Man sagt mir wieder, dass die Menschen, die mich unterwegs gesehen haben, sehr wenig mit mir zufrieden sind. Ich will es gerne glauben, denn auch niemand von ihnen hat zu meiner Zufriedenheit beigetragen.
Was weiß ich, wie es zugeht! Dass die Gesellschaften mich drücken, dass die Höflichkeit mir unbequem ist, dass das, was sie mir sagen, mich nicht interessiert. Das, was sie mir zeigen, mir entweder gleichgültig ist, oder mich ganz anders aufregt.
Sehe ich eine gezeichnete, eine gemalte Landschaft, so entsteht eine Unruhe in mir, die unaussprechlich ist. Die Fußzehen in meinen Schuhen fangen an zu zucken, als ob sie den Boden ergreifen wollten, die Finger der Hände bewegen sich krampfhaft, ich beiße in die Lippen, und es mag schicklich oder unschicklich sein, ich suche der Gesellschaft zu entfliehen, ich werfe mich der herrlichen Natur gegenüber auf einen unbequemen Sitz, ich suche sie mit meinen Augen zu ergreifen, zu durchbohren, und kritzle in ihrer Gegenwart ein Blättchen voll, das nichts darstellt und doch mir so unendlich wert bleibt, weil es mich an einen glücklichen Augenblick erinnert, dessen Seligkeit mir diese stümperhafte Übung ertragen hat.
Was ist denn das, dieses sonderbare Streben von der Kunst zur Natur, von der Natur zur Kunst zurück? Deutet es auf einen Künstler, warum fehlt mir die Stetigkeit? Ruft es mich zum Genuss, warum kann ich ihn nicht ergreifen? Man schickte uns neulich einen Korb mit Obst, ich war entzückt wie von einem himmlischen Anblick; dieser Reichtum, diese Fülle, diese Mannigfaltigkeit und Verwandtschaft! Ich konnte mich nicht überwinden eine Beere zu pflücken, einen Pfirsich, eine Feige aufzubrechen. Gewiss dieser Genuss des Auges und des inneren Sinnes ist höher, des Menschen würdiger, er ist vielleicht der Zweck der Natur, wenn die hungrigen und durstigen Menschen glauben, für ihren Gaumen habe sich die Natur in Wundern erschöpft.
Ferdinand kam und fand mich in meinen Betrachtungen, er gab mir recht und sagte dann lächelnd mit einem tiefen Seufzer: Ja, wir sind nicht wert diese herrlichen Naturprodukte zu zerstören, wahrlich es wäre schade! Erlaube mir, dass ich sie meiner Geliebten schicke. Wie gern sah ich den Korb wegtragen! Ja wir sollen das Schöne kennen, wir sollen es mit Entzücken betrachten und uns zu ihm, zu seiner Natur erheben suchen; und um das zu vermögen, sollen wir uns uneigennützig verhalten, wir sollen es uns nicht zueignen, wir sollen es lieber mitteilen, es denen aufopfern, die uns lieb und wert sind.
Johann Wolfgang von Goethe - Zufriedenheit