Werner Schneyder: Wenn der Schalk anfängt, Gepäck zu haben...

Von Verdin @verdinguenter



Von Günter Verdin ( Interview aus dem Jahr 1996)
„Wenn der Schalk anfängt, Gepäck zu haben, dann ist es zu Ende“


Der Schelm Till Eulenspiegel stand am Beginn seiner Bühnenlaufbahn. Das Stück heißt „Till bevor er hing“ und wurde am 27.April 1963 am Salzburger Landestheater uraufgeführt, wo Werner Schneyder zu dieser Zeit als Dramaturg beschäftigt war.


In diesem Schauspiel nimmt der alternde Till Abschied von der Welt und seinen Streichen: „Es muss vorbei sein mit Eulenspiegel (…) Ich werde mir sagen, dass die Menschen schuld sind, dass Eulenspiegel nicht mehr als Eulenspiegel durch die Freiheit spazieren kann.“ Und als ihm der Pfarrer vor der Hinrichtung mit den Worten „Du führst ein Leben in Sünde" ins Gewissen redet, antwortet der Volksnarr: „Das ist nicht richtig, mein Vater. Ich führte die Sünde durchs Leben. Das ist anders. Ich hatte die Sünden von Anfang. Sie flogen mir zu. Von allen Menschen flogen sie mir zu. Ich stand da, die Hände voller Sünden. Da habe ich sie herumgeworfen, durcheinandergeschlagen. Ich habe mein Leben in Sünde geführt, mein Vater. Ich habe es gelebt."


Die Kritik reagierte begeistert auf das Stück. In  einer Salzburger Zeitung konnte man lesen: „Mit diesem seinen Bühnenerstling dürfte sich der 26jährige Autor bereits einen sicheren Platz in der knapp bemessenen Reihe der jungen österreichischen und deutschsprachigen Autoren gesichert haben. Das Sympathische an dem vielversprechenden Stück ist seine Ehrlichkeit, das Fehlen jeder verkrampften Originalitätshascherei und die saubere, eine plastische dramatische Gestaltungskraft verratende Sprache.“


„Kurzum: ich wollte einmal Dramatiker werden“
Werner Schneyder spricht heute von seinem Bühnenerstling nur in der Mitvergangenheit: „Das Stück gab es. Es ist ein Stück Jugend, das ich nicht me
hr vollinhaltlich anerkenne. Ich würde nicht zulassen, dass man es heute aufführt.

Es stammt aus einer Zeit, in der ich geglaubt habe, einen großen dramatischen Bogen bewältigen zu können. Kurzum: ich wollte einmal Dramatiker werden. Ich habe aber schnell erkannt, dass ich mehr im Episodischen beheimatet bin.“


Ein zweites Stück von Schneyder, „Unsinn bei leiser Musik“, wurde im Konzerthaus-Keller des „Theater in der Josefstadt“ aufgeführt. Es war kein berauschender Erfolg. „Wahrscheinlich war es ein ausgezeichnetes Stück!“ mutmaßt Schneyder. „Aber es kam eine andere Zeit. Die Publikumsbeschimpfung von Peter Handke hatte einen unglaublichen Erfolg, das waren Sprachspiele, die keine Geschichte mehr erzählen. ,Unsinn bei leiser Musik' spielte unter jungen Leuten, die ich gekannt habe. Aber diese jungen Leute haben damals keine Sau mehr interessiert. Damals waren die jungen Leute interessanter, die Wolfgang Bauer kannte.“


„Ich habe mich nie als Kabarettist gefühlt“
Die meisten Leser oder Theaterbesucher halten Werner Schneyder für einen waschechten Kärntner , weil er in Klagenfurt aufgewachsen ist, und andere meinen, er sei Wiener , weil er in Österreichs Hauptstadt studiert hat (die Dissertation aus dem Jahr 1959 trägt den nicht satirisch gemeinten Titel „Die Wechselwirkung von Herausgeberprogramm und publizistischem Erfolg“). Schneyder wurde aber in Graz geboren. Er sammelte seine ersten Bühnenerfahrungen, seine „Vor-Routine“, wie er das nennt, als Student in einem Nachtlokal, wo er Schlager sang. In dieser Zeit begann er auch Aphorismen zu schreiben und öffentlich vorzutragen.


