Quelle: Helmut Mühlbacher
Ihr Lieben,heute möchte ich Euch ein Märchen von Oscar Wilde zu lesen geben, nacherzählt von Peter Graf von Eysselsberg:
„Das Märchen vom reichen Prinz und der Schwalbe“
„Es stand einmal in einer Stadt das Denkmal eines reichen Prinzen.
Es war über und über mit dicken Goldplättchen belegt, seine Augen waren zwei herrliche, große Saphire und an seiner Rüstung glänzte ein roter Rubin.
Eine kleine Schwalbe, die sich gerade auf dem Flug ins warme Ägypten befand, wollte auf der Schulter des Prinzen übernachten. Plötzlich fielen Wassertropfen auf ihr Gefieder.
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„Wieso“, dachte die Schwalbe, „es ist doch kein Wölkchen am Himmel zu sehen?“Sie schaute sich gründlich um uns sah, dass der Prinz weinte.„Warum weinst Du, lieber Prinz? Ich denke, Du bist reich und glücklich!“
„Ach, kleine Schwalbe“, antwortete der Prinz, „seitdem ich hier oben über der Stadt stehe, kann ich bis in den letzten Winkel der Stadt sehen und bin sehr traurig über so viel Not und Elend.
Würdest Du mir bitte helfen, liebe Schwalbe, nur diese eine Nacht? Ich stehe doch hier so fest und kann mich nicht bewegen.“
Die Schwalbe hatte ein gutes Herz.
„Aber nur die eine Nacht, schöner Prinz, denn ich habe wenig Zeit, sonst holt mich die Kälte ein!“
Froh sagte der Prinz: „Ich danke Dir. Picke doch aus meinem Schild den roten Rubin und bringe ihn der Mutter mit ihrem kranken Kind in diese Stube da ganz hinten!"
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Und die Schwalbe pickte und pickte, nahm schließlich den Edelstein in den Schnabel, flog durch das offene Fenster in die ärmlich kalte Stube und legte ihn der Mutter in den Schoß, die vor Müdigkeit eingeschlafen war.Am nächsten Tag wollte die Schwalbe weiterfliegen.
Aber der Prinz bat inständig: "Bitte, bleibe noch eine Nacht! Da ist ein alter Mann, er ist fast steif vor Kälte. Bringe ihm meinen kostbaren blauen Saphir! Picke mir das Auge aus!" - "Nein, lieber Prinz, ich kann Dir doch nicht das Auge auspicken!" - "Bitte, tu, was ich Dir sage!" Und die Schwalbe pickte und pickte, löste den Saphir und brachte ihn dem armen Mann.
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Am dritten Abend bat der Prinz: "Liebe Schwalbe, bitte, bleibe nur noch eine Nacht. Da ist eine Familie aus einem fernen Land gekommen. Nimm noch mein zweites Auge, damit können sie eine Wohnung mieten." Aber die Schwalbe wollte nicht: "Dann bist Du doch blind!" Der Prinz antwortete: "Ich werde dann mit meinem Herzen sehen!"Und schließlich pickte und pickte die Schwalbe so lange, bis sie das zweite Auge der fremden Familie bringen konnte. Als sie zurückkehrte, sagte sie zum Prinzen: "Jetzt will ich nicht mehr nach Ägypten fliegen. Ich bleibe bei Dir. Du kannst ja nicht mehr sehen."
Am Tage flog die Schwalbe nun umher und sah nach, wo die Not am größten war. Sie erzählte davon dem Prinzen, und nun sollte sie immer wieder eines der dicken Goldplättchen herauspicken, um das Elend zu lindern. Je armseliger der Prinz ausschaute, umso glücklicher wurde er. Auch die Schwalbe hatte große Freude im Herzen.
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Dann kam die Kälte, und die Schwalbe spürte, dass sie sterben würde."Lieber Prinz", flüsterte sie, "ich muss jetzt von Dir gehen!" - "Ja, gutes Schwälbchen, fliege jetzt nach Ägypten!" - "Nein, das schaffe ich jetzt nicht mehr", waren ihre letzten Worte. Und sie fiel tot vor seine Füße.
Weil das Denkmal des Prinzen gar nicht mehr schön aussah, wurde es fortgeschafft und eingeschmolzen. Nur das Herz des Prinzen ließ sich nicht schmelzen. Da warfen die Leute es auf einen Abfallhaufen, genau neben die tote Schwalbe.
Im Himmel aber sprach Gott zu einem seiner Engel:
"Bring mir die beiden kostbarsten Dinge aus dieser Stadt“.
Und der Engel brachte Gott das Herz des Prinzen und die tote Schwalbe.
"Du hast richtig gewählt", sagte Gott, "in meinem Reich werden die mir am nächsten sein, die alles verschenkt haben."
Ihr Lieben,
heute Morgen hatte ich in der Stadt, in der ich einige Besorgungen zu erledigen hatte, eine Begegnung der ganz besonderen Art:
In einer der am meisten besuchten Einkaufsstraßen saß in einem alten, schon etwas klapprigen Rollstuhl eine alte Frau. Über den beiden Armlehnen des Rollstuhls lag ein breites Brett, auf dem sieganz unterschiedliche Häkeleien ausgebreitet hatte:
Wunderschöne Topflappen bot sie an, aber auch gehäkelte Stirnbänder, Ohrenschützer, Handschuhe und Schals. Sogar die örtliche Presse hat bereits über sie berichtet.
Ich erwarb einige ihrer Häkeleien und kam dabei mit ihr ins Gespräch.
Die alte Dame lebt von einer kleinen Rente und war immer traurig, dass sie nichts für die Menschen tun konnte, denen es noch viel schlechter geht als ihr. Bis sie auf die Idee mit den Häkeleien kam.
Sie kaufte sich einige Knäuel Wolle und fing an zu häkeln. Dann ließ sie sich eines Tages aus dem Altersheim, in dem sie lebt, zum ersten Mal in die Fußgängerzone im Herzen Bremens bringen und verkaufte dort mit großem Erfolg ihre Häkeleien.
Mit dem Geld, das sie einnimmt, unterstützt sie Organisationen, die sich um arme Menschen in Bremen kümmern. So hat sie auch im Alter einen Sinn in ihrem Leben gefunden.
Nachdem die örtliche Presse über die alte Dame berichtet hatte, meldete sich ein Geschäftsmann aus Bremen bei ihr. Er hat ihr zugesagt, dass er ihr – solange sie lebt – die Wolle kostenlos liefern wird, die sie braucht, um ihre Häkeleien anzufertigen.
Diese Frau bekommt kein Bundesverdienstkreuz verliehen, aber für mich ist sie einer dieser Helden des Alltags, einer dieser Menschen, die nicht auf ihre Schwächen schauen und jammern, sondern sich fragen, was kann ich mit meinen eingeschränkten Mitteln tun, um Licht, Liebe, Hoffnung, Freude, Zuversicht in das Leben anderer Menschen hineinzutragen.
Ihr Lieben,
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Quelle: Karin Heringshausen