daran auszusetzen haben. Steuern zu hoch, Löhne
zu niedrig, zu wenig Arbeitsplätze, zu wenig Fachpersonal. Wenn uns
– also dem Volk – die Regierung nicht passt, können wir sie
durch Wahlen umbesetzen und dann hoffen, die neue Regierung ändert
etwas an den Dingen, die uns nicht gefallen. In der Theorie klingt
das relativ einfach, in der Praxis läuft das alles etwas
komplizierter. Politiker stellen Programme auf, und sprechen
Versprechen aus, die sie, falls sie gewählt werden, dann umgehend in
die Tat umsetzen werden. Wenn die Politiker das nicht tun, werden sie
bei der nächsten Wahl dann entsprechend weniger Stimmen erhalten.
Trotzdem
kommt es immer wieder vor, dass genau das nicht funktioniert und so
passiert es, dass Politiker trotz ständiger und unverhohlener
Inkompetenz über viele Jahre an der Macht bleiben. Zum Beispiel
Silvio Berlusconi.
Italien
vor kurzer Zeit: Neuwahlen stehen an und es hat den Anschein, es
könnte dem amtierenden Präsidenten diesmal an den Kragen gehen.
Doch die Alternativen sind rar. Außerdem ist das Volk unsicher, was
es überhaupt noch wählen soll. Die alte Aufteilung von Links und
Rechts funktioniert in einem modernen Europa nicht mehr. Darf man als
Linker eine Putzfrau beschäftigen oder eine Kreditkarte benutzen?
Diesen und anderen Fragen gehen die Regisseure Gustav Hofer und Luca
Ragazzi nach. Sie thematisieren ihre Unsicherheit und Ratlosigkeit,
um ein unerwartetes Bild des politischen Italiens dar zu zeichnen,
welches letztendlich nicht nur die Situation in einem Land zeigt,
sondern stellvertretend als Stimmungsbild in ganz Europa erscheint.
Neben der Unsicherheit stehen aber auch die Methoden der Politiker im
Mittelpunkt. So geschieht es also, dass das ganze Land einen neuen
Präsidenten fordert, die ganzen Kandidaten, die in Frage kämen auf
den Plan treten und niemand weiß, was man mit diesen Kandidaten
anfangen soll. Die Rechten darf man nicht wählen, schließlich will
man den alten Präsidenten ja los werden. Die Linken sind allesamt
unmotiviert und gesichtslos. Keiner traut ihnen zu, wirklich in der
Lage zu sein, das Ruder um zu werfen. Wen gibt es also noch? Ein
bekannter Komiker und Kabarettist gründet seine eigene Partei und
schlägt vor, die Politiker allesamt nach Hause zu schicken und das
Volk lieber direkt regieren zu lassen. Die Wähler – hungrig und
lechzend nach Alternativen – nehmen den Mann vielleicht ein
bisschen zu ernst und wählen ihn. Diejenigen, die politisch,
verantwortungsbewusst wählen möchten, können den Komiker nicht
wählen, denn er meint es ja eigentlich nicht ernst. Unterdessen
kündigen alle Fraktionen an, sich keinesfalls auf eine Koalition mit
der Witzpartei einzulassen. Es kommt der Wahlabend und es kommt, wie
es kommen muss. Der Komiker gewinnt die meisten Stimmen, die Linken
verlieren und eigentlich ist klar, das Berlusconi auch nicht an der
Macht bleiben wird. So bildet sich eine Koalition, die den Komiker
auslässt, einen neuen Präsidenten stellt, der aber nach kurzer Zeit
schon wieder zurücktritt, nur um von einem Präsidenten ersetzt zu
werden, der letztendlich nur die Marionette des ganz alten
Präsidenten ist. Der ganze Zirkus also nur, um letztendlich den
alten immer noch auf dem Thron sitzen zu haben.
Habe ich
das alles richtig verstanden? Ehrlich gesagt, weiß ich das nach
Genuss dieses Filmes nicht so genau und auch der Film selbst –
beziehungsweise die Off-Stimme – hegt ernste Zweifel, ob das
Publikum auch nur im entferntesten verstanden hat, oder nicht noch
verwirrter ist, als vor Genuss dieses Filmes. Die beiden Regisseure
gehen das Thema sehr locker an und durchsetzen den Inhalt ständig
mit satirischen Einwürfen. Obwohl der Film letztendlich kein echtes
Mehrwissen vermittelt, bekommt man durch die Interviews, Einspieler
und Bilder ein ziemlich gutes Stimmungsbild und denkt sich: „Ich
verstehe zwar
nichts
von Politik, merke aber, wie es in Italien läuft“. Der
unterhaltsame Ton des Films bringt einen aber dazu, zu glauben, in
Italien sei alles total verrückt und bei uns ist alles super. Das
der Film die italienische Politik nur stellvertretend für
Europäische Politik darstellt und im Grunde zeigt, wie es überall
längst ist, erkennt man erst, wenn man den Kinosaal verlässt und
sich gerade kopfschüttelnd über die verrückten Italiener amüsieren
will. In dem Moment fällt mir der Ausgang unserer letzten Wahlen
ein. Möglicherweise hatte es nicht ganz so groteske Ausmaße, wie in
Italien, aber das wird schon noch kommen.
„What
is Left“ ist politische Satire in Reinform. Auf der suche nach der
anfänglichen Frage – nämlich, was es heißt, links zu sein –
zeichnet er ein treffendes Zeitbild des politischen Italiens und
zwinkert dabei so kräftig mit den Augen, dass die Intention nach der
Beantwortung der titelgebenden Frage am Ende einfach weg gewischt
wird. Unterhaltsam – und die Jahre werden zeigen, ob der Film nicht
sogar eine prophetische Ader hatte.
What Is
Left? (I, 2013): R.: Luca Ragazzi & Gustav Hofer
Bundesstart:
12. Juni 2014