Kurt Weinzierl war es, der Schneyder mit dem deutschen Kabarettisten Dieter Hildebrandt „verkuppelte“.  1974 kam ihr erstes Duo-Programm „Talk täglich“ heraus, das eine achtjährige, überaus erfolgreiche Partnerschaft einleitete.


Umso mehr verwundert es, wenn Schneyder heute gesteht: „Ich habe mich nie als Kabarettist gefühlt. Immer als Autor. Als Autor, der gemeint hat, es nütze seinen Texten, wenn er sie körperlich  vertritt, sichtbar für sie einsteht. Der Beruf müsste eigentlich Darstell-Dichter oder Schreib-Spieler heißen.“


Jetzt  (Anmerkung: das Interview stammt aus dem Jahr 1996),  da Werner Schneyder Abschied nimmt von der Kabarettbühne, stellt er mit einiger Verwunderung fest: „Ich habe als Zwölfjähriger im Radio jeden Dienstag den RIAS gesucht, um Günter Neumann und seine ,Insulaner' zu hören. Ich habe gar nicht verstanden wovon die reden, aber es hat mir gefallen, wie sie geredet haben. Ich habe nie davon geträumt, diesen Beruf auszuüben, aber ich habe den Film ,Wir Wunderkinder' gesehen, und die Herren Neuss und Müller haben gesungen ,Jetzt  kommt das Wirtschaftswunder', und das hat mir gefallen. Also wenn ich mich zurückerinnere, war ich immer schon ein deutscher Kabarettist. Vielleicht besteht die besondere Wirkung ja darin, dass ich deutsches Kabarett mit österreichischen Tonfall gemacht habe, denn dadurch war ich ein Unikat.“


Werner Schneyder hat sich auch mit dem österreichischen Kabarett auseinandergesetzt, zuletzt mit einem Qualtinger-Wehle-Abend für das „Theater in der Josefstadt“. Alles in allem verlief die Wiederbegegnung eher nüchtern: „Ich habe versucht zu testen, was davon heute noch hält. Es ist aber nicht meine Welt. Also habe ich versucht, meine Distanz kulinarisch rüberzubringen. Diese Heiligenbilder in der österreichischen Kabarett-Szene werden mir zu undifferenziert angebetet. Es gab einige grandiose Nummern, es gab hochtalentierte Leute, aber ein geschlossenes politisch-satirisches Lebenswerk, wie es etwa Dieter Hildebrandt vorlegt, da sehe ich hier nicht.“


„Ich schweige lieber, als dass ich mit 100 PS tobe“
Wenn Schneyder schon solche Hochachtung vor dem Altmeister Hildebrandt hat, warum möchte er dann selber keiner werden? „Nennen Sie es Eitelkeit, es ist ein Rollenfach, das ich mir nicht zumute, nicht zubillige. Ich habe so den Anstrich des Juvenilen, des Dynamischen, und diese Pose wird lächerlich, wenn man mir das Alter ansieht. Daher möchte ich aufhören, bevor man mir das Alter ansieht. Die zweite Möglichkeit ist die, dass man ruhig und weise wird, also, dass man wie Werner Finck auf der Bühne sitzt. Das liegt mir nicht. Ich schweige lieber, als dass mit 100 PS herumtobe.“
Im Privatleben von Werner Schneyder hat es schon viele Abschiede gegeben, bedingt vor allem durch Wohnortwechsel. Nach Salzburg und München ist der Autor - das ist die Berufsbezeichnung, welche Schneyder für am meisten adäquat hält - (wieder) in Wien gelandet, und er behauptet mit Bestimmtheit: „Das ist die letzte Wohnung in meinem Leben. Ich wohne jetzt fünf Minuten Fußweg von der ehemaligen Bassenawohnung entfernt, in der mein Vater aufgewachsen ist. Ich lebe jetzt im 3. Bezirk, der Heimaterde meiner Väter. Irgendwann lässt man sich beim Maßschneider noch einen erstklassigen Smoking machen, schaut


