5 Frauen und ein Mann. Sie sitzen und stehen auf einer dunklen Bühne und klopfen mit ihren Händen in einem bestimmten Takt auf ihren Brustkorb. Immer und immer wieder, wie ein Mantra, das etwas beschwören möchte. Florian Lebek, der in der Produktion „Trokut“ des „Jungen Salon“ im Brick5 eindringlich ins Publikum blickt, beginnt zu sprechen. Er erzählt seine Geschichte, die Geschichte von Ivan, die er mit vielen anderen Männern in Wien teilt. Als Kind wurde er von seiner Mutter zu Verwandten in die österreichische Bundeshauptstadt geschickt, um dem Krieg am Balkan zu entkommen. Erst einige Jahre später zieht seine Familie nach, wird hier aber nie heimisch.
Die diesjährigen Produktionen des Jungen Salon trugen den Übertitel „Der Blick des Anderen“ / „Drinnen, draußen, Heymat“ und beschäftigten sich mit der umfassenden Thematik des Dazugehörens oder Exkludiertseins aus einer Gesellschaft. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst in Wien entstand auch dies Inszenierung „Trokut“, bei der in Zusammenarbeit mit der Caritas auch einige junge, männliche Kriegsflüchtlinge des derzeitigen Syrienkonflikts mitspielten. Der intelligente Text dafür stammte von Nastasja Penzar, deren Familie aus Kroatien stammt. Ihren Zeilen zu entnehmen, weiß sie, wovon sie spricht. Denn neben Ivan gibt es noch eine ganze Reihe an anderen Charakteren, hauptsächlich weibliche, die das Schicksal von Emigration mit ihm teilen. Isabella Wolf ging sehr behutsam an den Stoff und zeigte vor allem mit einer eindringlichen Körpersprache aller Beteiligten, welche Dramen sich um eine Entwurzelung abspielen.
Ivan, der zu Beginn und am Ende des Stückes klarmacht, dass wir uns eigentlich alle und jederzeit auf der Flucht befinden könnten, ist ständig in Bewegung, jederzeit bereit, sein jetziges Zuhause zu verlassen. Er hat, im Gegensatz zu den meisten Menschen, verstanden, dass der Zustand einer sicheren Existenz nur ein vermeintlicher ist. Ausgerechnet seine Mutter, die es in Wien nicht mehr ausgehalten hat und mit einer ihrer Töchter wieder zurück auf den Balkan ist, muss abermals erleben, was es heißt, auf der Flucht zu sein. Zwar nicht persönlich, aber ihr Dorf, das nur aus wenigen Häusern besteht, wird zum Durchzugsort von syrischen Flüchtlingen. Florian Lebek spielt Ivan intensiv und abgeklärt zugleich. Wie ein Fels in der Brandung beobachtet er das rastlose Treiben ring um ihn und beweist mit seinem Erzähler-Status auch, dass er der einzige ist, der eine reflektierte Meta-Ebene dem Geschehen gegenüber aufweist.
„Trokut“ erzählt aber nicht nur von vergangenen und jetzigen Migrationsbewegungen. Es zeigt auch auf, wie hart einige der Zugewanderten daran arbeiten, ihre Vergangenheit sich und ihrer Umgebung vergessen zu machen. Eine von Ivans Schwestern begleitet ihre Mutter nicht mehr zurück in die ursprüngliche Heimat, mehr noch, sie versucht, so gut es geht, ihre Herkunft zu verleugnen. Der Wille zur absoluten Integration ist so groß, dass ein etwaiger Identitätsverlust dafür billigend in Kauf genommen wird. Das Pausenbrot, das ihr ihre Mutter am letzten Schultag nachbringt, das „trokut“ – ein Fladenbrot gefüllt mit Ajvar und Wurst – wird für das Mädchen zum Inbegriff eines hinterwäldlerischen Lebensstils, mit dem es nichts mehr zu tun haben will.
Es sind aber nicht nur die klug geführte Regie und die schauspielerischen Leistungen, die diese Inszenierung zu einer sehr eindringlichen machten. Es sind vor allem auch die vielen Ebenen des Textes von Penzar selbst, die, klug ineinander verschachtelt, viele verschiedene Aspekte des Themas anreißen.
Dem Drama selbst stellte Isabella Wolf eine kurze Filmdoku über eine Anti-Rassismus-Demonstration vom vergangenen November in Hamburg voran. An der Spitze der Veranstaltung war die Studentin Lena Biertimpel zu sehen, die von Wolf auch in das Theaterprojekt eingebunden wurde. Dort trug sie vor jeder Vorstellung abermals jene Wahnsinns-Ansprache vor, in der sie der saturierten Mittel- und Oberschicht ihrer Heimatstadt vorwarf, Flüchtlingen nur so lange zu helfen, solange diese nicht in das eigene Wohnrefugium, den eigenen, wohl behüteten Stadtteil eindringen. Es ist zu hoffen, dass man von dieser begabten, politisch denkenden, jungen Frau in Zukunft noch viel hören wird.
Brücken bauen, Vergangenheit bewältigen, Gegenwart meistern, Ideen für die Zukunft präsentieren und vor allem unterschiedlichste Menschen in einem Projekt zu inkludieren – all das schaffte Isabella Wolf mit ihrem Team in den diesjährigen Produktionen des Jungen Salon. Mehr kann Theater wirklich nicht leisten.