Wenn Drehbuchautoren sich die Welt zurecht schreiben: im Stuttgarter Tatort stellt sich "Eine Frage des Gewissens"

Erstellt am 24. November 2014 von Bandrix @cityofcinema1
In einem Stuttgarter Supermarkt gibt Kommissar Lannert (ruhig und souverän wie immer: Richy Müller) den tödlichen Schuss auf einen Geiselnehmer ab. Nun stellt sich die Frage: War es ein notwendiger Rettungsschuss oder handelte es sich hierbei um eine bloße, vermeidbare Tötung seitens des Kommissars? Kommissar Bootz (überzeugt als verzweifelter geschiedener Familienvater: Felix Klare) sagt, entgegen der Wahrheit, er habe alles gesehen – es sei ein Rettungsschuss gewesen. Ganz klar.
Anwalt Pflüger (ein Fiesling: Michael Rotschopf) und seine Kollegin und Ehegattin (eiskalt: Caroline Ebner) sind sich da nicht so sicher und vertreten, rein öffentlichkeitswirksam auch mit Radiointerviews, die Gegenseite. Eine vertrakte Situation, wer hat nun recht?
Zeugenaussagen sollen die Wahrheit ans Licht bringen. Als dann aber ausgerechnet Bootz die Leiche jeder Zeugin auffindet, die den Ermittlugnen eine neue Richtung vorgebem sollte, nimmt der bis dato noch spannende Gewissens-Tatort von Regisseur Till Endemann „Eine Frage des Gewissens“ sehr unrealistische Züge an. War die Frage vorher noch: „Wie weit geht Kollegialität und Loyalität?“, so ist sie nun „Wie weit geht der Einfallsreichtum von Drehbuchautoren?“...

Anwälte - am Sonntagabend stets unsympathisch und mit keiner weißen Weste ausgestattet (Michael Rotschopf & Caroline Ebner) ©SWR


Ziemlich weit. Denn es werden so einige ziemlich seltsame Entscheidungen im Stuttgarter Polizeiprädidium getroffen. So spricht Staatsanwältin Alvarez (charmant wie eh und je: Caroline Vera) nach dem Fund der toten Zeugin eine Beurlaubung aus – aber nicht etwa an den wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Lannert, sondern an Bootz, weil er überhaupt der Zeugin einen Besuch abstatten sollte. Wo gibt’s denn sowas? Nun denn, der Angeklagte selbst ermittelt. Im Tatort-Universum ist eben auch das möglich.
Und dann geht es weiter mit den merkwürdigen Ermittlungen. In der Stuttgarter facebook-Kopie stutt.net – die gibt’s übrigens wirklich! - treffen die Ermittler auf verschiedene Verdächtige, die ja irgendwie zusammenhängen könnten, weil sie schon im selben Gefängnis Haftstrafen abgesessen haben. Letztlich stellt sich heraus, natürlich hängen die wirklich zusammen und hatten im Supermarkt eigentlich einen gemeinschaftlichen Überfall geplant. Und auch die tote Zeugin war hier mit von der Partie. Erfolgreiche Zufälle bei Ermittlungen, wie sie es nur im Tatort gibt.
Zufall ist auch am Ende ein gutes Stichwort. Schließlich kommt heraus, dass ausgerechnet der sowieso fiese Anwalt und seine holde Ehedame Dreck am Stecken haben. Beide sind von Beginn an einfach nur unsympathisch, viel zu kühl, als wenn sie eine weiße Weste hätten. Zu sehr spielen sie sich in den Vordergrund. Da musste ja zwangsläufig irgendein schmutziges Geheimnis ans Licht kommen – aber wie dieses in die Geschichte eingeflochten wird, kann man getrost als zu konstruiert bezeichnen. Und leider auch als viel zu vorhersehbar. Die beiden Drehbuchautoren Sven Poser (u.a. der Erschaffer von „Stralsund“) und Sönke Lars Neuwöhner können das eigentlich viel, viel besser!

Er ist allein allein, allein allein...Kommissar Bootz (Felix Klare) ©SWR


Die wahre Spannung saugt der Film auch aus den beiden Ermittlern. Bootz, frisch geschieden und einsam, verfällt dem Alkohol und denkt sich, rein aus größtmöglicher Kollegialität, dass er doch einfach für Lannert lügen könne. Ihm geht’s dreckig, spätestens nach der Beurlaubung. Lannert hätte diese Geschichte gerne selbst durchgestanden, ohne Lügen-Märchen seines Kollegen. Aber irgendwie, so zeigt besonders das Ende, sind die beiden dann doch auch große Freunde. Ein tolles Team, das gerne auch mal ein Bierchen trinken geht.

©ARD


Das offenbart sich auch zwischenzeitlich während Bootz´eigentlichem Urlaub: Lannert kommt vorbei und nimmt ihn mit auf eine kurze Ermittlungstour nach Tübingen, wo Lannert die Verdächtigen vermutet. Es ist eine Fahrt, bei der man merkt, dass die beiden sich gerade zwar nichts zu sagen haben, aber dass dieses Team einfach funktioniert – sowohl privat als auch dienstlich. Vielleicht sollten dieMagdeburger-Polizeiruf-Ermittler mal vorbeikommen und sich eine Scheibe von abschneiden.
BEWERTUNG: 6,5/10Titel: Tatort: Eine Frage des GewissensErstausstrahlung: 23.11.2014Genre: KrimiRegisseur: Till EndemannDarsteller: Richy Müller, Felix Klare, Caroline Vera, Michael Rotschopf, Caroline Ebner