“Die falsche Zofe” von Pierre Carlet de Marivaux in einer Bearbeitung von Nicole Metzger als Ehewarnung im Theater Spielraum
Eine abgehalfterte Existenz, die trotz großer Lebensweisheit dennoch vor menschlichen Überraschungen nicht gefeit ist. Ein jugendlicher Herzensbrecher, der sich die Damen ausschließlich nach ihrer finanziellen Ausstattung aussucht. Eine liebesverblendete Gräfin, die ihre Liebesabenteuer mit Verträgen absichern möchte und eine reiche, junge Frau aus Paris, die sich als Chevalier verkleidet, um ihren Zukünftigen auf die voreheliche Probe zu stellen.
Das sind die vier Charaktere in „Die falsche Zofe“ von Pierre Carlet de Marivaux. Jenem beinahe vergessenen französischen Autor, der wie kein Zweiter die menschlichen Liebesbeziehungen, oder was man gemeinhin für solche hält, psychologisch gnadenlos sezierte. Schon zum zweiten Mal widmet sich Nicole Metzger mit ihrem Team vom Theater Spielraum diesem Ausnahmeautor. Nach dem Stück „Der Streit“ inszenierte sie dieses Mal ein Spiel über vorgetäuschte Emotionen und der berechnenden Missachtung von Gefühlen. Wer heiratet, ist selbst schuld, könnte der Untertitel dieser Aufführung sein. Wie schon in der ersten Marivaux-Aufführung glänzt auch diese mit Wortwitz und schwindelerregenden Handlungsverläufen. Der Genuss daran rührt sicherlich auch aus einer Bewunderung für die schlagfertigen Dialoge, die man in ähnlicher Art auch in französischen oder amerikanischen Gesellschaftskomödien finden kann. Der Kitzel beim Zusehen besteht hauptsächlich aus der Erkenntnis, dass man selbst ein Streitgespräch nie in derart gewählten Worten führen könnte. Eine Bewunderung, die auch heute noch in vollem Maße dem Autor dieser kleinen Meisterwerke gehört.
Die Rolle des Trivelin scheint Christoph Prückner auf den Leib geschrieben
Marivaux´ brillante Denkkaskaden, die nicht nur zu seiner Zeit den gesellschaftlichen Rahmen sprengten, machen einfach Spaß. Dass sich dazu auch noch eine Inszenierung fügt, die diesen in den Vordergrund stellt, verdoppelt den Genuss. Christoph Prückner ist dafür maßgeblich verantwortlich. Mit seiner Figur des Trivelin, einem heruntergekommenen Diener, der sich durch seine vermeintliche Menschenkenntnis und damit zusammenhängende, kleine Erpressungen über Wasser hält, belebt er die Szenerie ungemein. Seine wunderbar komische Erzählung über die erdichteten amourösen Abenteuer der Gräfin mit dem Chevalier unter Zuhilfenahme von Flaschen, lässt das Publikum mehrfach laut auflachen. Dabei kommt ihm ohne Zweifel seine mittlerweile 25jährige Theatererfahrung zugute. Die Blickkontakte mit dem Publikum wirken nie gekünstelt, seine elegante Aussprache, aber vor allem sein komödiantisches Talent, das er mit einer starken Bühnenpräsenz vereint, ergeben ein schauspielerisches Gesamtpaket, das man gerne kauft.
Dana Proetsch stöckelt in atemberaubenden Highheels als Gräfin über einen Laufsteg, der für sie die Bretter ihrer adeligen Welt bedeutet. „Savoir vivre“, was man im Deutschen noch am ehesten mit dem Wissen um die Etikette übersetzen kann, steht in ihrer Werteskala ganz oben. Sie ist mit seinem schwarzen Bustier und einem ebensolchen Taftrock ausstaffiert, durch den jedoch ein Hauch von Goldschimmer blitzt, um auf ihre finanzielle Ausstattung hinzuweisen. Herrlich, wie sie sich geziert um die Gunst des Chevaliers bemüht – zurückhaltend aufgrund der ihr auferlegten Regeln und zugleich verärgert über das Nichtankommen ihrer Liebesbotschaft. Christian Kohlhofer, der sich als Lelio durch einen Vertrag an ihre Liebe gebunden fühlt, erscheint als hartherziger und schmieriger Liebhaber, dem jedoch die Intelligenz zu einem Liebesausstieg fehlt, bei dem er sich nicht in Schulden stürzen muss.
Sprechende Kostüme von superated Peter Holzinger
Seine rot geschminkten Augen zeugen von seiner Intrigenschaft genauso wie von seiner Habgier, die jedes Liebesgefühl verkümmern lässt. Die nur teilweise rot geschminkten Augen von Madame wiederum sind eine proportionale Entsprechung dieser alles berechnen wollenden Beziehung. Superated Peter Holzinger, der für die Ausstattung sorgte, hat hier einen wunderbaren Querverweis auf die letztlich doch sehr ähnliche seelische Interessenlage der beiden Figuren geschaffen. Auch in Katharina Köllers Kostüm findet sich die Erklärung ihrer Motivation, in das Spiel um die Liebesverwirrungen einzusteigen. Ganz in Cremeweiß und Silber ist sie eine perfekte Antipodin für Lelio, dessen schwarzes Hemd, schwarze Kniebundhose und vor allem seine schwarzen Lackstiefel Rückschlüsse auf seine verderbte Handlungsweise geben. Weiss steht hier weniger der Unschuld als vielmehr der Intelligenz der falschen Zofe alias des Chevalier geschuldet, mit der sie ausgestattet ist. Und die Farbe Silber deutet von ihrer weniger noblen Abkunft als die Gräfin, wenngleich das intensive Glitzern ihrer Schuhe auf ihren größeren Reichtum verweist.
Bezüge zum Hier und Jetzt
Dass das Spiel nicht im Gestern verhaftet bleibt, dafür sorgt nicht nur jene Barmusik, die zeitweise das Geplänkel und Gezänk von Lelio und seiner Gräfin untermalt, sondern auch das eingangs gespielte Video von Reinhold Kammerer. Darin wird in rascher Schnittfolge eine witzige Collage von menschlichen Befindlichkeiten rund um das Thema der Ehe und Liebe präsentiert, das so manche gesellschaftlich anerkannte Absurdität demaskiert. Svetlana Schwin ist für eine Lichtführung verantwortlich, die den Raum gekonnt punktuell auch über das Hauptgeschehen auf der Bühne in Szene setzt. Trivelin, aber auch die Gräfin und Lelio versinken im letzten Bild gerade so im Dunkel, dass die Trostlosigkeit ihrer gebrochenen Herzen und die Nichterfüllung ihrer Träume dadurch eine sinnbildhafte Entsprechung erfahren.
Das Ende, das mit keinem Sieger und keiner Siegerin aufwartet, ist nicht nur für barocke Zeiten ein gewagtes. Wer sieht sich schon gerne mit Verlierern konfrontiert? Pierre Carlet de Marivaux, von dessen Leben nur einige markante historische verbriefte Stationen bekannt sind, scheute sich nicht vor einem solchen Schluss. Und macht damit sein Werk zeitgeistiger als jeder verkitschte Liebesroman der aktuell Millionenauflagen erzielt.
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