Man stelle sich einmal vor, man geht als Kunde in ein Fachgeschäft, wird dort freundlich begrüßt, schildert seine Wünsche – und dann ist erst einmal Stille. Der Angestellte vertieft sich konzentriert in seinen Computer und ist nicht mehr ansprechbar – bis er nach einigen Minuten, die dem Kunden schon wie Stunden scheinen, die gewünschten Produkte auf den Tisch legt oder vermeldet, daß er es bestellen kann oder muß.
Leider ist das nicht fiktiv, sondern häufig Alltag in jeder deutschen Apotheke.
Da kommt man als Kunde frisch vom Arzt in die Apotheke, gibt dem Apotheker oder der PTA sein rosa Kassenrezept mit, sagen wir mal, drei verschriebenen Medikamenten, und ein gelbes Rezept, ein Betäubungsmittelrezept also – und dann ist erstmal mehrere Minuten Stille! Bzw. eifriges Tastaturklappern seitens des Apothekenangestellten.
Warum eigentlich? Was geschieht auf Apothekenseite während dieser für den Kunden tatenlosen Zeit?
Tja, dank der verschiedenen Arzneimittelgesetze, Rabattverträge seitens der Krankenkassen, Quotenregelungen für Reimporte,… in den letzten Jahren ist die Apothekerin oder der PTA nun erstmal überhaupt nicht mehr mit der an sich wichtigen Patientenberatung beschäftigt, sondern begibt sich gezwungenermaßen in den Rezeptbearbeitungsdschungel:
Zunächst wird nachgesehen, ob der Kunde eine Kundenkarte in der Apotheke hat (oder die vom Kunden gereichte Kundenkarte vor den Scanner gehalten, vereinfacht das Procedere etwas
Dann wird – wie früher auch schon immer – das Rezept formell geprüft, nehmen wir mal zuerst das rosa Rezept:
Darauf verschrieben:
- Ist der (korrekte) Patientenname samt Adressdaten im Adressfeld?
- Steht das Krankenkassen-IK (das Institutskennzeichen) auf dem Rezept?
- Ist die Versichertennummer aufgedruckt?
- Hat der Arzt das Rezept mit seiner Praxisadresse und Praxisnummer versehen?
- Hat der Arzt das Rezept unterschrieben?
- Ist der Kunde von der Zuzahlung befreit und dies richtig auf dem Rezeptformular vermerkt? (Auskunft darüber gibt, wenn der Kunde eine Kundenkarte besitzt, häufig die Apothekensoftware, ansonsten der verwunderte Kunde, wenn das Rezept von der Arztpraxis versehentlich als zuzahlungspflichtig gekennzeichnet wurde, der Kunde aber befreit ist)
- Ist das Datum der Verordnung aufgedruckt?
- Nein: Das Datum selber eintragen (darf von der Apotheke gemacht werden
- Ja: Prüfen, ob das Datum nicht länger als 4 Wochen zurückliegt – in dem Fall darf das Rezept nämlich nicht mehr zu Lasten der Krankenkasse abgerechnet werden und ist höchstens noch als Privatrezept gültig
Wie gesagt – das war schon immer so. Nun geht es aber in die Untiefen der neueren Regelungen und Verträge. Als nächstes muss die IK der Krankenkasse in den Kassenvorgang eingetippt werden, damit diese darauf basierend entscheiden kann, ob die verordneten Medikamente abgegeben oder die Krankenkasse ein Rabattpräparat vorschreibt.
