Wenn es so läuft, läuft es schief - zu den politischen Erinnerungen von Peter Struck

Wenn es so läuft, läuft es schief - zu den politischen Erinnerungen von Peter Struck

Wenn ein alter SPD-Fraktionsfahrensmann, oder sollte man besser sagen: ein sozialdemokratisches Urgestein, nach dreissig Jahren den Bundestag verlässt, darf man zu Recht auf seine Memoiren gespannt sein. Zwar ist Struck viel zu seriös, als dass man sensationelle Enthüllungen von ihm erwarten dürfte, aber Einblicke in den Parteien- und Abgeordnetenalltag erwartet man schon und auch eine gewisse Bilanz, was Struck in seiner politischen Karriere erreicht hat, vielleicht sogar - das ist allerdings bei PolitikerInnen sehr selten - der Hinweis auf Fehler oder Versäumnisse.
Das Buch beginnt mit einer verblüffenden Szene: Struck schaut sich zum letzten Mal im großen Rund des
Bundestagplenarsaales um. Er blickt hinüber zu den Grünen, grüsst die CDU, dort speziell seinen Freund Kauder. Struck erwähnt die Kabinettsbank und - so würde man es ja vermuten - findet treue Worte zur eigenen SPD-Fraktion. Aber da ist Fehlanzeige: die Heimat seiner politischen Freunde erwähnt Struck beim Abschied überhaupt nicht. Symbolisch für Strucks Abgang?

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Aber das ist nicht der einzige blinde Fleck von Struck in diesem Buch. Gleich zu Anfang präsentiert er uns in einem Satz die wichtigsten Stationen seiner politischen Laufbahn, Höhepunkte und Tiefen. Bemerkenswert, dass er sich dabei nicht den, gerade von seiner Partei und besonders von dem ihm ja so verehrten Parteifreund Schröder angezettelten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Deutschlands gegen die BR Jugoslawien erwähnt. Oder vielleicht lieber erst gar nicht erwähnen will?Wenn es so läuft, läuft es schief - zu den politischen Erinnerungen von Peter Struck
Struck legt die Meßlatte hoch zu Beginn seines Buches: Ein Loblied auf zwölf Jahre SPD-Regierung soll es sein und Mut machen will Struck zu "mutiger Politik". Wieso er dabei auf die Zeit Helmut Schmidts stolz ist, der mit seinem Ja zur neuen Aufrüstung mittels Raketenstationierung so eklatant die sozialdemokratische Tradition der Friedenspolitik verlassen hat,
bleibt an dieser Stelle des Buches erst einmal ein Rätsel, das sich aber im Laufe der weiteren Lektüre durchaus auflösen lässt.

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Zum Beispiel, wie Struck über den deutschen Krieg im Balkan redet. Erwähnt er da die dreiste Hufeisenlüge seines Parteifreundes Scharping? Den massiven öffentlichen Widerstand der deutschen Bevölkerung gegen diesen Krieg? Keines von beiden. Also erste Enttäuschung beim Lesen.
Die nächste, die dann bis zum Ende des Buches hängen bleibt, ist von viel tieferer, grundsätzlicheren Art: Strucks Beurteilung des deutschen Kriegsführens in Afghanistan und seine strategischen Empfehlung zum globalen Krieg gegen den Terrorismus. Immer wird man sich ja an Struck im Zusammenhang mit seinem prägnanten Satz "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt" erinnern.Sein Buch zeigt nun, dass dieser Satz nicht spontan-griffig war, sondern dass dieser Politiker das wirklich so geglaubt hat und auch immer noch glaubt. Struck propagiert den totalen ewigen Krieg gegen die Terroristen, angesichts der Globalität des Terrorismus ein hoffnungsloses Unterfangen. Wer sich aus Afghanistan zurückzieht, so das dauernde Argument Strucks, spielt den Terroristen in die Hände. Abgesehen von der fragwürdigen Gleichmacherei Strucks von Taliban, Al Qaida und globalem Terrorismus: nach dieser Argumentation von Struck fördert Obama offensichtlich auch den Terrorismus, denn nächstes Jahre werden die Amerikaner sich aus Afghanistan zurückziehen. Endlich- nach einem teuren, sinnlosen, grausamen Krieg, dessen Methoden immer schmutziger geworden sind.

