München. Einige Anwaltskanzleien verdienen viel Geld damit, dass sie Leute einschüchtern: mit Abmahnungen wegen angeblicher Urheberrechtsverstöße. Man habe, heißt es in einer Abmahnung der einschlägig bekannten Münchner Kanzlei Waldorf und Frommer, „illegal urheberrechtlich geschützte Werke im Internet heruntergeladen und weltweit verbreitet“:
„Im Rahmen der Ermittlungen wurde festgestellt, dass das Werk unserer Mandantschaft unter der aufgeführten IP Adresse weltweit allen Nutzern der Tauschbörse bittorent zu angegebenen Zeit zum Herunterladen angeboten wurde.“
Dann kommt der Titel des Films, der Name des Rechteinhabers, Datum und Uhrzeit der angeblichen Rechtsverletzung – hier: 26.12. 7 Uhr 17 Min. und 19 sek bis 7h 18:53. Wie man in weniger als 2 Minuten mit einem 16000er Internetanschluss einen Film herunterladen und zum weltweiten Teilen zur Verfügung stellen kann erklären die Herren Rechtsanwälte nicht. Auch fragen sie nicht, was der Beschuldigte zu den Vorwürfen zu sagen hat. Sie fordern sofort eine „strafbewehrte Unterlassungserklärung“ inklusive Geständnis und Geld: 956 Euro, beides binnen einer Woche.
Das Absurde: Diese Abmahnung traf eine allein lebende ältere Dame, die das Internet nur alle paar Tage mal nutzt, um das Kino- oder Theaterprogramm aufzurufen. Ansonsten DAU. Von Tauschbörsen, Filesharing und ähnlichem hatte sie in ihrem Leben noch nicht mal gehört, geschweige denn jemals online Filme angesehen, heruntergeladen oder geteilt. Ihr Computer war am zweiten Weihnachtsfeiertag um nachtschlafende 7 Uhr 17 ausgeschaltet, ihr Speedport-Router neu und WPA2-verschlüsselt.
Dennoch zahlt sich Dreistigkeit aus: Das Vorgehen sei legal, wie mir die Bundesnetzagentur und andere Experten bestätigt haben. Wenn nur jeder Hundertste aus Angst vor den angedrohten „rechtlichen Konsequenzen“ zahlt (egal ob der Vorwurf zutrifft oder nicht) hat sich der Aufwand für die Kanzlei schon gelohnt. Abzocke, an der sich in diesem Fall auch die Verbraucherzentrale Bayern beteiligt: Auf ihrer Internetseite bietet sie eine E-Mail-Beratung für Abmahn-Opfer an: Man schildert den Fall per Mail und bekommt eine Eingangsbestätigung von einer Münchner Anwaltskanzlei. Gemeldet hat sich diese erst nach diversen telefonischen Nachfragen. Die Leistung: Eine vorformulierte „modifizierte Unterlassungserklärung“, wie man sie problemlos auch auf mehreren Internetseiten frei zugänglich als Muster findet. Diese solle man per Einschreiben und Rückschein an die Abmahn-Kanzlei schicken. Die Verbraucherzentrale bucht für diese „Leistung“ 90 Euro vom Konto ab.
Die IP-Adresse haben sich die Abmahn-Anwälte vom Provider des Opfers geholt: in diesem Fall der Deutschen Telekom. Diese muss die Daten nach dem UrhG (Urheberrechtsgesetz) herausgeben (die anderen Provider genauso). Fragt dann der Kunde nach den selben Daten, antwortet die Telekom auf Mail-Anfrage nach zwei Wochen:
„Ihnen wird von einem Anwalt vorgeworfen, in einer Internet-Tauschbörse über sogenanntes Filesharing urheberrechtsgeschützte Inhalte angeboten zu haben. Wir verstehen gut, dass Sie dazu Fragen an uns haben, und haben Ihnen eine Übersicht mit den häufigst gestellten Fragen beigefügt. Da wir die zugewiesenen IP-Adressen nur für sieben Tage speichern, diese ggf. nach Eingang eines Gestattungsbeschlusses gesondert sichern und nur bis zum Abschluss der Verauskunftung vorhalten, können wir Sie leider nicht entlasten. Der Vorgang und die entsprechenden Daten werden nach einer Beauskunftung ordnungsgemäß vernichtet. Des Weiteren werden Angaben zu Ihren online Aktivitäten (getätigte Down- und Uploads, besuchte Internetseiten usw.) und zu Ihren genutzten Endgeräten (Mac-Adresse) grundsätzlich nicht gespeichert.“
Grund: Datenschutz, genauer: das Verbot der Vorratsdatenspeicherung.
Anscheinend haben die Abmahner noch rechtzeitig innerhalb der 7-Tage-Frist bei der Telekom die IP-Adresse abgefragt. Die gibt die Infos heraus – und löscht den Datenbestand.
Ich habe zwei IT-Journalisten gefragt, ob sie über diesen Irrsinn eine Geschichte schreiben wollten. Beide haben mir mit vielen, vielen Tipps sehr geholfen (Danke!), meinten aber, das Problem sei bekannt, rechtlich nicht angreifbar und in den Redaktionen interessiere sich niemand (mehr) dafür. Meine Petition an den Gesetzgeber (Bundestag und Landtag NRW für eine entsprechende Bundesratsintiative) geht hoffentlich demnächst online. Ziel: Gesetzesänderungen, die diesen für die Opfer teuren und zeitraubenden Unsinn unterbinden. Warum sollen Unbeteiligte dafür haften, dass die Filmindustrie keinen funktionierenden Kopierschutz zustande bringt und die Betreiber der Tauschbörsen unerreichbar irgendwo im Ausland sitzen.