Wenn politisches Bewusstsein langweilt: „Ich denke an Yu“ im Teamtheater // Regie: Stefanie Bauerochse

Sie muss schon ein unruhiger Mensch sein, die Übersetzerin Madeleine. Irgendetwas treibt sie um, macht sie grundnervös und unbeherrscht. Irgendetwas fehlt ihr, sonst würde sie sich nicht mit solch manischer Energie auf eine Zeitungsnotiz stürzen und es sich in einer Mischung aus Wichtigtuerei und Gutmenschentum zur Aufgabe machen, deren Hintergründe zu recherchieren, wobei ihre Recherche meist in der immer neuen Bekundung ihrer Fassungslosigkeit steckenbleibt: Yu Dongyue, erfährt sie aus der Zeitung, ein chinesischer Journalist, wurde kürzlich im Zustand geistiger Verwirrung aus der Haft entlassen, nachdem er 17 Jahre lang wegen Verschandelung eines Mao-Portraits einsitzen musste.

Aber Fassungslosigkeit über die Härte der kommunistischen Diktatur allein kann es kaum sein, was Madeleine dazu bringt, ihre Arbeit aufzuschieben, ihre geduldige chinesische Sprachschülerin ein ums andere Mal im rüdesten Ton nach Hause zu schicken (welche Ironie), weil sie an nichts anderes mehr als an Yu denkt, und stattdessen Fotos des ihr unbekannten Journalisten aufzuhängen, denn: Solche Fälle gibt es viele, da hat ihr Nachbar Jérémie schon recht. Was also steckt hinter ihrer Fixierung auf diesen Fall? Vielleicht die Frustration in ihrem Liebesleben, von der wir in gelegentlichen Rückblenden erfahren? Vielleicht die Unzufriedenheit damit, dass sie in ihrem Job so langweilige Dinge wie einen Sachtext über Hausmüllentsorgung übersetzen muss?

Über Madeleines Hintergründe hätte man gern mehr erfahren. Aber dafür scheint sich Carole Fréchettes Stück „Ich denke an Yu“ nur am Rande zu interessieren. Stattdessen wird einem der plötzliche Ausbruch ihres politischen Bewusstseins als glaubwürdig verkauft. Anstatt die Hauptfigur kritisch zu beleuchten, schlägt sich das Stück erschreckend eindimensional auf ihre Seite und macht sein Publikum damit selbst zum Opfer von Madeleines aufdringlicher Aufklärungswut. Das ermüdet rasch.

Entbindet denn die politische Relevanz des Themas von der Pflicht, ein Stück spannungsvoll zu gestalten? Soll das (reale) Schicksal des Yu Dongyue den Zuschauer derart betroffen machen, dass er ein fast wendepunkt- und entwicklungsloses Stück ertragen kann? Gut, die Pointe kommt, die überraschende Enthüllung, dass bei der für Yu Dongyue so verhängnisvollen Demonstration im Jahr 1989 einiges doch etwas anders lief als zunächst vermutet, aber sie kommt spät und kann das Spannungstief kaum mehr beheben. Und: Ja, es gibt auch die Nebenhandlung um Jérémie, welcher der politischen Empörung seine private Familientragödie und seinen deprimierten Fatalismus entgegenstellt. Aber in der Inszenierung von Stefanie Bauerochse bleibt dieser Strang zu blass, um einen Kontrast zu schaffen und die ernsthaft die Frage aufzuwerfen, wie sich die Wichtigkeit der politischen zu der der privaten Ebene verhält. Leider, denn so fehlen der hochenergetischen, fahrigen, zickigen Madeleine Gesprächspartner auf Augenhöhe, sodass auch ihre Energie irgendwann ins Leere stößt.

Melanie Mira als Nachhilfeschülerin Lin (mit authentischem asiatischem Äußerem) lässt sich von ihrer ungeduldigen Lehrerin alles gefallen und wird mit ihrem monotonen asiatischen Akzent zum ebenso monotonen Sprachrohr des ängstlichen politischen Opportunismus – eine Bühnenfigur, die ohne erkennbaren Ironiefaktor an der Grenze zum rassistischen Ärgernis steht. Ulrich Zentner legt den hilfsbereiten und kontaktsuchenden Nachbarn Jérémie als tiefsinnigen, vom Leben abgehärteten Charakter an, hält sich aber meist dezent im Hintergrund. So kreist Hauptdarstellerin Gabriele Graf ganz um sich selbst – und das macht sie, von der dem Stück einbeschriebenen völligen Entwicklungslosigkeit abgesehen, ganz gut. Für ihre Monologe findet sie einen intimen, das Publikum gekonnt ignorierenden, mitunter die Unhörbarkeit streifenden Ton. Wie sie mit abgewandtem Blick auf ihrer Bücherinsel sitzt und ergebnislos grübelt, wie sie immer wieder Bücher und Fotos umschichtet und dabei in sich hineinmurmelt – das hat schon etwas Geheimnisvolles. Wenn dann noch die mutige Lichtgestaltung von Charlotte Marr hinzukommt, die Momente der Finsternis nicht scheut und ihre Figuren mmer wieder effektvoll an der Grenze zum Zwielicht balancieren lässt, dann wünscht man sich, dieses Team hätte sich ein reizvolleres Stück vorgenommen.

Im Rahmen der Reihe „Bonjour Québec“, die sich ab 7. Mai mit Lesungen neuer franko-kanadischer Stücke im Teamtheater fortsetzen wird, war das jedenfalls ein schwacher Auftakt.


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