Wer bringt den Deutschen das Lesen bei?

Erstellt am 17. April 2016 von Oliver Alois Ernst John

Deutschland ist ein Analphabetenland!

Nein, es liegt nicht an den Flüchtlingen.
Schuld sind auch nicht die Ausländer.
Und es geht hier auch nicht nur um Hauptschüler.

Deutschland gilt bei der Unesco als „analphabetisiert“. Jeder zehnte Deutsche kann nicht lesen und schreiben. Sie können ja mal durchzählen, wie viele Personen in Ihrem Haus leben. Im Schnitt gibt es nach der Rechnung mindestens einen Analphabeten in jedem Mehrfamilienhaus.

Ich finde das unglaublich: Deutschland ist wirtschaftlich so stark und schafft es nicht, eine so nötige Grundbildung flächendeckend in seiner Bevölkerung durchzusetzen?

Ein Leben ohne Buchstaben

Da frage ich mich doch, was die Bildungspolitik eigentlich den ganzen Tag lang tut. Denn ihr Versagen macht das Leben für jeden einzelnen Betroffenen unsagbar schwer und unangenehm. Wer nicht lesen und schreiben kann, ist in einer Informationsgesellschaft wie Deutschland stark benachteiligt.

Stellen Sie sich nur einmal vor, für Ihre ganze Familie einkaufen zu gehen, ohne einen Einkaufszettel schreiben zu können. Sie können keine einzige Produktbeschreibung lesen und orientieren sich nur an den Bildern auf den Verpackungen. Noch schwieriger ist es bei Medikamenten, deren Beipackzettel Sie nicht verstehen. Welche Nebenwirkungen haben die guten Pillen? Wann dürfen Sie nicht eingenommen werden? Fragen, die ungeklärt bleiben, wenn gerade niemand bei Ihnen ist, der aushelfen kann.

Schwierige und auch peinliche Situationen sind so an der Tagesordnung. Nein, das Leben als Analphabet ist nicht einfach.

Die deutsche Kultur, die so viele in der letzten Zeit bedroht sehen, wird wesentlich durch ihre Literatur und Märchen vermittelt und getragen. Oder meinen Sie nicht auch, dass Kinderbücher wie „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch die deutsche Kultur ebenso wesentlich ausmachen wie die ganz großen Dramen von Goethe, Schiller und Lessing?

Und falls Ihnen das zu eingestaubt vorkommt, schauen Sie doch mal durch die moderne Brille: Die Kommunikation im Internet per E-Mail und Chat ist nur durch die Beherrschung von Text zugänglich. Selbst Facebook und WhatsApp bleiben Analphabeten unerschlossen – und die Integration in die Gesellschaft hat keine Chance.

Die Bedrohung der Kultur ist hausgemacht

Aber wo kommen alle diese Analphabeten her? Eine häufige Ursache sind laut Studien aus den letzten Jahren längere Krankheiten während der ersten Schuljahre. Danach finden die Kinder aufgrund ihrer großen Wissenslücken keinen Anschluss mehr. Diese Kinder bräuchten eine intensivere Unterstützung – doch welcher Lehrer soll sich in unserem starren Bildungssystem darum kümmern?

Überforderte Lehrer, zu große Klassen und die mangelnde Ausbildung für solche Spezialfälle – Schulen haben schlicht keine Kapazitäten für die betreuungsintensiven Nachzügler. Die so vernachlässigten Kinder resignieren meistens. Manche von ihnen mogeln sich dann vielleicht noch bis zum untersten Abschluss durch, andere landen mit dem Stempel „Lernbehindert“ auf Sonderschulen, wo sie nicht hingehören.