Wenn Verantwortung nicht Verantwortung heißt

Es gehört zu den beliebten Ritualen bei Politikerrücktritten dass zwar Verantwortung übernommen wird, man aber gleichzeitig jedes Fehlverhalten von sich weist. Häufig waren es namenlose Untergebene, die ohne das Wissen von Big Boss irgendwelche Fehler gemacht oder gar bösartige Verschwörungen durchgezogen haben. Trotz all dieser Theatralik ist diesen Rücktritten doch meist eines gemein: ein Politiker, der in einen Skandal verwickelt wird und vom Amt zurücktritt, tut dies tatsächlich. Er oder sie trägt im Wortsinne die Verantwortung, denn ob man nun Bescheid wusste und direkt verwickelt war ist nur für den eigenen Ruf relevant. Als Chef ist man im Zweifel immer die letzte Barriere, gegen die ein Ball rollt. Das hat schon immer zum Jobprofil gehört und wird im allgemeinen auch in der Vergütung berücksichtigt. Bei Politikern sind das die Pensionen und vorher auch nicht völlig unerheblichen Bezüge, in der Wirtschaft die Jahresgehälter, Boni und Pensionen. Und hier hören die Gemeinsamkeiten auch auf.
Denn wenn die VW-Affäre eines beweist, dann, dass in Politik und Wirtschaft Verantwortung nicht gleich Verantwortung ist. Apologeten werden vermutlich wieder darauf verweisen, dass bei Winterkorn - wie in allen Fällen zuvor - die Höhe der Abfindungen oder die Unkündbarkeit ohne Abfindungen vertraglich festgelegt ist und dass, egal wie schäbig das für die Öffentlichkeit auch aussehen mag, dem Buchstaben genüge getan muss. Pacta sunt servanda. Und ich will auch gar nicht fordern, Winterkorns Vertrag zu ignorieren und VW Druck zu machen, ihm nichts zu bezahlen. Der offensichtliche nutzlose Aufsichtsrat hat diesen Vertrag abgenickt, und dann wird er auch eingehalten, keine Frage. Was mir unbegreiflich ist, und ich kann mir nicht vorstellen in diesem Unverständnis alleine zu sein, ist, warum solche Verträge immer noch geschlossen werden. Winterkorn hat zuletzt einen zweistelligen Millionenbetrag im Jahr erhalten. Seine Pensionsansprüche gegenüber VW, für die der Konzern in weiser Voraussicht, die er hoffentlich bei normalen Betriebsrenten ebenfalls walten lassen wird, einen Fond zurückgestellt hat, belaufen sich auf rund eine Million im Jahr. Es sei ihm gegönnt. Ich nehme einfach einmal an, dass Winterkorn sein Geld wert war und ohne diese Summen im knallharten globalen Konkurrenzkampf um Führungskräfte einfach bei einem britischen oder amerikanischen Konzern angeheuert hätte, wie es so viele seiner Kollegen ja auch nicht tun.
Geschenkt. Um die völlig absurden Bezahlungen der Spitzenpositionen in Konzernen auf der ganzen Welt soll es hier gar nicht gehen, denn in einem freien Land können freie Konzerne in den Grenzen des Gesetzes ihr Geld zum Fenster hinauswerfen, wie es ihnen passt. Wo mein Verständnis völlig aufhört ist in der Forderung Winterkorns, seinen bis 2016 laufenden Vertrag voll ausbezahlt zu bekommen. Das kann er natürlich machen, denn der bereits erwähnte Aufsichtsrat scheint die Möglichkeit eines Scheiterns offensichtlich nicht bedacht zu haben. Wenn Winterkorn nun also davon redet, "wegen der Fehler Einzelner", mit denen er natürlich nichts zu tun hat, "die Verantwortung zu übernehmen", dann macht mich das wütend. Denn Winterkorn tut eben gerade nicht das, was eben auch zu seinem Jobprofil gehört und die Pille für den Betrieb zu schlucken. Eine der Begründungen für die gewaltigen Gehälter der Firmenbosse ist ja gerade immer die unglaubliche Verantwortung die sie tragen, der Druck, dem sie ausgesetzt sind.
Und diesen Druck will ich auch nicht in Abrede stellen. Diese Leute arbeiten hart und viel, überhaupt keine Frage. Aber ich sehe nicht, dass sie die Verantwortung tragen, und das unterscheidet sie von ihren Kollegen in den Führungsetagen aller kleineren Betriebe weltweit. Denn die würden bei einem Fuck-Up von dieser Dimension schlicht entlassen, und im Normalfall erlauben ihre Verträge das auch. Zurecht, denn sie erhalten dafür im Normalfall auch ein gutes Bisschen mehr als ihre Angestellten. Das gehört eben alles zum Job dazu. Und Herr Winterkorn kann mir nicht ernsthaft erzählen, dass er mit 16 Millionen im Jahr UND einer Million Pension, jährlich, nicht in der Lage ist, tatsächlich die Verantwortung zu übernehmen, für die er sich all die Jahre ostentativ hat entlohnen lassen.
Aber erneut, die Kritik richtet sich nicht an Winterkorn. Der hat einen Klasse Vertrag und pocht jetzt darauf. Prima Spieler im System, würde ich an seiner Stelle auch nicht anders machen. Mir bleibt vielmehr unklar, wie Unternehmen solche Verträge nach all den Katastrophen, nach all den Lektionen wie wir sie gerade aus der Finanzkrise ziehen konnten, immer noch solche Verträge machen. Wenn man es ernst meinen würde mit der Belohnung von Risiko und Unternehmermut, dann würde ein Rücktritt oder eine Kündigung jederzeit und ohne Abfindung möglich sein. Ja, damit werden Spitzenmanager anders behandelt als 99% der Erwerbstätigen, und ja, damit tragen sie ein gewaltiges Risiko. Aber genau dafür werden sie ja auch bezahlt.

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