„Wer bereits Erfolg hat, wird solche Bücher kaum lesen“ – Ulrike Fuchs im Interview

Erstellt am 26. Februar 2017 von Maxmustermann

Ulrike Fuchs ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und achtsame Leserin. In ihrem Blog schreibt sie über Depressionen, Selbstbewusstsein und weitere spannende Themen der Psychologie. Und sie findet klare Worte für die sogenannte Erfolgsliteratur.



Bücher zum Thema Erfolg erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit. Warum ist das so?

Diese Erfolgsbücher sprechen uns in unseren tiefsten urmenschlichen Bedürfnissen an: das Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit, Bequemlichkeit, Freiheit, den Wunsch, Schmerzen und Unbequemlichkeiten zu vergessen, den Wunsch nach einer einfacheren Welt, Harmonie und Glück. Sie erinnern uns an eine Art Schlaraffenland, was wir als Kind vielleicht erlebt oder uns insgeheim immer ersehnt haben.

Zudem versprechen diese Bücher schnelle und einfache Lösungen. Als Erwachsene sind wir aber aus dieser Geborgenheitswolke rausgefallen, schließlich sind wir keine Kinder mehr – wir müssen im Alltag ein Stück weit unsere Probleme selbst lösen, weil es die Eltern nicht mehr tun, und wir müssen dafür auch etwas arbeiten.

Zudem greifen diese Bücher die Angst vor Vergänglichkeit auf, denn Geld und Zeit sind ja genau die Werte, die an Vergänglichkeit erinnern. Wir scheinen eine Lösung zu bekommen, wie wir mit Vergänglichkeit umgehen können.

Helfen diese Bücher den Menschen, erfolgreich zu werden?

Wer bereits Erfolg hat, wird solche Bücher kaum lesen. Denn diese Menschen sind ja schon erfolgreich, wozu also noch ein Erfolgsbuch? Erfolgsbücher lesen Menschen, die im Grunde noch nicht erfolgreich sind bzw. sich nicht erfolgreich fühlen. Was auch immer Erfolg für den Einzelnen bedeuten mag.  Die Chance, dass diese Bücher tatsächlich helfen, ist 50:50 und hängt vielmehr mit persönlichen Bewältigungsstrategien zusammen als mit dem Buch selbst.

Zudem steht auch gefährliches Halbwissen darin, denn was ausgelassen wird, ist die persönliche Geschichte des Einzelnen. Wir Menschen haben alle Erfahrungen gemacht, die uns zu dem machen, wer wir heute sind. Diese elementaren Erfahrungen sind wichtig und eben auch da. Sie bilden unsere Intuition, die uns bei der Bewältigung von Probleme hilft. Wir machen eine Erfahrung und ziehen die Konsequenz: War die Lösung gut, machen wir weiter so. War sie nicht gut, muss eine andere Lösung dafür gefunden werden.

Warum suchen sich die Leute nicht lieber die Hilfe eines Therapeuten oder Coaches?

Da geht es um das Bedürfnis, keine Hilfe annehmen zu müssen. Beim Lesen eines Buches muss man augenscheinlich keine externe Hilfe suchen. Die Literatur gibt den Lösungsweg vor – der Lernerfolg bleibt unterm Strich aber aus. Denn wir lernen mehr aus den Misserfolgen als aus den Erfolgen.

Ein Buch ist außerdem immer nur allgemein geschrieben, es geht nicht auf die persönliche Situation eines Menschen ein.

Also Finger weg von allen Büchern zum Thema?

Das hängt von der Persönlichkeit ab, die es liest. Wer sagt: „Hier möchte ich weiterarbeiten, hier möchte ich weitergehen, hier bin ich offen“ und trotzdem kritisch bleibt, nimmt meiner Meinung nach eine gesunde Haltung ein.

Ich selbst gehe mit jedem Buch, das ich lese, in eine Art Grundkritik und schaue es zeitgleich trotzdem erst einmal wertfrei an. Dann entscheide ich: Was möchte ich davon annehmen und was nicht?

