Wer braucht den perfekten Einheitsbrei?

Was braucht man, um ein zeitgenössisches Tanzstück auf die Bühne zu bringen?

  1. Einen Opener, der das Publikum neugierig macht und es am besten gleich in das Stück integriert.
  2. Musik, die ins Blut geht, rhythmisch verständlich ist und viele Geschmäcker anspricht.
  3. Tänzerinnen und Tänzer, die eine Persönlichkeit haben.
  4. Einen Plot, der gesellschaftskritisch ist.
  5. Eine Dada-Sequenz.
  6. Tanzkritik, die unterhält und last but not least
  7. Eine Schluss-Szene, die aufputscht.

Mit „Perfect Stranger“ hat die Choreografin Gisela Elisa Heredia & tanz.coop alle genannten Anforderungen erfüllt. In dem Stück, das im KosmosTheater zu sehen ist, agieren Ardee Midel Dionisio (PHL/AUT), Marina Rützler (AUT),Yusimi Moya Rodriguez (CUB/AUT) und Katharina Senk (AUT) als Tänzer und Tänzerinnen nicht nur fachlich perfekt, sondern darüber hinaus mit einer extrem starken Bühnenpräsenz. Dabei nehmen sie das Publikum in wenigen Augenblicken für sich ein, ohne jedoch in ein Konkurrenz-Gerangel abzurutschen.

Gleich zu Beginn bequatscht Rodriguez die Menschen im Saal in ihrem spanischen Dialekt und verteilt ihren roten Umhang und ihren leicht zerbeulten Hut – eine Nachbildung einer ehemals runden Erdkugel – um diese Requisiten reihum gehen zu lassen. Obwohl man kein Wort von ihrem Redeschwall versteht, wissen alle, was zu tun ist.

Die nächsten Auftritte zeigen fulminant die Einzigartigkeit der unterschiedlichen Tanz-Persönlichkeiten auf. Nacheinander kommen sie auf die Bühne, um zu einem stampfenden 4/4 Rhythmus jeweils eine ganz individuelle Choreografie zu zeigen. Rützler bewegt sich dabei ganz in einem zeitgenössischen Modus, der mit leicht und grazil beschrieben werden kann. Dionisio zeigt ein martialisches Ethno-Gemisch mit adorierenden Bewegungen. Katharina Senks Auftritt erinnert an den frühen Ausdruckstanz zu Beginn des 20. Jahrhunderts und Rodriguez wirbelt in ungezählten Drehungen um ihre eigene Achse.

Wer braucht den perfekten Einheitsbrei?perfect stranger – tanz.coop – Fotos: Christian Ariel Heredia

Was dann kommt, lässt sich kurz zusammenfassen. Schon nach kurzer Zeit versuchen alle, sich gegen die jeweils anderen durchzusetzen, prallen aufeinander, fallen voneinander ab, bis sie schließlich gemeinsam einer Choreografie folgen, die an Arbeitsbewegungen erinnert. Aus ist es mit der fröhlichen Diversität. Dass bald darauf die Problematik einer gelungenen Paarbeziehung erörtert wird, Eifersucht ins Spiel kommt, besitzergreifende Gefühle breiten Raum einnehmen, egalisiert die unterschiedliche Herkunft der Tanzenden komplett. Wo Gefühle verteidigt werden müssen, ist es egal, welche Hautfarbe man trägt oder welche kulturellen Dispositionen man mitbekommen hat.

Mit einer hoch ästhetischen 4-rer Choreographie, in welcher das Ensemble in einer sich beständig ändernden Kettenformation durch den Raum tanzt, dass man gar nicht genug davon bekommen kann, scheint schließlich Ruhe einzukehren. Bis Senk, während sie einen Apfel isst, in einer Rede ein ideales Land entwirft, in das man nur kommt, wenn man ausgesprochen plem-plem ist und einen Knochen am Kopf trägt. Dada lässt grüßen und unterhält das Publikum bestens.

Wer braucht den perfekten Einheitsbrei?perfect stranger – tanz.coop – Fotos: Christian Ariel Heredia

Genauso wie die Erarbeitung einer Salsa-Choreographie, die Rodriguez ihren Kolleginnen und Dionisio aufoktroyiert. Lachen, Hüftenwackeln, und nicht Aufhören ist nun die Devise. Die Art und Weise, wie überspitzt diese Tanzkritik vorgetragen ist, löst bei den Zusehenden abermals einen Lacher nach dem anderen aus. Dass in der tanz.coop grundsätzlich ein anderer Arbeitsstil gepflogen wird, ist dennoch klar. Dionisio darf zum Abschluss der Sequenz ein Solo vortragen, das zum Schreien ist. Dabei ist er nicht zum Aufhören zu bewegen und macht klar: Einmal im Tanzmodus, hält ihn so schnell niemand mehr auf.

Mit dem letzten Auftritt, in dem sich schließlich alle als „Perfect Stranger“ outen, die wissen, wie man sich heute gestreamlined und fotogen auf einer Bühne bewegt, schließt sich der Kreis. Die tänzerische Einheitssuppe, bereits hundertfach in Video-Clips gesehen, die hier zu eingängigem Disco-Beat präsentiert wird, steht in krassem Gegensatz zum den eingangs gezeigten, individuellen Choreografien des Ensembles. Schön brav gleich bewegen, und immer lächeln, den Körper dabei bestmöglich in Szene setzen, ist die Devise. Aber wer braucht den perfekten Einheitsbrei wirklich? Dass die Dramaturgie hier sehr klug beraten haben dürfte zeigt, dass sicher auch all jene, die sich keinen roten Faden im Kopf spinnen konnten, von der Musik rhythmisch aufgeputscht, frohen Mutes nach Hause gehen.

Unser Resumée: Eine junge, witzige, spritzige Performance, die klarmacht, dass sich zeitgenössischer Tanz durchaus auch selbst auf die Schaufel nehmen darf. Wer den Tiefgang dahinter erkennen und sehen mag, kommt auf seine Kosten. Wer nur gerne in viele unterschiedliche Tanzstile eintauchen mag, ebenso.

Weitere Termine auf der Homepage des KosmosTheater.


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