Der Apotheker/die Apothekerin oder der/die PTA (hm, ich bleib nun einfach beim Apotheker, ok?) tippt nun das Präparat Nr. 1 ein: das Metformin der Firma A. Nun prüft die Apothekensoftware erst einmal, ob das Präparat im Rabattvertrag der angegebenen Krankenkasse ist: Hurra, es ist es! Aber: Wir haben das Präparat nicht an Lager, sagt mir die Software auch sofort. Hrmpf. Und schon im nächsten Schritt hakelt es: da nämlich fragt die Software via DSL beim Großhandel an, ob denn der dieses Metformin vorrätig hat und mit der nächsten Lieferung am selben Tag ausliefern kann. Und – es leuchtet fett rot: NEIN. Weder jetzt noch in absehbarer Zeit – die (einzige) Firma, mit der die Krankenkasse den Rabattvertrag ausgemacht hat für Metformin, ist komplett nicht lieferfähig! Klasse. Hat sie toll hingekriegt, denkt man sich innerlich. Nach außen: Lächeln! Und im Idealfall eine freundliche Bemerkung dem Kunden gegenüber machen, was Sache ist und das man nun eine Lösung für den Patienten sucht. Denn es darf nun nicht einfach eines der 12 anderen vorrätigen Metformine (ja, ich habe es eben in unserer Apotheken-EDV nachgesehen: So viele verschiedene Firmen haben wir von Metformin vorrätig, und das in einer eher ländlichen Apotheke. Insgesamt stellen 25 Firmen (oder deren Tochterfirmen) Metformin her in Deutschland) sein. Nein, es muss eines der drei preisgünstigsten sein. Und damit die Krankenkassen-Rechenzentren das Rezept nachher nicht retaxieren (was so viel heisst wie beanstanden, in den meisten Fällen retaxiert es das Medikament auf 0 mit der Begründung, dass das Rabattarzneimittel nicht abgegeben wurde, die Apotheke bekommt also o,- Euro von der Krankenkasse und bleibt auf allen Kosten (Beschaffungskosten, Einkaufspreis, Lagerkosten) sitzen) – also, um das zu verhindern, muss nun noch eine Sonder-Pharmazentralnummer auf das Rezept gedruckt werden, die besagt :”Erstes Präparat auf Rezept von Rabattfirma nicht lieferbar” – und die Nichtlieferbarkeit schriftlich dokumentiert werden. Erfreulicherweise haben wir eines der drei preisgünstigsten auch vorrätig – wunderbar! Ist bei den vielen verschiedenen Firmen ja nicht selbstverständlich…
So. Puh. Das war…. och, das war ja erst das erste verordnete Arzneimittel! Also, nun munter weiter zum zweiten.
Präparat Nr. 2:
Omeprazol N1.
Kurz und bündig.
Keine Angabe einer Firma.
Nur der Wirkstoff.
Gut, so wünscht man sich das manchmal gerade bei einer N1-Packung schon. Denn eine N1 ist eine Packung, die meist nur für Patienten, die ein Präparat das erste Mal oder nur für eine Kurzzeittherapie verordnet bekommen, verschrieben wird. Und das Fehlen einer Firma erspart einem irritierte Diskussionen mit dem Kunden (“Der Arzt hat aber Firma ABC aufgeschrieben, wieso bekomme ich es nun von Firma XYZ?”).
OK, auch keine Angabe einer Milligrammzahl – es gibt Omeprazol in 10mg, 20mg, 30mg und 40mg. Auch noch leicht zu lösen, denn ist keine Dosisangabe dabei, gilt: Das Präparat mit der geringsten Dosierung ist zu nehmen, in diesem Fall also: Omeprazol 10mg N1.
Hmmmm – auch keine Angabe einer Stückzahl. Der Kunde weiß auf Nachfrage auch nur, dass er eine Kapsel pro Tag nehmen soll – aber leider nicht mehr, für wie lange (und auf dem Rezept steht die Therapiedauer auch nicht vermerkt). Oha – das kann ja heiter werden
Und kommt schon zu Präparat Nr 3. Xusal. Mal überlegen. Da war doch auch was? Klar, hier kommt die Reimportquote ins Spiel. Darunter ist die Vorgabe der Krankenkassen zu verstehen, dass mindestens 5% der abgegebenen Arzneimittel je Krankenkasse Reimporte zu sein haben. Erreicht die Apotheke diese Quote nicht, drohen ihr hohe Regresszahlungen gegenüber der Krankenkasse. Erreicht sie sie – naja, dann passiert halt nichts – honoriert wird das von der Krankenkasse höchstens insofern, dass man dieses “Zuviel” mit zukünftigen Zeiträumen, in denen man die Quote vielleicht nicht erreicht, gegenrechnen kann.
Reimport abgegeben werden muss, wenn der Reimport mindestens 15% oder 15 Euro günstiger als das Originalpräparat ist. Dabei reicht es allerdings nicht aus, einfach die Verkaufspreise zu vergleichen – nein, das wäre zu einfach. Mittlerweile muss von den Verkaufspreisen auch noch der Herstellerrabatt (den der Hersteller gegenüber den Krankenkassen einräumen muss – nicht gegenüber den Apotheken) abgezogen werden und DANN die Preise auf Zutreffen dieser 15/15-Regel verglichen werden. Macht zum Glück auch (meist) die EDV – und findet in diesem Fall heraus, dass der Reimport, der Xyzall heisst, hier in Frage kommt.