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Bemerkenswert auch: Keine angemessene Distanzierung von Struck gegen die massive Korruptheit derMachthaber in Kabul, deren Milliardenprofite im afghanischen Drogenanbau und deren widerwärtigen Manipulationen und Fälschungen alle sog. "Wahlen" in Afghanistan zur Farce machen und die nur konsequent die Bevölkerung in die Arme der Taliban treibt, statt wie Struck behauptet, dass die Menschen in Aghanistan "der NATO dankbar" wären.
So wie Struck in seinem Buch argumentiert, würde es niemanden verwundern, wenn Struck auch offen für einen Angriffskrieg gegen Pakistan plädieren würde, dem benachbarten Operationsgebiet der Taliban. Danach vielleicht Krieg gegen Usbekistan, Burma, Tschadsikistan - denn - so Strucks ver-rücktes Weltbild: Terrorismus ist ja weltweit überall. 

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Aber nicht nur die Bundeswehr müsste dann in ihrer Truppenstärke und Aufrüstung mindestens verdoppelt werden. Auch in Deutschland kann man problemlos phantasieren, dass sich noch allerhand ändern muss bei uns, damit wir für den totalen Krieg gegen den Terrorismus besser gerüstet sind: Natürlich lückenloseTelefon- und Internetüberwachung (denn jedes Telefonat, jede email kann ja - so muss man Struck globalen Kreuzzug gegen den Terrorismus interpretieren - potenziell terroristisch relevant sein). Videokontrolle auf jedem Quadratmeter unserer Republik, GPS-Ortungschips für jeden Einwohner in unserem Land (denn jeder Deutsche kann ja prinzipiell ein Terrorist werden). Es gibt in der Schönen Neuen Welt des Antiterrorismus-Kriegers Struck noch viel zu tun.
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So ein Politiker ist in der Tat geradezu prädestiniert, an der Spitze des deutschen Militärministeriums seine Antiterrorismus-Phantasien soldatisch und aufrüstungsmässig in die Tat umzusetzen. Warum nur hat Struck eigentlich nie Militärdienst gemacht? So ein Praktikum, möglichst unter realen antiterroristischen Gefechtsbedingungen hätte dem ja auch sonst immer so sehr auf Tuchfühlung mit der Praxis bedachten Struck doch sicherlich gefallen und gut getan.

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Und warum hält sich Struck so viel auf seine sog. "Armeereform" zu gute.? Die Evaluation des jetzigen Generalinspekteurs der Bundeswehr, der in seinem Prüfbericht für die Regierung allen großen Rüstungsprojekten der Bundewehr das vernichtende Etikett: "zu spät, zu teuer und nicht effizient" verpasst und mit diesem Rückblick gerade auch die Amtszeit Strucks kritisiert, spricht ein ganz anderes Urteil über das, wie Struck auf der Hardthöhe regiert hat. Aber wahrscheinlich denkt Struck ähnlich wie sein jetziger Nachfolger: Zwar kleinere Bundeswehr, aber dafür effizienter, viel besser international einsetzbar und vielfältiger zu verwenden.