ihn liebevoll an und weiß, das ist der letzte. So entscheidend wird sich die Figur nicht mehr ändern. Ich bin in meinem Leben ein paarmal umgezogen, und zwar immer von einem schönen Wohnsitz zu einem anderen schönen Wohnsitz. Und ich habe nie einen sentimentalen Blick zurückgeworfen. Ich erinnere mich: ich bin in Salzburg aus diesem wunderbaren Garten hinausgegangen, habe abgeschlossen, und habe mich nicht mehr umgedreht. Ich bin seither nie mehr durch diese Straße gefahren. Und genauso ist es bei mir im Beruf: wenn ich das Gefühl habe, es ist etwas abgelegt, dann ist es zu Ende. Mag sein, dass das irgendwo im Inneren rumort, aber das würde ich nie gestehen, und nicht einmal mir selbst."


Auch in der Zukunft wird Werner Schneyder keine Gelegenheit auslassen, den Mitmenschen nicht ins Konzept zu passen. Wieso inszeniert ein Intellektueller, der über Tucholsky und Kästner schreibt und Karl Kraus („Die letzten Tage der Menschheit“) auf die Bühne bringt, ausgerechnet Operette? Schneyder: „Ich gehe als Liebhaber der Musik ans Werk. Was steht der Musik im Wege? Wahrscheinlich ist das Libretto nicht sehr gescheit. Was also dem heutigen Publikum davon nicht mehr zumutbar ist, das streiche ich. Und was von dem Gestrichenen für den Fortgang der Handlung notwendig ist, das ersetze ich . Letztlich läuft alles darauf hinaus dass niemand am Genuss dieser Lieder gestört werden soll.“


Schneyder wird weiter als Kommentator bei Boxwettkämpfen tätig sein, denn er kann sich „der Suggestion eines archaischen Zweitkampfes“ nicht entziehen, obwohl er das Ganze „natürlich für widersinnig“ hält. Aber die Zukunft ist ohnedies „Reimzeit“, wie auch der neue Gedichtband von Werner Schneyder heißt, über den sich der Autor mit seinem Münchner Verlag zerstritten hat. Der wollte nämlich das Buch nicht herausbringen, weil Gedichte heute nicht mehr gefragt seien. „Ich bin dann auf Umwegen bei einem Wiener Verlag gelandet, und wir stehen jetzt vor der dritten Auflage.“
Das „Biographie-Kabarett“ ist längst überholt
Als Zuschauer bleibt Schneyder dem Kabarett erhalten: „Ich bin ein sehr kritischer Zuschauer. Ich werde die Kollegen daran erinnern, dass der Bereich jetzt ausgeschritten ist, den ich das Biographie-Kabarett nenne, also das satirische Ironisieren des Privaten. Ich möchte gerne Programm sehen, in denen aktuelle Fragen angesprochen werden: sollen wir Militär nach Bosnien schicken: wie wird gespart und auf wessen Kosten. Nur begabt zu sein, das reicht nicht.“


Till Eulenspiegel sagt im ersten Schauspiel Schneyders: „Wenn der Schalk anfängt, Gepäck zu haben, dann ist es zu Ende.“ Das Gepäck sind, laut Schneyder, die Jahre. Und wohl auch ein wenig Resignation, wie er sie in seinem letzten Programm „Abschiedsabend“ formuliert: "Ich wollte doch, dass unsere Krägen platzen. Und zwar vor Wut. Und nicht auf Grund von Fett. So stehen wir da. Die Seelen haben Glatzen. Und unser Widerstand geht brav zu Bett."