„Wer Ferbert zerstört die Seele seines Kindes!“ – Warum ich da die Krise bekomme

Momentan gibt es ein Thema, das zumindest bei den Bloggern in aller Munde ist. Dabei geht es um ein Thema, das Eltern anscheinend spaltet und bei dem die Fronten dermaßen verhärtet sind, dass ich manchmal am liebsten schreien möchte. Um welches Thema es geht? Um das Ferbern. Um Einschlaftrainings für Kinder. Um das „kontrollierte Schreien lassen“.
Zunächst: Ich bin gegen das Schreien lassen.
Ich habe zwar noch keine eigenen Kinder, aber selbst in der Krippe konnte ich kein Kind alleine weinen oder schreien lassen und habe mich dafür sogar einmal mit meiner anleitenden Erzieherin angelegt. Das ist aber ein anderes Thema.
Ich möchte das hier einmal so vorweg nehmen, da ich nicht direkt von irgendwelchen Mamis zerfleischt werden will. Das ist es nämlich, was ich im Rahmen dieser Diskussion momentan hauptsächlich sehe und ich würde dir hier gerne meine Gedanken dazu aufschreiben. Beispielhaft habe ich mir dazu einen Satz aus einer „Diskussion“ auf Facebook herausgepickt, der im Grund aber widerspiegelt, was viele Frauen/Väter/Eltern schreiben, wenn sie sich gegen das Schreien lassen positionieren.

Warum ich diese Aussage ganz schrecklich finde

1. Was bedeutet das für das Kind?

Das erste, was mir in den Sinn kommt, wenn ich das lese ist, inwiefern diese Aussage das Kind betrifft. (Erinnern wir uns: Das Kind, dass von seiner Mama/Papa schreien gelassen wird, oft ein Baby oder Kleinkind.) Heißt das, dass dieses Kind keine Seele mehr hat? Das seine Seele kaputt ist? Unwiederbringlich weg? Oder irreparabel beschädigt? Ich hoffe einfach, dass nie, nie, niemals jemand sowas lesen muss, der selber als Kind schreien gelassen wurde (und wenn ich mir die älteren Generationen mal angucke, dann betrifft das viele, oder nicht? Heißt, dass nun, dass alle diese Menschen keine / eine kaputte Seele haben?).

Ja, diese Aussage ist vielleicht extrem. Aber hört es sich besser an, wenn ich sage „Du machst dein Kind zu einem emotionalen Krüppel“? Oder „Dein Kind verkümmert innerlich“? Oder „Dein Kind wird niemals eine richtige Bindung aufbauen können“? Was sind das bitte für furchtbare Aussagen?

Ja, vielleicht ist die Intention, die da hinter steht, dem Kind zu helfen. Warum das nicht funktioniert?:

2. Warum solche Aussagen NIEMANDEM helfen

A) Sie sind eine Reaktion
Solche Aussagen kommen oft als Reaktion auf die Aussage einer Mutter, die zugibt, dass sie ein Schlaftraining mit ihrem Kind gemacht hat. So. Das Kind ist also quasi schon in den Brunnen gefallen. Die Mutter wird (auch wenn sie sich das noch so sehr wünscht) ihre Handlung nicht rückgängig machen können. Was hat sie nun also für eine Wahl, wenn ihre jemand solch einen Satz ins virtuelle Gesicht reibt? Sich im Bett verkriechen, heulen und ihr Kind ganz vernachlässigen, weil es ja eh „zu spät“ist? Eine Möglichkeit um da emotional einigermaßen heil rauszukommen, ist die, die bei vielen automatisch abläuft:

B) Es entsteht Reaktanz
Reaktanz ist das, was man bei Kinder gerne als Trotz bezeichnet. Dass man etwas ablehnt, einfach weil man sich gerade ungerecht behandelt, niedergemacht oder unverstanden fühlt. Reaktanz spiegelt nicht unbedingt wieder, was Leute tatsächlich denken, fühlen oder wollen. Reaktanz ist ein psychologisches Phänomen, das uns alle betrifft und das darum in der Sozialpsychologie eine große Rolle spielt.

Was passiert dabei? Die Person schaltet ab. Argumente erreichen sie nicht mehr, es geht nur noch darum die eigene Würde zu retten, der Situation möglichst schnell zu entkommen und das ganze schnell zu vergessen. Bedeutet? Die Mutter steigt geistig aus der Diskussion aus, macht zu und das war’s. Kommunikation beendet.

