Deutschland ist bekanntlich ein Land das Verbote überhaupt nicht mag. Macht jemand einen Weltverbesserungs-Vorschlag wie: "zur Vermeidung von XY sollten wir jetzt (regelmäßig) das und das machen" oder "führen eine Obergrenze ein für" erschallt schnell die Antwort "DAS WÄRE JA DIKTATUR".
Interessanterweise werden solche Rufe nur bei Vorschlägen laut wo wir eigentlich wissen, dass sie gesund und vernünftig sind. Wir wollen es aber nicht zugegeben, oder noch schlimmer: Wir wollen uns nicht einer Veränderung anpassen.
Um mal kurz psychologisch auszuschweifen: Untersuchungen und Studien haben bewiesen, dass alle Menschen vor allem Angst vor einem haben, nämlich Veränderungen. Menschen zögern Veränderungen bis zuletzt hinaus weil sie annehmen, dass Veränderungen dazu führen, dass es ihnen anschließend schlechter geht.
Und es stimmt. Menschen geht es während der Veränderung von gewohnten Lebenssituationen schlechter als vorher. Das Ablassen vom Gewohnten schafft Unsicherheit und sogar schlimmer: das Fehlen von Vorausschaubarkeit.
Um nur ein Beispiel zu nehmen: Als man damals über ein Rauchverbot in Kneipen und Gaststätten nachdachte waren viele dagegen und die Wirte hatten Angst, dass danach die Gäste ausbleiben.
Wenn sich aber ein paar Wochen oder Monate nach einer notwendigen Veränderung ein "Gleichgewicht" eingestellt hat, ist man in den meisten Fällen zufriedener ("glücklicher") als vorher. Heute regt sich kaum ein Wirt mehr darüber auf, dass in der Kneipe nicht mehr geraucht werden darf. Raucher finden mitunter das Rauchverbot gut, weil man auf Raucherpausen schnell neue Menschen kennenlernt.
Erinnern Sie sich daran wann Sie das letzte Mal mit einem Partner Schluss gemacht haben und wie es Ihnen schon kurz darauf wesentlich besser ging? Und wie sehr Sie sich grämen, dass Sie das nicht schon früher gemacht haben? ("Jetzt im Nachhinein war doch alles ganz logisch und folgerichtig! Das hätte ich doch schon viel eher getan haben können!")
Ich zitiere mal aus einem Stern-Artikel zu dem Thema:
"Der Leidensdruck muss schon erheblich sein, um sich auf Fremdes einzulassen", sagt der Bremer Neurobiologe Gerhard Roth. "Die meisten Menschen kämpfen dann nicht nur mit der Angst vor Neuem, sondern gleichzeitig mit dem Verzicht auf den gewaltigen gehirneigenen (Gewöhnungs-)Bonus." Es kann sogar noch ein ordentlicher Malus obendrauf kommen: Das Gefühl von Wert- und Haltlosigkeit bei einschneidenden Veränderungen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes oder beim Scheitern der Ehe aktiviert die gleichen Areale im Gehirn wie körperlicher Schmerz. In beiden Fällen wird ein Botenstoff ausgeschüttet, den Forscher auch Substanz P nennen; der Buchstabe steht für das englische Wort pain - Schmerz.
Ähnlich verhält es sich mit den Weltverbesserungsvorschlägen die ab und an aufkommen und von Gewohnheitsverteidigern ("Wo kämen wir denn dahin?") sofort und gnadenlos niedergeredet werden.
Renate Künast machte vor ein paar Tagen den Vorschlag in öffentlichen und privaten Kantinen ab sofort einmal die Woche mittags nur vegetarisches Essen anzubieten. Die Hotel- und Gaststättenpartei FDP attackierte das sofort und meinte, man könne den Menschen nicht vorschreiben was sie essen sollen. In Leserbriefen ergoss sich die Wut ("Essens-Diktatur!") und Ironie der deutschen, fleischessenden Bevölkerung ("Und einmal die Woche sonntags baden.")
Meine Eltern haben dieses Jahr eine Entgiftungs-Diät ihres Heilpraktikers gemacht und sich die Woche über vegetarisch oder sogar vagen ernährt. Nur einmal die Woche (sonntags quasi) gab es Fleisch. Und keinen Alkohol. Das Resultat: mein Pappa verlor 12 Kilo, meine Mutter verlor 8 Kilo und beiden geht es heute viel besser als früher.
Vor fünf Jahren als ich Vegetarier wurde war so eine Lebensweise für die beiden total unvorstellbar heute regt sich mein Vater über all die Kritiker des Gemüse-Vorschlags auf. Mit der Diät legten meine Eltern alte Gewohnheiten ab und heute geht es ihnen besser als früher.
Ärzte raten dazu, weniger Fleisch zu essen. Ist man für Umwelt- und Klimaschutz sollte man weniger Fleisch zu essen. Will man den Regenwald retten sollte man weniger Fleisch essen. Möchte man nicht, dass Tiere für einen sterben sollte man weniger Fleisch essen. Möchte man nicht hungernden Afrikanern und Südamerikanern das Essen nicht wegessen sollte man weniger Fleisch essen. Will man gesünder und länger leben sollte man weniger Fleisch essen.
Das problematische mit dem Grünen-Vorschlag ist jetzt nur, dass da "Zwang" dahinter steht. Menschen, und vor allem Deutsche, lassen sich ungern zu etwas zwingen. Weil das ist ja keine freiwillige Veränderung und an Tagen wo man mittags nur Gemüse ist wird man unermesslich leiden oder gleich die Dönerbude um die Ecke aufsuchen. Dass das Essen dort nicht gesünder ist, brauch ich hier keinem erklären. Aber wann ändern wir unser Verhalten denn schon mal freiwillig?
In den letzten Jahrzehnten haben wir in Gaststätten und Zügen das RauchVERBOT eingeführt und jetzt stinken unsere Klamotten nicht mehr so sehr. Wir haben eine GurtPFLICHT in Autos eingeführt und jetzt sterben weniger Menschen im Straßenverkehr. Würde es uns wirklich schlechter gehen, wenn wir dazu gezwungen würden weniger Fleisch in der Woche zu essen?
Wenn ich mir die Politik anschaue und sehe wer im Wahlkampf von einem "besseren Deutschland" redet und wer nicht, dann ist das schon komisch, dass die "Nicht-Verbesserer" in den Umfragen vorne liegen. Das deutsche Volk möchte Angela Merkel wiederwählen nicht weil es mit ihr Hoffnung auf Besserung gibt, sondern weil man Angst vor an sich notwendigen Veränderungen hat. Peer Steinbrück macht einen klugen Vorschlag über die Reform des Finanzmarktes und der Pflege und alle wissen, dass das notwendig ist. Aber man hofft, dass Merkel wieder die Regierung anführt und weiß, dass mit ihr diese Verbesserungen nicht kommen werden.
Am 22. September ist wieder die Chance dem Leidensdruck nachzugeben und Veränderungen einzuleiten. Probieren Sie doch mal was Neues aus! Essen sie weniger Fleisch! Wählen Sie nicht noch einmal Angela Merkel! :-)
Kommentare