Für den Ohrfunk habe ich mir mal kurz die Frage gestellt, wer die Gelbwesten in Frankreich sind und was sie wollen. Ich nehme aber mal an, in den nächsten Wochen werde ich noch mehr darüber schreiben.
Am Montag begann in Polen mal wieder eine Klimakonferenz. Man müsse doch jetzt endlich mal anfangen, die politischen Beschlüsse von Paris umzusetzen und etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Einigen Menschen scheint zu dämmern, dass es schon fast zu spät ist: Ausgerechnet im rechts regierten Österreich werden Plastikbeutel abgeschafft. Das ist ein erster, nicht zu übersehender Schritt. Doch in Paris, wo die Hoffnung auf Veränderung 2015 ihren Höhepunkt erreichte, zeigt sich jetzt, dass die Chance für Veränderungen auf breiter Basis scheinbar endgültig vorüber ist.
Es hatte mit den Protesten gegen eine weitere Maßnahme gegen den Klimawandel begonnen: Der französische Staatspräsident Macron gab die Erhöhung der Treibstoff- und Benzinpreise bekannt. Daraufhin formierte sich ein kaum erwarteter landesweiter Protest. In gelben Warnwesten gingen die Franzosen auf die Straße. Sie protestierten gegen die hohen Benzinpreise und die Ökosteuer, gegen die Teuerung bei Gas und Öl, gegen die strengeren Abgasnormen bei alten autos. Der sogenannte kleine Mann auf der Straße ist nicht bereit, einschneidende Maßnahmen mitzutragen, die an seinen Geldbeutel gehen, und bei dieser Ablehnung wird er natürlich von den rechten Bauernfängern unterstützt. Sie können so die Unzufriedenheit schüren, sich eine Machtbasis erobern und ihre Hassbotschaften in die Proteste einstreuen.
Nun ist Frankreich ja immer schon das Land der Revolutionen und der überkochenden Leidenschaften gewesen; Ständig gingen die großen Veränderungen in den Gesellschaften Europas von hier aus. Insofern lohnt es sich, dem Protest der Gelbwesten, der langsam auch auf die Benelux-Länder übergreift, einen genaueren Blick zu schenken. Denn so sehr sich die rechten Scharfmacher diese Proteste auch zunutze machen, so berechtigt sind die forderungen der Menschen auf der Straße. Im neoliberalen Europa präsentiert man den finanziell Schwachen immer die Rechnung für die Maßnahmen der Regierung, die sich niemals trauen würde, die Profitspanne der Großkonzerne auch nur anzutasten. Anstatt Umweltmaßnahmen über Unternehmens- und Gewinnsteuern mitzufinanzieren, werden die Lasten einseitig auf die Verbraucher abgewälzt. Natürlich hat dies auch einen erzieherischen Effekt: Die Leute sollen durch höhere Benzinpreise dazu gebracht werden, weniger mit dem Auto zu fahren. Doch da diese Lastenverteilung so einseitig ist, gelingt es kein bisschen, bei den Menschen Verständnis für die Preiserhöhung zu wecken. Vielleicht wäre das vor ein paar Jahren, als die Klimawandelleugner mal mit dem Rücken zur Wand standen, besser möglich gewesen.
Ich glaube, wir haben die Chance verpasst, notwendige Veränderungen im Konsumverhalten durch Konsenz in der Gesellschaft zu erreichen. Unterstützt von rechten und linken Radikalen und Extremisten schauen alle nur noch auf die Wahrung ihres bescheidenen Besitzstandes. Zu lange haben die Regierenden sich auf Kosten der unteren Mittelschicht und der Armen bereichert, zu deutlich sind die Zeichen der Ungerechtigkeit überall zu sehen. Wer den Menschen, die täglich für ihr Auskommen kämpfen, etwas von der Gerechtigkeit des Marktes vorschwärmt, beleidigt die Intelligenz jedes schwer arbeitenden Mitbürgers und jeder alleinerziehenden Mutter.
Die Gelbwesten schicken sich an, zu einer sozialen Massenbewegung zu werden. Stephane Hessel, einer der Gründer des lange Jahre funktionierenden französischen Sozialstaates, forderte kurz vor seinem Tod die Franzosen auf, sich gegen die Demontage dieser Nachkriegserrungenschaft zu empören. Jetzt scheinen sie seinen Ruf gehört zu haben, mit mehr Wut und mehr Gewalt, als er sich das vermutlich gewünscht hätte. Regierende Demokraten und Postdemokraten sitzen jetzt allerdings in einer Zwickmühle: Geben Sie den Forderungen nach, fördern sie ungewollt umweltschädliches Verhalten. Bleiben sie bei den einschneidenden, spürbar schmerzhaften Maßnahmen hart, begünstigen sie eine rechte Revolte. Sie haben zu lange gezögert, hatten zu lange Angst, den Menschen notwendige Veränderungen zu vermitteln. Helfen könnte jetzt nur noch eine vollständige Beseitigung der Austeritätspolitik, spürbare Verbesserungen der Sozialleistungen, Lohn-
und Steuergerechtigkeit, und dann die richtige und notwendige Erhöhung der Benzinpreise. Und man muss endlich aufhören, in denen, die vor unseren Waffen, die für unser Gewinnstreben produziert und verkauft werden, fliehen müssen, die Ursache allen Übels und die Schuldigen für die wirtschaftliche Verelendung immer breiterer Bevölkerungsschichten zu suchen.