C) Dem Kind ist nicht geholfen
Aber wer am Wohlergehen des Kindes interessiert ist, der kommt um die Mama nicht herum. Sie ist diejenige, die erkennen muss, dass ein Verhalten nicht gut für das Kind ist, nur dann wird sie etwas ändern. Wer aber mit Reaktanz auf verletzende und erniedrigende Aussagen reagiert, der wird nichts überdenken (oder vielleicht doch im Nachhinein, dann aber nicht wegen dieser dämlichen Aussage, sondern wegen der wirklichen Argumente und weil auch diese Mutter wahrscheinlich nur eins will: das Beste für ihr Kind).

Wem nützen also solche Aussagen?
Ich lehne mich jetzt mal ein bisschen aus dem Fenster und sage: dem, der sie macht. In dem Momentan ist man emotional so aufgewühlt, dass man ein Ventil braucht. Man ist sauer, versteht nicht, wie andere Menschen so ignorant sein können und lässt seinem Ärger freien lauf. Man selbst kann so am Ende des Tages den Laptop zuklappen und sich denken „Der hab ich’s aber gegeben, jetzt weiß sie endlich was sie da macht und was für ein furchtbar schlechter Mensch sie ist. Jeden Tag eine gute Tat.“

Warum verurteilen wir andere, anstatt ihnen unsere Hilfe anzubieten?

Wie kann man es also besser machen?

Ich sage: Aufklärung ist das A und O. BEVOR jemand so ein Schlaftraining anwenden darüber reden. Kritische Artikel zu lesen geben. Und dann, in letzter Konsequenz diese Entscheidung akzeptieren. Wenn du das nicht kannst, argumentiere mit Argumenten. Fang nicht an zu beleidigen, zu diffamieren und emotional zu erpressen. So wird man gar nichts erreichen.

Und wenn es schon zu spät ist? Dann kann man auch nichts daran ändern, wenn man die Mama jetzt fertig macht. Bestimmt fand sie es auch nicht toll ihr Kind nicht trösten zu können und fragt sich ständig, ob das, was sie getan hat, das Richtige war. Aber was soll sie machen, wenn Ärzte, Psychologen, Hebammen und Krankenschwestern ihr dazu raten? Und ihr vielleicht gar sagen, wenn sie es nicht macht, wird ihr Kind später große Probleme haben (alles schon im Internet gelesen, selbst die Charite Berlin rät zu solchen Trainings).

Was Betroffenen wirklich hilft

Wenn du siehst, dass Eltern nicht genug Schlaf bekommen, weil das Baby sehr schwierig ist, gehe hin. Biete deine Hilfe an. Und wenn es nur eine halbe Stunde mit dem Kind spazieren gehen, ein offenes Ohr, etwas Lob oder ein Mittagessen ist, dass du anbietest. Aber das Wichtigste: Verurteile die Eltern nicht! Wir sollten endlich aufhören zu denken, dass jedes Verhalten des Babys durch die Eltern ausgelöst wurde. Eltern von Babys, die nie schreien sind NICHT automatisch bessere Eltern, als die von Babys, die sehr viel schreien.

Kinder haben von Geburt an ihr eigenes Temperament. Und ja, Eltern beeinflussen das Verhalten ihrer Kinder, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Jede Mama, die mehr als ein Kind hat und deren Kinder total unterschiedlich sind, wird das bestätigen können. Wir sollten endlich aufhören die Eltern für alles verantwortlich zu machen und den Druck nicht noch weiter erhöhen. Und ich glaube, dass Eltern, die sich nicht dafür schämen oder rechtfertigen müssen, dass ihr Kind viel schreit, die Hilfe bekommen ohne dafür verurteilt werden und ohne darum betteln zu müssen, sehr viel besser mit einer Situation zurecht kommen, die uns alle unter extremen Stress setzen würde.

Denn wer nicht schläft, dem geht es sch***e. Aber wenn wir endlich mehr zusammen rücken und uns gegenseitig stärken, dann bewältigt man auch solche Situationen besser. Und wenn dadurch nur eine einzige Mutter kein Schlaftraining macht, sondern die Zeit so überbrückt, ist es das dann nicht wert?

#Wenn ich im Artikel von Mama/Mutter o.Ä. schreibe, meine ich damit genauso Papas/Väter und andere an der Betreuung und Erziehung beteiligt. Übertreibungen und überspitze Formulierungen sind an einigen Stellen als stilistisches Mittel eingesetzt und nicht wortwörtlich zu nehmen.


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