Wer den Wind sät (1960)

Wer den Wind sät (1960)

USA 1960
Mit Fredric March, Spencer Tracy, Gene Kelly, Harry Morgan, Donna Anderson, Dick York u.a.
Drehbuch: Nedrick Young und Harold Jacob Smith nach dem Theaterstück von Jerome Lawrence und Robert E. Lee
Regie: Stanley Kramer
Dauer 122 min

Vor dem Gerichtsgebäude des US-Kaffs Hillsboro steht ein Mann; nach einem Blick auf seine Taschenuhr läuft er los, vom Gebäude weg. Während die Filmtitel eingeblendet werden, folgt ihm die Kamera auf seinem Weg durch die Strassen. Dezente Marschmusik erklingt, die von unheilvollen Dissonanzen durchsetzt ist und mit einem Negro-Spiritual unterlegt wird. Der Mann geht im Takt mit der Marschmusik. Unterwegs trifft er auf einen weiteren Mann, der ihm sogleich folgt. Immer mehr Männer kommen dazu; sie blicken düster, folgen offenbar einem Plan, der sie zielstrebig zu einem altes Haus hinführt. Wird gleich jemand erschossen? Ein Schwarzer verprügelt? Irgendetwas Schwerwiegendes wird gleich geschehen!

Die eindrucksvoll ausgeführte Eingangssequenz zu diesem Film ist eine einzige Irreführung. Denn was so überaus dramatisch eingeleitet wird, entpuppt sich als geradezu lächerlich: Der Dorflehrer Bertram Cates (Dick York) wird verhaftet, weil er den Kindern Darwins Evolutionstheorie erklärt hat. Wir schreiben das Jahr 1925.

Die pompöse Ernsthaftigkeit der Eingangssequenz gibt nicht nur den Ton des Films vor – den der Satire – sie widerspiegelt gleichzeitig den Gemütszustand der wichtigen Männer im Dorf. Für sie ist das „Verbrechen“ des Lehrers – das Verderben der gottesfürchtigen Kinderseelen mit pseudowissenschaftlichem Teufelszeug – tatsächlich die schlimmste vorstellbare Katastrophe überhaupt. Und das in ihrer Stadt!

Dem Lehrer soll der Prozess gemacht werden. Zu diesem Zweck wird der im ganzen Land berühmte Anwalt Matthew Harrison Brady (Fredric March) engagiert, nicht zuletzt, weil er die Dorfbevölkerung Hillsboros punkto Gläubigkeit und Bibeltreue fast noch übertrifft. Mit Brady kommt automatisch die Publicity nach Hillsboro Und die Presse. Weil sich der zynische Reporter Hornbeck (Gene Kelly) am Umstand stört, dass der Angeklagte eigentlich nur religiösen Eiferern gegenübersteht, bietet er als Verteidiger Bradys alten Freund und Kontrahenten, den aufklärerischen Anwalt Henry Drummond (Spencer Tracy) auf.

Inherit the Wind basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahre 1925, welche 1955 von den Autoren Jerome Lawrence und Robert E. Lee aufgegriffen und dramaturgisch überspitzt zu einem äusserst erfolgreichen Theaterstück verarbeitet wurde. Im Film wird der Prozess zum landesweit ausgreifenden Riesenrummel, zum „Clash of the Titans“ des Rechts – und natürlich der Schauspielkunst. Wissenschaft contra Kirche ist das Thema – und damit wirkt der Film heute leider antiquiert. Die von den Kritikern fast einhellig herbeigeredete Aktualität sehe ich an einem ganz anderen Ort.

Kramers Film behandelt das Verhältnis zwischen Redefreiheit und Fundamentalismus. Dass er dies am Widerstreit zwischen Kirche und Wissenschaft aufhängt, mag 1960 schlüssig gewesen sein, heute wirkt es nur noch befremdlich. Dieser Streit ist – zumindest bei uns – weiss Gott überwunden und seit ich denken kann, kein Thema mehr. Wohingegen die Redefreiheit heute bei uns wieder massivst ins Hintertreffen gerät, allerdings nicht dank christlich-religiösem sondern wegen politischem Fundamentalismus – von links: Richtig diskutiert wird auf der politischen Bühne heute nicht mehr  – Andersdenkende werden sofort mit der Nazi-Keule und ähnlich aggressivem Geschütz mundtot gemacht. Aber das ist eine andere Geschichte.
So kann ich zwar konstatieren, dass der Film einen heute brennend aktuellen Themenkreis behandelt (Redefreiheit vs Fundamentalismus), muss aber auf der anderen Seite feststellen, dass er dies derart dicht mit dem Streit zwischen Kirche und Naturwissenschaft verzahnt, dass der Bezug zum Heute nicht mehr erkennbar ist. Als Fenster in eine vergangene Zeit funktioniert Inherit the Wind hingegen gut.

In der der Machart mache ich einige erhebliche Schwächen aus. Am schwierigsten finde ich den Umstand, dass Inherit the Wind sich nicht zwischen Satire und Drama entscheiden kann. Da ist der Film geradezu schizophren: Die Gottesfürchtigen, die Bevölkerung Hillsboros, ihr Pfarrer und der bibelfeste Anwalt Brady sind allesamt Karikaturen, zum Teil regelrechte Knallchargen; alle, die auf der anderen Seite stehen, werden nüchtern gezeichnet. Damit, dass der Film die eine Seite überzeichnend diffamiert, bezieht er klar Stellung – entgegen der Behauptung vieler Kritiker, er würde gerade dies nicht tun. Fürs Diffamieren habe ich nichts übrig; das permanente Lavieren zwischen Ernst und Satire schwächt die Aussage zusätzlich, weil man die diffamierte Seite nicht ernst nimmt.

Ich halte Inherit the Wind aus diesen Gründen für einen von Stanley Kramers schwächeren Filmen. Natürlich ist das Schauspieler-Duell Tracy-March ein Ereignis, das den Streifen über seine Schwächen hinweg trägt und ihn zumindest in hohem Mass unterhaltsam macht. Aber den Status des „unsterblichen Klassikers“, der ihm anhaftet, hat er in meinen Augen nicht verdient.

Die Regie: 8 / 10 
Das Drehbuch:  7 / 10 
Die Schauspieler: 10 / 10 
Gesamtnote: 8 / 10

Verfügbarkeit:
Inherit the Wind ist seit kurzem im deutschsprachigen Raum wieder auf DVD erhältlich (deutsche Synchro / englische Originalfassung ohne deutsche UT).
Gestreamt werden kann leider bei keinem Anbieter im deutschsprachigen Raum.

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