Werden die Abtreibungsgegner mächtiger?

Von Nicsbloghaus @_nbh

“Marsch für das Leben – 2012″

Werden die Abtreibungsgegner, die sich selbst „Lebensschützer“ nen­nen,  stär­ker als bis­her wahr­ge­nom­men? Haben sie einen Grad der Vernetzung erreicht, der für die Gesellschaft gefähr­lich wer­den kann? Diesen und ande­ren Fragen stell­ten sich am Mittwochabend Jutta Dithfurth, Gisela Notz und Eike Sanders.

Das Familienplanungszentrum Balance hat am Ende des letz­ten Jahres ein klei­nes Büchlein her­aus­ge­ge­ben, zu dem die drei Genannten Beiträge gelie­fert haben. Auch ein Artikel des hpd ist im Buch ent­hal­ten, in dem über die Fachtagung „Sexuelle Selbstbestimmung“ im Roten Rathaus (2011) berich­tet wird.

Jutta Dithfurth las aus der Einleitung des Buches und erzählte aus ihrer lang­jäh­ri­gen Arbeit für Frauenrechte. Das war erfreu­lich locker, offen und amü­sant. Obwohl sie Themen ansprach, die die­sen Zuschreibungen wahr­lich nicht ent­spre­chen. So wies sie auf den letz­ten UN-Bericht hin, nach dem jede vierte Frau welt­weit nicht ein­mal die Möglichkeit hat, zu ver­hü­ten. Der hpd berich­tete bereits im Oktober des letz­ten Jahres über eine ent­spre­chende Studie des National Survey of Family in den USA.
Über die aktu­elle Situation sagt sie: “Mit ideo­lo­gi­scher, juris­ti­scher und kör­per­li­cher Gewalt grei­fen [die Abtreibungsgegner] Ärt­zIn­nen und Beratungseinrichtungen an. Sie nut­zen auch  das Internet, um die­je­ni­gen, die das sexu­elle Selbstbestimmungsrecht der Frauen ver­tei­di­gen, ein­zu­schüch­tern.”

Sie wies dar­auf hin, dass schon allein die Wortschöpfung vom “unge­bo­re­nen Leben” eine krea­tio­nis­ti­sche ist, da hier davon aus­ge­gan­gen wird, dass Zellhaufen “gleich nach der Vereinigung kleine Menschen sein wür­den, die nur noch ein biss­chen wach­sen müss­ten.” Ditfurth warnte vor einem Rollback der Gesellschaft.

Gisela Notz ist Historikerin und so ver­wun­derte es nicht, dass sie einen kur­zen Abriss zur Geschichte der Abtreibung und spe­zi­ell des Paragrafen 218 gab.

Die Abtreibungsgegner, die selbst­er­nann­ten “Lebensschützer”, sind für Gisela Notz bereits in der Mitte der Gesellschaft ange­kom­men. Sie sind gut ver­netzt und auch im Bundestag ver­tre­ten. Ärzte, Juristen und Journalisten gehö­ren zu ihnen.

So sprach sie von den auch in Berlin statt­fin­den­den “Märschen für das Leben”. Im Buch – aus dem sie Teile las – schreibt sie über den “Marsch für das Leben” 2011. Darin weist sie die Verwicklung der “Lebensschützer” und der Politik nach: “Auch die Aktion im Herbst 2011 wurde … von Grußworten von Vertretern der Amtskirchen und der Bundesrepublik sowie des Europäischen Parlaments beglei­tet. Diesesmal waren es unter ande­rem: Rainer Maria Woelki (Erzbischof von Berlin), Hubert Hüppe (CDU, bis 2009 MdB, jetzt Mitglied der katho­li­schen Arbeitnehmerbewegung und Behindertenbeauftragter der Bundesregierung), Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Bischof der Pommerschen Evangelischen Kirche), Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Joachim Kardinal Meisner (Erzbischof von Köln), Volker Kauder (MdB, Vorsitzender der CD(/CSU-Franktion), Prof. Dr. Maria Böhmer (Staatsministerin der Bundeskanzlerin), Wolfgang Bosbach (CDU, MdB)…”

Diese Damen und Herren (und noch wei­tere, die auf­ge­führt wer­den), kön­nen sich der Unterstützung durch “Herrn Ratzinger” (wie ihn Frau Dithfurth nannte) gewiss sein. Denn der belehrte im Februar 2010 die Mitglieder der “Päpstlichen Akademie für das Leben”: “Eine Abreibung löst nichts aus, son­dern tötet ein Kind, zer­stört die Frau, blen­det das Gewissen des Vaters und rui­niert oft das Familienleben.”

Man möchte erbre­chen, wenn man dies liest und dabei bedenkt, dass Millionen afri­ka­ni­sche Kinder ster­ben, weil Rom Kondome ver­bie­tet; Kinder unge­wollt gebo­ren wer­den und bereits mit AIDS infi­ziert sind, wenn sie denn über­haupt lebend auf die Welt kom­men. Sterben wegen einer Sexualmoral, die nicht nur aus der Zeit fällt, son­dern men­schen­ver­ach­tend ist. Man muss dazu nicht ein­mal bis nach Afrika schauen: ein Blick gen Köln genügt, um zu sehen, wel­che Auswirkungen das haben kann.

Doch zurück zur Lesung: Interessant und bis­her öffent­lich so gut wie nicht wahr­ge­nom­men sind die Schnittmengen zwi­schen der Extremen Rechten und den selbst­er­nann­ten “Lebensschützern”. Hier hat das apa­biz (Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V.) recher­chiert und erdrü­ckende Beweise auf­ge­führt. Einiges davon trug Eike Sanders davon vor. Es würde den Rahmen des Artikels spren­gen, wenn ich hier die Verflechtungen im Einzelnen aus­füh­ren würde. Dazu sein das Buch emp­foh­len. Nur aus dem Schlussabsatz möchte ich etwas zitie­ren: Die christ­li­chen Parteien AUF und PBC kön­nen in Berlin als par­tei­po­li­tisch“irre­le­vant bezeich­net wer­den. Anders muss der Einfluss christlich-fundamentalistischer Organisationen auf die gesell­schafts­po­li­ti­sche Ebene bewer­tet wer­den. Durch öffent­li­che Auftritte … und durch publi­zis­ti­sche Lobbyarbeit for­mie­ren sie eine christ­li­che Opposition, die den quasi-säkularen Charakter gesell­schaft­li­cher Rechte und Gesetze nicht nur in Frage stellt, son­dern abschaf­fen will … Die anvi­sierte ‚christ­li­che Kulturrevolution‘  steht sicher nicht vor der Tür, doch der Einfluss der christ­li­chen FundamentalistInnen könnte zumin­dest bei der Beschneidung der Freiheitsrechte Anderer zum Tragen kom­men.”

Nic

Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter-)nationalen Raum - Ist die sexu­elle Selbstbestimmung von Frauen heute in Gefahr? - ISBN 978-3-940865-32-8 I 2012 I 95 S. I 14,00 € 

[Erstveröffentlichung: hpd]

wei­tere Pressemeldungen:
TAZ: Der Hass der „Lebensschützer“
Telepolis: Angriff der christ­li­chen Taliban?

Aber auch:
kath.net: Widerstand gegen Abtreibungswerbung auf Facebook
Brights-Blog: Großrabbiner: Abtreibung jüdi­scher Kinder ist „Mord“

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