Die Cuxhavener werden sich erinnern: Die einzige (halbwegs) brauchbare Disco in dem im Herbst und Winter ansonsten eher nach Opas Partykeller und Korn riechenden Landkreis lud letzten Monat zur “Project X-Party”.
Scharen gerade 16(!) gewordener YOLO- und SWAG-kreischender Provinzgirls mit Mamas Lippenstift auf dem Mund und verpickelte Justin-Bieber-Boys mit lässig zur Seite gedrehten OBEY-Caps und glitzerndem Stein im linken Ohr wanderten wie eine Horde wilder Gnus zum Real-Markt, um sich vor Beginn der großen Party am Bahnhof mit dem guten Gorbatschow abzuschießen. Das gelang ihnen auch. Wie jedes mal. Dann schnell das Großraum-Minicar (für Ortsunkundige: Eine günstige Taxi-Alternative) gerufen und mit der von Mama unterschriebenen Erlaubnis (nach dem Motto “Ja, meine Tochter darf schon mit 16 saufen und halbnackt über die Tanzfläche torkeln”) ab nach Lüdingworth, “ins Janssen“.
So weit so gut. Um den Prototypen eines klassischen Wochenendes in der deutschen Provinz zu verstehen, muss man nicht unbedingt (wie der Autor) einen Teil seiner Jugend in einem solchen Nest verbracht haben. Viel unterscheidet sich nicht unbedingt vom Leben in einer Großstadt. Der größte Unterschied ist aber, dass es für die partywilligen Jugendlichen kaum Alternativen gibt. Man geht so gut wie jedes Wochenende “ins Janssen”. Oder bleibt halt in Opas Partykeller.
Damit wird eine Disco wie “das Janssen” zu einer Art Alma Mater der provinziellen YOLO-Generation. Hier tobt das Leben. Hier lernt man sich kennen, kommt sich näher, trifft alte Freunde. Man müsste meinen, dass sich eine solche Provinzdisse zumindest ein wenig darüber im Klaren sein sollte, dass ihr auch ein gewisser Erziehungsauftrag zukommt. Doch weit gefehlt. Es geht leider immer nur darum, mit billigen Locksprüchen so viel Geld wie möglich aus den Taschen der besoffenen Kids zu ziehen.
Schon ein Blick auf den Flyer verrät: Es sinkt heute für Sie – DAS NIVEAU!
So gut wie jeder Spruch ist schlicht zum Kotzen:
“Alle Girls im Minirock oder HOT PANTS haben EINTRITT FREI”
“Sexy College Girls begrüßen Euch mit einem VODKA ENERGY im Red Cup!”
“Wir suchen das wildeste Partyluder!”
“Heiße Girls in unserem Pool auf der Tanzfläche-Wer ist von Euch dabei ?”
“Hemmungslose Partygirls verwöhnen Euch mit sexy Bodyshots!”
Es ist soweit: Aus einer Jugend-Provinzdisco ist ein Bordell geworden!
Das ist zwar äußerst schade, aber mittlerweile wohl eher der Regelfall. Um sich gegen diese Entwicklung aufzulehnen, müsste man ein wahrer Idealist sein. Da mir aber jedweder Idealismus bereits zu Beginn des Jurastudiums ausgetrieben wurde, kommt nur ein kurzes “naja” aus meinem Mund. Und schon habe ich das alles wieder vergessen.
Was mich aber nicht ganz zur Ruhe kommen lässt, ist der folgende Spruch auf dem gleichen Flyer:
“Liliputaner Action!
Wer den Liliputaner einsperrt, bekommt einen FLATSCREEN!”
Sex und Saufen hat anscheinend noch nicht gereicht. Um dem Erziehungsauftrag noch so richtig einen von hinten durch die Brust ins Auge zu geben, engagiert man noch einen Kleinwüchsigen, den man durch die Disco jagen und in einen Käfig einsperren muss?! Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Auch wenn das neue Lauterkeitsrecht äußerst liberal ist, so müsste man eine solche Werbeaktion wenn nicht unter § 4 Nr. 1 UWG: “Unlauter handelt insbesondere, wer geschäftliche Handlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen”, so doch zumindest unter die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG subsumieren können und ohne großes Tamtam verbieten dürfen. Ob man dies nun als Verletzung von unter Umständen noch immer zu berücksichtigenden Allgemeinheitsinteressen im UWG oder als Verletzung von Verbraucherinteressen einstuft, ist im Ergebnis egal. Nehmt es einfach nur weg von mir. Ekelhaft.
Alex Goldberg
Berlin, 31. Oktober 2013