Haben wir auch da. Aber auch hier stehen bei vielen Kunden dann die Fragezeichen deutlich ins Gesicht geschrieben: “Der Arzt hat Xusal verordnet – das hier heisst aber Xyzall?” Und nach der Erklärung, dass dies hier ein Reimport sei, der identisch ist mit dem Original. von der selben Firma hergestellt wird, den selben Inhalt hat und von uns abgegeben werden muss, da er günstiger ist als das deutsche Original – kann dann noch der Satz kommen “Nein, ich möchte keinen Reimport”. Nicht, dass man den Kunden nicht verstehen kann – aber sowas kann einem bei der Rezeptbearbeitung auch mal den Rest geben…
Rezept 1 wird bedruckt, Rezept 2, das Betäubungsmittelrezept ist nun dran. Zunächst selbe Kontrolle wie bei Rezept 1 (Adresse, IK, usw. usf – wobei das BtM-Rezept nur maximal 7 Tage und nicht 4 Wochen alt sein darf), dann Eingabe des Medikaments – es handelt sich hier mal um ein Fentanyl-Pflaster, also ein Pflaster mit einem stark schmerzbetäubend wirkenden Arzneistoff. “Kling” … die Krankenkasse fordert mal wieder das Präparat einer anderen Firma. “Klonk” macht es beim Apotheker, denn das angeblich völlig gleiche Pflaster der anderen Firma hat mehr Inhalt (bei Pflastern nennt sich das “Beladung”) als das verschriebene Pflaster – und auch wenn die Freigabe pro Stunde auf dem Papier die gleiche ist, darf ein Betäubungsmittelpflaster in so einem Fall eben nicht gegen das Rabattvertragspflaster ausgetauscht werden. Also…. Eingabe der Sonder-PZN…”pharmazeutische Bedenken”, handschriftliche Begründung, warum man den Austausch verweigert, auf das Rezept. Und jetzt kommt noch (gut, das war früher auch schon so) die genaue Dokumentation ins BtM-Dokumentationsbuch: Was für ein Präparat wurde abgegeben, wieviel davon, an welchen Patienten, von welchem Arzt verschrieben, welche Nummer hat das BtM-Rezept. Immerhin… diesen Dokumentations-Papierkram bekommt die Apotheke mit 26 cent (inkl. MwSt) honoriert (und ich sehe ein, dass er wichtig ist, da die genaue Dokumentation Betäubungsmittelmissbräuchen vorbeugen hilft).
So, nach einigen Minuten sind nun alle Unklarheiten beklarheitet, die Medikamente auf dem Handverkaufstisch zwischen Apotheker und Kunde aufgereiht stehen, – da fällt der Blick noch einmal auf den Bildschirm der Kasse, denn da blinkt emsig rot ein “Achtung! WW mit Med.-Liste!”. Das wäre in dem ganzen Rabattwust- und allen Erklärungen fast untergegangen, dabei ist das für die Gesundheit des Kunden eigentlich , neben der Beratung, einer der wichtigsten Punkte und ein Grund, warum auch die Apotheke wichtig ist – Überprüfung auf Wechselwirkungen. Der Apotheker klickt die Meldung an – und sieht, dass der Patient auch einen Blutgerinnungshemmer nimmt, Clopidogrel. Und der kann nicht gut mit dem Magensäurehemmer Omeprazol. Denn der hemmt, vereinfacht ausgedrückt, nicht nur die Magensäure, sondern auch die Wirkung von Clopidogrel, so dass die Blutgerinnungshemmung beim Patienten nicht mehr gewährleistet ist.
Also entschuldigt sich der Apotheker kurz beim Kunden, da müsse mit der Medikation noch etwas mit der Ärztin besprochen werden, und verzieht sich ans Telefon. Die Ärztin kennt die Wechselwirkung (Gut! Das ist bei weitem nicht immer der Fall – gerade wenn es sich um, wie in diesem Fall, erst vor kurzem entdeckte WWs handelt). Daher habe sie ja auch nur eine N1 aufgeschrieben und die Therapiedauer so auf 7 Tage begrenzt, um das Wechselwirkungspotential klein zu halten. Ach ja? Da hat sie in der Überzeugung, eine N1 auf dem Rezept ohne Mengenangabe bedeute automatisch die kleinste N1, keine Stückzahl dazugeschrieben. Das stimmte so auch – bis Anfang 2011. Durch die Neuordnung der Verpackungsgrößen ist aber die Bezeichnung N1 für die 7er weggefallen – und man hat sich, wie oben beschrieben, nach den neuen Spannbreiten (N1 Omeprazol = 30 +/- 20%) zu richten.
Zurück beim Kunden erklärt der Apotheker die Situation, und auch, warum der Kunde nun nur 7 Stück bekommt (und trotzdem der Krankenkasse 5 Euro Zuzahlung dafür zahlen muss wie bei der 28er). Das Rezept wird er nachher bei der Ärztin vorbeischicken, damit diese die Stückzahl dahinterschreibt und mit ihrer Unterschrift signiert – damit das Rechenzentrum nicht auch hier einen willkommenen Anlass sieht, diesen Posten auf 0 zu retaxieren…
Ich hoffe, der Artikel klang jetzt nicht zu launisch – aber vielleicht versteht man aus Kundensicht nun besser, warum es in der Apotheke seit den Rabattverträgen länger dauert.