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Da passt es völlig richtig ins Buch, dass Struck sogar die unhaltbaren verfassungsfeindlichen Äusserungen unseres Ex-Präsidenten Köhler als "unglücklich" verniedlicht und offenbar inhaltlich voll hinter diesem imperialen Wahn von Köhler steht, ja sogar regelrecht mißmutig konstatiert, dass diese
Anti-Grundgesetzhaltung Köhlers bezeichnenderweise nicht durch die etablierte Berlin-Journaille in die Öffentlichkeit befördert wurde, sondern dankenswerterweise durch unabhängige Blog-Journalisten, die sich wenigstens ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsrespekt bewahrt haben, die offenbar für Köhler schon keine Wichtigkeit mehr haben.
Auf den letzten Seiten seines Buches redet Struck bemerkenswerten Klartext: Wir müssen den Krieg gegen den Terrorismus 100%ig gewinnen, koste es was es wolle. Davon lässt sich Struck nicht abbringen, egal wieviel andere nächste Staaten wir nach Afghanistan dann noch angreifen müssen. Namen wie Jemen und Somalia nennt Struck bereits und mit seiner Formulierung "und andere Staaten" zeigt wie weltumfassend er die Bundeswehr eingesetzt haben möchte.
Abgesehen davon, dass solche globalmilitärischen Optionen für einen weltweiten Dauereinsatz der deutschen Armee glücklicherweise in unserer Gesellschaft politisch nicht durchsetzbar und angesichts der katastrophalen deutschen Kassenlage auch nicht bezahlbar sind, verkennt Struck erstaunlicherweise die totale Assymetrie der Auseinandersetzung der Demokratie mit dem Terrorismus.
SelbstmordattentäterInnen, die nichts zu verlieren haben, lassen sich durch keine noch so gewaltige Aufrüstung von ihren Plänen abhalten, ausserdem kommt ihnen die doppelte Front dieser Auseinandersetzung zugute: Neben dem externen Krieg ausserhalb der Grenzen auch die landesinternen Operationsmöglichkeiten. Und für das Agieren des Terrorismus gilt das schöne Sprichwort "Ein Floh kann einen Löwen mehr ärgern, als ein Löwe einen Floh". 
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Gegen Partisanen, die geschickt die nur ihnen wirklich bekannte und dadurch vollkommen nutzbare Bergwelt in Zentralasien oder die Wüstenregionen in Afrika nutzen, helfen weder Leo-Panzer, noch Tornados noch anachronistische U-Boote. Die ganze gigantische westliche Militärmacht wird in dieser Auseinandersetzung gegen eine zahlenmässig kleinere, aber hochmotivierte und clevere Partisanentruppe scheitern, so wie die USA und Deutschland nächstes Jahr auch in Afghanistan scheitern werden (wie vor ihnen bekanntlich bereits die Engländer und Russen).
Und weil das so ist, sollte Deutschland sich endlich eingestehn, dass wir in Afghanistan nichts zu suchen haben und es ausser dem Tod von immer mehr armen jungen deutschen Soldaten dort nichts, aber auch gar nichts zu "gewinnen" gibt. "Was geht uns das Schicksal eines verkorksten Entwicklungslandes an?" fragte zu recht jüngst der englische Militärminister. "Gar nichts" ist die lapidare Anwort.
Wer wirklich ernsthaft und nachhaltig gegen den Terrorismus vorgehen will, muß zu allererst die maßlose Arroganz des Westens gegen die arabische Welt aufgeben, muß einen globalen wirtschaftlichen Solidaritätspakt auflegen, vor dem der Marschallplan klein aussieht, und muß aufhören, mit den Taliban und anderen ähnlichen Gruppen borniert und immer nur aus einer akzentuierten Position der Stärke zu verhandeln statt auf fairer Augenhöhe.

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Es gibt ein nettes Bonmot: "Wenn alle Terroristen eine Greencard bekommen, löst sich das Problem des Terrorismus schlagartig von alleine". Wahr an diesem Satz ist, dass das Problem des Terrorismus nie militärisch "gelöst" werden kann. Was dagegen wirklich nachhaltig helfen kann, ist wirtschaftliche Solidarität mit den Armen an den Peripherien dieser Welt, ein konsequentes internationales ziviles Aufbauprogramm, dass den Leuten in Somalia, Sudan, Jemen und Indonesien überzeugend signalisiert, dass wir sie nicht mit Waffengewalt beherrschen wollen, sondern ihnen als echte solidarische Partner begegnen.
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Enttäuschend, dass ein "Sozial"(!)demokrat wie Struck, der sich dazu noch auf Willy Brandt  beruft (dem bekanntlich die internationale Nord-Süd-Solidarität ebenso wichtig war wie die Ostverträge), für solch ein Engagement in seinem Buch keinerlei Worte findet. Wenn noch mehr deutsche PolitikerInnen so wie Struck denken, braucht man sich nicht über das Abtrudeln der SPD zur nur noch drittstärksten deutschen Partei wundern, auch nicht über die weit verbreitete Politikverdrossenheit zur politischen Kaste in Berlin und die mit jeder neuen Wahl erneut sinkende Wahlbeteiligung. Das alles entsteht keineswegs zufällig, sondern - unter Bezug auf den Titel des Buches: Wenn es so läuft, wie in Strucks Buch beschrieben, dann läuft es wirklich schief. 
Peter Struck: So läuft das. Politik mit Ecken und Kanten. 310 Seiten. 2. Auflage 2010. Ullstein Buchverlag Berlin. 19.95 Euro


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