Das ist Wettbewerb im Gesundheitswesen! Vorbildliches Indien! Dort verstehen es die Patienten, sich wettbewerbsorientiert zu verhalten. Dort stellt man sich Fragen, die dem Wettbewerb förderlich sind; dort macht sich der Patient nicht zum Hilfebedürftigen, sondern zum Wettbewerber. Spielregeln verstanden! Fragen wie: Soll ich am klinischen Versuch für Magenpräparate teilnehmen oder doch bei einem für ein Krebsmedikament? Wahl haben: Das ist Wettbewerb! Dort vielleicht Übelkeit und eine kleine Untersuchung zur Belohnung - hier vielleicht Fieberschübe und komatöses Siechen, dafür aber ein ausgiebiger Check und ein bisschen Medikamente für den Wellblechhaushalt. Frag' nicht, was dein Gesundheitssystem für dich tun kann, frag' was du für dein Gesundheitssystem machen kannst - und für das anderer, reicherer Länder gleich mit!
Wettbewerb im Gesundheitswesen will Bahr ja umsetzen - und die üblichen Andächtigen, Springer und Bertelsmann, einige Krankheitsexperten aus Union und Wirtschaftsliberalismus, allerhand Privatversicherte aus Wirtschaft und Medien, jubeln im Chor. Es geht ihnen eher nicht weit genug. Der Kranke, so ihr feuchter Traum, soll im Angesicht von Metastasen nicht auf seine Therapie konzentriert sein, sondern die verschiedenen Angebote sichten, die das Gesundheitswesen für ihn bereithält - oder eben nicht, falls er sich Offerten dieser Art nicht leisten kann; für solche gibt es dann Standardverfahren. Aber die Behandlungen sind sicher!, erklärt das Gesundheitsministerium - wenn es das erstmal erklären muß, dann dürfte es schon zu spät sein.
Der Wettbewerb in diesen aufgeklärten Landen dürfte natürlich anders ausfallen, als jener in Indien. Untersuchungen mit klinischen Versuchen zu kombinieren, würde man hier niemals praktizieren. Man wüsste gar nicht, wie man das mit der Krankenkasse abrechnen soll. Aber die Tendenz eines Gesundheitswesens, das nicht auf Gesundung, auf Therapie und Schmerzlinderung zu jedem erdenklichen Preis fixiert ist, das also nicht erklärt, dass der zu behandelnde Mensch nie und nimmer eine Kostenfrage, sondern seine Genesung eine Frage der Ehre und des Anstandes ist, gebiert zwangsläufig krumme Touren.
Der Wettbewerb der neoliberalen Agenda hat sich als Unterbietung, Verbilligung und Dumping erwiesen. Das ist das Gegenteil von Kurieren - das Gegenteil davon, den Patienten zum Maßstab der Therapie zu machen - das ist, jedenfalls für die größte Zahl der Versicherten, das Gegenteil von individueller Lebensführung. Es ist eine Zentralisierung und Generalisierung der Kranken. Was die Therapie kosten darf, wie sie in den Griff zu bekommen ist, das regeln dann nicht freie Ärzte in freier Entscheidung unter Gesichtspunkten, die relativ freie Herangehensweisen erlauben - das regeln Statuten, buchhalterische Erfahrungs- und Pauschalwerte, das regelt der Markt.
Nein, keine klinischen Versuche im Paket mit einer Untersuchung. Aber ein wettbewerbsorientiertes Gesundheitswesen, wäre seinem Wesen nach eben nicht gesund. Angebote für Versicherte regelten den Praxisalltag, eine Hausarzt-Flatrate beispielsweise, die der auf Geiz konditionierte Verbraucher (Patient wäre er dann nur nebenbei) vorher ausgewählt hat - Mehrbesuche verursachen natürlich Mehrkosten. Gesundheit zahlt sich dann aus. Wer gesund bleibt, macht ein Schnäppchen; der Kranke zahlt drauf. Von der qualitativen Abwertung der medizinischen Grund- und Fachversorgung mal ganz abgesehen. Wettbewerber haben keine Zeit, denn der Wettbewerb schläft nie - sie haben weder Zeit noch Geld zu verschenken. Und der Arzt, er wäre ein solcher Wettbewerber - noch mehr, als er es vermutlich heute schon ist. Wer sich den Luxus gönnt, Zeit zu investieren in einen Verbraucher, der bleibt auf der Strecke, denn der Wettbewerb kennt keine Gnade.
Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, schon heute, aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahrzehnte, arg angegriffen, kann in einem Wettbewerbssystem nicht überleben. Der Arzt ist dann qua System keine Person mehr, die Linderung bringen soll, sondern jemand, der etwas zu verkaufen hat. Es vertraut sich aber so schlecht, wenn man ständig das Gefühl hat, da will einer dauernd mit seinen Fingern in meinen Geldbeutel hinein.
Indien ist die Überspitzung des Wettbewerbgedankens. Man sollte die neoliberalen Gesundheitsreformer mal dorthin führen. Sie würden entrüstet tun, sagen, dass natürlich die Grundversorgung in Deutschland sicher sei. Unter sich würden sie aber feststellen, dass es genau so ein freier Markt ist, wie ihn Indien da hat, der uns in Deutschland fehlt. Denn erst wenn es uns allen kotzübel geht, weil wir im klinischen Versuch Tabletten gefressen haben, deren Wirkung wir nur ungenau kennen, dann geht es uns wieder besser...
<a href="http://flattr.com/thing/679868/Wenn-uns-schlecht-wird-geht-es-uns-gut" target="_blank"><br /><img src="http://api.flattr.com/button/flattr-badge-large.png" alt="Flattr this" title="Flattr this" border="0" /></a>