"Westworld" oder auch: HBO haut mal wieder einen raus

2016 / US / 10 Folgen á 50 Minuten / Genre: Sci-Fi, Abenteuer / FSK: 16 / Bildrecht bei: HBO

Haben Sie noch Urlaubspläne für den Rest des Jahres? Vielleicht nach Österreich in die Berge? Oder lieber ins Warme, nach Florida? Vielleicht Orlando? Sie könnten vorbeischauen in der von Walt Disney entworfenen Welt der Unterhaltung. Ach, sie kennen Disney World bereits? Zu langweilig? Vielleicht wäre dann ein Besuch in "Westworld" das richtige für Sie. Der Themenpark für den ganz besonderen Thrill: Nicht die Achterbahnen sorgen hier für den Nervenkitzel, sondern eine künstlich erschaffene Welt im Mittleren Westen der USA. Für ein kleines Vermögen können Sie eintreten in eine Welt, in der Sie als Besucher - bzw. Newcomer - tun und lassen können was sie wollen. Ganz ohne Risiko. Sie können tun und lassen. Ganoven jagen, Sex haben, einfach mal morden. Sie können fast alles tun, nur sterben können die Gäste nicht.
Willkommen bei "Westworld", der neuen HBO-Serie von der sich niemand mehr als der US-Pay-TV-Sender selbst erhofft, es möge ein großes Epos werden. Als Zuschauer der Auftaktfolge begegnen einen in "Westworld" zunächst einmal einige Fragezeichen. So wie die Gäste des neuartigen Vergnügungsparks bekommen auch wir Zuschauer keine helfende oder herumführende Hand, die erklärt was vor sich geht. In Serien wie diesen könnte unser selten geschätzter Windows-Freund Karl Klammer wahrlich einen Job erledigen, der einen Mehrwert hätte. So hat man mit "Westworld" wortwörtlich eine ganze Welt zu erkunden, die sich in der Pilotfolge erst Schritt für Schritt erschließt. Was sagte jedoch einer von den in der Serie auftretenden Mitarbeitern so schön zu einem nervösen Gast von Westworld? "Herauszufinden, wie es funktioniert, ist der halbe Spaß."
Den menschlichen Besuchern ist in diesem Vergnügungspark im Wild West-Stil scheinbar alles gestattet. Sie treffen in dem Park jedoch nicht auf menschliche Mitarbeiter sondern täuschend echt aussehende "Gastgeber": Androiden. Sie ermöglichen, dass die Gäste sich über jede ethische Bedenken hinwegsetzen können - und alle Fantasien ausleben, die mitbringen in ihr sündhaft teures Freizeitvergnügen. Mit solch einer Prämisse ist es nicht verwunderlich, dass Westworld kein Schauplatz für die Doppelkopf-spielende Stammrunde ist, sondern für "Waffen und Titten und geistlose Scheiße" - wie es Logan (Ben Barnes "Exposed"), ein gewöhnungsbedürftiger Dauergast, effektiv zusammenfasste.
Die Auftaktfolge von Jonathan Nolan ("Interstellar") und Lisa Joy ("Burn Notice") zum Leben erweckter Adaption der 1973 von Autor Michael Crichton geschriebenen und erstmalig verfilmten Idee entfaltet nach einem sehr poetischen Intro eine atemberaubende Komplexität. Das ist mitunter etwas sperrig, aber nicht mehr oder weniger als manch anderes spätere Epos. Dass die Produktion der Staffel unterbrochen wurde, um sicherzustellen, dass die Welt von "Westworld" nicht nur über eine sondern mehrere Staffeln zum Leben erweckt werden kann, ist im positiven Sinne spürbar. Es fühlt sich an wie etwas Großes, was unweigerlich als Leid geplagter Serienfan die leichte Sorge auslöst, dass sich dies bitte auch erfüllen möge.
Wie ein Tag in "Westworld" aussehen kann, erfahren wir durch Dolores (Evan Rachel Wood, "The Wrestler"): Sie steht pünktlich auf, grüßt ihren auf der Veranda sitzenden Vater, begibt sich dann in die Stadt, um einige Besorgungen zu tätigen. Sie lebt ihr Leben. Ihr programmiertes Leben. Sie ist eine der Gastgeberinnen: Ein Android, der sein eigenes Handeln nicht reflektiert und dementsprechend nicht weiß, dass sie nicht echt ist. So zumindest die Theorie. Sie trifft im Laufe Ihres Tages auf den immer wieder in den Ort zurückkehrenden Teddy (James Marsden, "Superman Returns") und natürlich Newcomer, wie die Parkbesucher genannt werden, die mit dem Zug in der inszenierten Welt ankommen. 