Wer diese „Denk positiv!“-Lektüre aber unkritisch verzehrt und nicht mit einer gesunden Kritik angeht, der verdrängt auch, dass es – anders als in den Erfolgsbüchern versprochen – auch Misserfolge geben kann. In diesen Büchern steht dann, dass man nur positiv genug denken muss und dann wird man schon erfolgreich. Angeführt werden zahlreiche Erfolgsbeispiele, die dann eine Garantie sein sollen. Aber von den Menschen, die nicht erfolgreich wurden, liest man nichts. Was passiert dann?

Wenn es doch bei anderen mit dem Erfolg scheinbar klappt und bei einem selbst nicht, ist man wohl selbst schuld. Dieser Gedanke wiederum mindert das Selbstwertgefühl und die Versagensgefühle sind ein guter Nährboden für Depression. Misserfolg gehört wie Erfolg zum Leben. Und schmerzliche Prozesse dienen der Chance, etwas zu lernen.

Und wie sieht es mit Coachings aus?

Bei einem guten Coaching handelt es sich um ein 1:1-Coaching. Kleine Gruppen sind auch möglich. Ein guter Coach sagt nicht: „Das ist die Lösung“, sondern erarbeitet mit dir deine Lösung. Ein guter Coach/Therapeut holt dich da ab, wo du stehst und unterstützt dich in deinen persönlichen Zielen.

Es geht darum, eigene Kompetenzen zu stärken und ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Warum kommen die meisten Erfolgsbücher aus den USA? Haben wir in Deutschland keine Lust auf Erfolg?

In den USA ist etwas verbreitet, was wir in Deutschland nicht haben: Geld ist gleichbedeutend mit Erfolg und Qualität. Der Verkaufserfolg ist der Garantie- und Qualitätsbeweis. In Deutschland ist es so, dass Zertifikate wie zum Beispiel ein Uni-Abschluss oder Weiterbildungen zählen. Aber die Welle aus den USA kommt auch hierher.

Und wie wird man erfolgreich?

Der Bereich Erfolg ist ja sehr weit gefasst. Für die Hausfrau / den Hausmann kann Erfolg bedeuten, sich gut um die Kinder und den Haushalt zu kümmern.  Erfolg macht aus, interessiert und neugierig zu sein, Freude an etwas zu haben – und ein Stück weit die Ausdauer.

Heute gehen wir an das Thema Erfolg mit der Frage ran: Wie gefalle ich anderen? Wir turnen in unserer Gesellschaft herum, weil wir glauben zu wissen, was den anderen gefällt, aber wir drücken unsere eigenen Bedürfnisse nicht aus. Erfolg ist für mich nicht, anderen zu gefallen, sondern bei sich selbst bleiben zu können. Übertragen auf das Thema Geld und Karriere bedeutet das: Nicht, der Wurm muss dem Fisch schmecken, wie es lange Zeit hieß; sondern authentisch bleiben.

Das klingt alles so anstrengend. Warum nicht einfach Affirmationen wiederholen?

Affirmationen sind eine Art Gedankenkontrolle und Zwang. Es ist ein unrealistischer Optimismus, eine Art „geschminkt sein“, wenn es nicht der eigenen Empfindung entspringt – wichtig ist aber ein gesunder Optimismus, sowie die Fähigkeit, Dinge realistisch einzuschätzen.

Alles hat zwei Seiten. Es ist teilweise ein verzerrtes Bild, was die Zielsetzung beeinflusst. Es ist wichtig, auch mal selbst zu scheitern – das sind die wichtigen Lernchancen. Wenn du eine Situation, die erfolgreich lief, mit einer Situation vergleichst, die so richtig in die Hose ging – woraus hast du mehr gelernt?

Hast du noch einen Tipp für den Umgang mit Erfolgsbüchern?

Achtsam sein, sorgsam mit sich und der Lektüre sein, auch mal kritisch sein beim Lesen. Sich fragen: Was sind meine Bedürfnisse und was brauche ich? Wie definiere ich Erfolg für mich? Und ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln, Offenheit bewahren. Das bedeutet natürlich auch, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Bildquelle: Ulrike Fuchs

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