Damals hatte ich ein wenig Ahnenforschung betrieben und mich u.a. mit dem Dritten Reich befasst. Schließlich stellte ich die Frage, die so viele Söhne ihren Vätern stell(t)en, wenn diese am Zweiten Weltkrieg teilnahmen. Mein Vater war Jahrgang 1927. Viele Patronen konnte er offenbar nicht abfeuern, erzählte stattdessen, wie sie als Minderjährige mit Suppenkübeln durch Wälder eilten. Er geriet aber in französische Gefangenschaft und musste dort unter Tage arbeiten (wo, wie er betonte, die marokkanischen Aufseher die unmenschlichsten waren, während er mit den Franzosen auch später noch Freundschaft hielt). Ich bohrte und bohrte, wollte wissen, was er im Krieg so angestellt hatte. Schließlich sagte er entnervt: "Ja, ich war ein Nazi."
Es ist fast wie mit Judenwitzen - Juden selbst dürfen sie natürlich erzählen, alle anderen sollen vorsichtig sein. Darum durfte mein Vater, ein gelernter Landwirt, als Betroffener auch einen zynischen Schlusspunkt zu unserem Gespräch setzen, ein 55-jähriger dänischer Künstler darf dies jedoch nicht ungestraft tun. Freiheit des Geistes sieht anders aus. Wie heißt es doch so schön: Man beurteile einen Menschen nicht nach seinen Worten, sondern nach seinen Taten. Mein Vater musste sich darum auch bei niemandem weicheiig für seinen Satz entschuldigen. Der dänische Regisseur tat es - und damit der Meinungs- und Redefreiheit wie der Aufgabe eines Künstlers so wenig einen Gefallen wie die Verantwortlichen des Filmfests.
(Abbildungen: Beim Aufräumen des Kellers meiner Mutter haben wir vor ein paar Wochen diese Schulunterlagen mit Schreibübungen meines Vaters entdeckt. Die Beilage zum Abschlusszeugnis kann einen ob ihrer kräftigen Worte zur Heimatliebe - wenn man den "Führer" wegstreicht - durchaus beeindrucken; zu meiner Zeit gab es beim Abitur einen läppischen Text von Alexander Solschenizyn, von einem Schuldirektor, der den Eindruck eines Kommunistenhassers gemacht hatte.)