Das Leben anderer interessiert sie aber nicht, wodurch sie strikt ihre Aufgaben erfüllt und wieder zurück nach Hause reitet. Ein überschaubares Leben - das sich Tag für Tag wiederholt. Willkommen in Punxsutawney, möchte man sagen. Die Verhaltensmuster der Androiden sind vorbestimmt sofern nicht Parkbesucher die Handlung mit ihren Taten verändern. Programmiert werden die Androiden von Dr. Robert Ford (Anthony Hopkins, "Das Schweigen der Lämmer"), der Erfinder der Vergnügungswelt Westworld. Immer wieder nimmt "Westworld" - die Serie - uns mit in die Zentrale des Vergnügungsparks, der geführt wird von Theresa Cullen (Sidse Babett Knudsen, "Borgen"). Aus der dänischen Politik als Chefin ins, sagen wir, Phantasialand - eine erfrischende und passende Besetzung.
Dort in der Zentrale sorgt man sich um die schöne Wild-West-Welt: Ein Update des Betriebssystems einiger der Androiden im Park scheint nicht ganz ausgereift zu sein. Es kommt zu zunächst harmlosen Fehlfunktionen. Das Reizvolle an der Pilotepisode von "Westworld" ist, dass so viele Konflikte, offene und verborgene Interessen angedeutet werden und das sowohl im Park als auch der Parkleitung. Zwischen der Komplexität, atemberaubenden Bildern und temporeicher Abwechslung läuft die Serie überraschend selten die Gefahr, zu selbstgefällig zu werden. Das ist Nolan und Joy zu verdanken, die in der verlängerten Produktion der Serie penibel darauf geachtet haben, dass jeder Story-Strang sich in die noch viel komplexer werdende Welt einfügt.
Es wäre ein leichtes mit viel Effekten und der Grundidee die Logik zu Lasten des schnellen Vergnügens auf der Strecke zu lassen. Doch ganz im Gegenteil: Man ahnt wie genüsslich Nolan und Joy an der vermeintlich perfekten Welt von Westworld sägen - aber das ganz langsam. Perfektion meets Anarchie. Dieser Kontrast, gepaart mit einer feinfühligen Erzählung, sorgt dafür, dass "Westworld" gute Chancen hat die hohen Erwartungen zu erfüllen. Das ist angesichts des großen Hypes eine bemerkenswerte Leistung. Diese einerseits düstere, andererseits so wunderschöne Odyssey - je nachdem ob man im Park ist oder auf den Park schaut - weiß ganz genau, was sie tut und tun muss, um um einerseits SciFi-Fans zu bedienen und andererseits offen ist für Newcomer - vor dem Bildschirm. Und das ganz ohne Kompromisse.
Auf der einen Seite fremdbestimmte "Normalos", die ihren Alltag mit der immer gleichen Routine meistern. Auf der anderen Seite die oberen Zehntausend, die mit sich mit ihrem Geld das Recht erkaufen, ohne Skrupel einfach alles tun zu dürfen. "Westworld" ist eine SciFi-Geschichte von der man gar nicht so genau wissen will, wie weit in der Zukunft - oder besser gesagt: wie nah an unserer Gegenwart - sie Realität werden könnte.9.0/10

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