Wer hat hier eigentlich recht?

Projektleiter Hugo leitet das wöchentliche Meeting zum Projektfortschritt. Während er über die anstehenden Meilensteine referiert, fällt ihm plötzlich sein Stellvertreter ins Wort – er spricht von der seiner Meinung nach unzureichenden Detailtiefe bei der Planung der Teilziele und bringt neue Vorschläge zur Herangehensweise. Hugo weiß in der Situation erst einmal nicht, warum ihm Peter jetzt in den Rücken fällt. Das Meeting nimmt nun einen relativ unkoordinierten Verlauf. Auch bei den nächsten Punkten, die zur Klärung stehen, ergreift Peter immer wieder das Wort und spricht (vermeintliche) Aspekte an, die mit Hugo davor überhaupt nicht besprochen waren. Hugo ist sehr erleichtert, als das Meeting vorbei ist – er muss sich jetzt zuerst einmal sammeln. „Was war denn da passiert?“, fragt sich Hugo ratlos.
Nach einer Weile dämmert es ihm – Peter wollte ebenfalls diese Stelle als Projektleiter; er ist schon lange Jahre im Unternehmen und immer noch sehr ambitioniert. Hugo selbst ist erst seit einem halben Jahr dabei. Um ihm den Einstieg zu erleichtern, wählte das Management Peter zu seiner Unterstützung als Stellvertreter aus. Das fühlte sich für Peter als Rückschritt an, weil er sich schon seit längerem als Projektleiter sieht. Hugo hatte nicht das Gefühl, dass er Peters anfängliche Einwände nicht beachtet hätte. Doch jetzt ist er ziemlich sauer, weil ihm Peter dermaßen in die Parade gefahren ist – und das auch noch vor dem ganzen Team.

Wer hat hier eigentlich recht?

Quelle: Fotolia.de


Am folgenden Nachmittag trifft er wieder auf Peter – Hugo bittet ihn um ein Gespräch. Dabei führt Peter immer wieder die fachlichen Mängel in Hugos Planung an und verweist darauf: „Das habe ich dir schon zu Anfang gesagt“. Was Peter aber eigentlich störend findet, ist, dass er zum wiederholten Male Fehler ausbügeln muss, die nicht auftreten würden, wenn er selbst die Leitung für das Projekt hätte. Auch findet er es ungerecht, dass ihm immer wieder so ein Anfänger vor die Nase gesetzt wird, er aber in der Pflicht steht wenn es kritisch wird. Grundsätzlich hat er nichts gegen Hugo, aber seiner Meinung nach wäre es sinnvoller wenn Hugo als sein Stellvertreter langsam in die Führungsposition eingeführt würde. Hugo vertraut Peters Erfahrung und argumentiert in der Aussprache damit, dass er Peters Rat sehr wohl schätzt und ihn nicht als „Untergebenen“ betrachtet, doch die Präsentation im Meeting seine Aufgabe gewesen sei. Die Einwände von Peter empfand er in dem Moment als unfair. Peter hat seine Einwände nicht im Vorfeld angeführt, das hat Hugo geärgert. Auch betont er nochmals, wie wichtig es für ihn ist jemanden an seiner Seite zu haben, der so viel Erfahrung wie Peter hat. Er schlägt ihm vor, dass die Präsentationen für die Teammeetings in Zukunft gemeinsam ausgearbeitet werden, damit eventuelle Unstimmigkeiten im Vorfeld sichtbar werden. Hugo betont nochmals, dass er Peters Meinung schätzt, und dass er sehr froh ist einen so erfahrenen Stellvertreter zu haben. Auch erwähnt er, dass er für zukünftige Projekte Peter als Projektleiter unterstützen möchte und sie dann ja auch durchaus die Rollen tauschen könnten. Peter scheint sich nun deutlich wohler zu fühlen und die gemeinsame Arbeit im Projekt wird wieder konstruktiv. Was Hugo getan hat: Er ist nicht auf die Sachthemen, die Peter anführte eingegangen, sondern hat die für Peter schwierige Beziehungsseite angesprochen und ihm seine Wertschätzung mitgeteilt. Dadurch konnte er den eigentlichen Ärger Peters besänftigen und zu einer konstruktiven Lösung kommen.
Fazit:
  • Konflikte haben stets mehrere Ebenen. Häufig wird die Sachebene vorangestellt, obwohl sich dahinter ein emotionaler Konflikt versteckt. Wie bei einem Eisberg liegen mehr Themen unsichtbar unter der Oberfläche, als zunächst sichtbar. 

  • Für eine Konfliktlösung ist es wichtig, dass alle Themen angesprochen werden, nicht nur die sachlichen. Dazu muss jedoch ein entsprechendes Vertrauensverhältnis bestehen. Haben Sie als Projektleiter Mut, Vertrauen zu geben. Dann wird es Ihnen auch entgegengebracht. 

  • Da jeder eine Situation anders wahrnimmt und interpretiert, ist es wichtig, eine Lösung zu entwickeln, die die Perspektiven aller Beteiligten berücksichtigt. Jeder hat seine eigene Wahrnehmung einer Situation, und die muss nicht zwangsläufig mit der des anderen übereinstimmen. Hinterfragen Sie als Projektleiter öfter mal konfliktreiche Situationen: „Wie sieht denn dieser Punkt aus der Perspektive der Gegenseite aus?“
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