Wenn die Kleine jetzt die Große würde

Die Kleine ist heute 26 Monate alt und damit genauso alt, wie der Große war, als sie geboren wurde und er ein Geschwisterchen bekam. Deshalb habe ich mich in letzter Zeit viel an diese Zeit zurück erinnert und mir anhand meiner Aufzeichnungen und Erinnerungen versucht ins Gedächtnis zu rufen, wie es damals mit ihm war, auf welchem Entwicklungsstand er sich befand, wie wir das Leben mit ihm empfanden und wie er damit klarkam, auf einmal ein großer Bruder zu sein.
 Wenn die Kleine jetzt die Große würde
Einerseits kommt mir die Kleine noch sehr jung vor und ich kann mir kaum vorstellen, wie es wäre, jetzt ein Baby zu bekommen und für sie nicht mehr in dem Maße da sein zu können wie bisher. Diesen Altersunterschied halte ich weiterhin für sehr kurz, da das größere Kind mit knapp über 2 Jahren ja noch sehr abhängig, bedürftig und unselbstständig ist. Außerdem kamen mir die 2 Jahre mit ihr wesentlich kürzer vor als mit dem Großen, so dass es jetzt noch merkwürdiger als damals wäre, ein Baby zu bekommen. Andererseits ist sie in vielen Bereichen schon wesentlich weiter entwickelt, als es der Große damals war und man kann sie insgesamt viel besser händeln als ihn.
Was mir immer wieder auffällt, ist, dass sie sprachlich deutlich fortgeschrittener ist als der Große in ihrem Alter. Sie hat einen umfangreichen Wortschatz, verwendet Artikel, spricht lange Sätze und hat kaum Ausspracheschwierigkeiten. Man kann sich mit ihr schon richtig gleichberechtigt unterhalten, was beim Großen mit 26 Monaten noch kaum klappte, obwohl er auch schon einen guten Wortschatz hatte. Die Unterschiede liegen besonders in ihrer Ausdrucksstärke und Reaktionsfähigkeit. Sie reagiert auf das, was man sagt oder fragt, denkt mit und kombiniert. Sie versteht auch Dinge schon ganz anders und ich denke, eine Schwangerschaft mit ihr als großer Schwester wäre anders, mitfühlender, interessierter verlaufen als mit dem Großen. Dieser nahm weder Rücksicht auf meine durchaus manchmal schlechte Verfassung noch fieberte er in irgendeiner Art und Weise mit. Geschweige denn, dass er verstanden hätte, was passieren würde. Bei der Kleinen bin ich mir ziemlich sicher, dass sie ganz anders damit umgegangen wäre, empathischer, verständiger, aufgeregter. Sie sorgt sich um mich, wenn es mir schlecht geht oder ich traurig bin, entschuldigt sich, wenn sie mir weh getan hat und ist insgesamt viel zugewandter.
Der Große hat zum Zeitpunkt der Geburt der Kleinen noch nicht zuverlässig durchgeschlafen, sondern ungefähr jede zweite Nacht. Allerdings in Wellen, d.h. mal eine Woche am Stück durchgeschlafen, dann kamen wieder ein paar unterbrochene Nächte. Aufgrund dessen beschlossen wir eine nächtliche Trennung dahingehend, dass ich mit dem Baby zusammen schlafen sollte und mein Mann im Nebenzimmer des Kinderzimmers, wo der Große schlief, um auf diesen schnell reagieren zu können. Das hat sich bewährt. Wenn er nachts aufwachte, brauchte er auch immer eine ganze Weile, bis er wieder einschlief. Dafür ließ er sich schon von beiden Elternteilen beruhigen. Es dauerte aber noch ein Jahr länger (bis 3 1/4), bis er verlässlich durchschlief. Die Kleine schläft dagegen jetzt noch bei mir im Schlafzimmer und bis zu der aktuellen Episode eigentlich ziemlich zuverlässig durch (seitdem sie ca. 19 Monate alt war). Und sie lässt sich viel schneller wieder beruhigen, wenn sie aufwacht. Allerdings nur von mir, der Papa braucht es gar nicht erst zu versuchen. Das wäre in Hinblick auf ein neues Baby sehr schwierig. So unterschiedlich ist das eben.
Zum Zeitpunkt der Geburt der Kleinen hatten wir schon begonnen, den Großen daran zu gewöhnen, allein zur Familie seines besten Freundes zu gehen. Das geschah einerseits aus Gründen der Entlastung, andererseits auch in Hinblick auf die Geburt, wo er eventuell von ihnen hätte betreut werden sollen (was dann doch anders kam). Ab dem Alter von 2 Jahren verbrachte er öfter mal 2 Stunden am Wochenende bei ihnen, nachdem wir uns schon vorher sehr oft gegenseitig besucht und nachmittags zusammen unterwegs gewesen waren. Das klappte nach Überwindung der Trennungssituation ganz gut, wenn man bedenkt, was für ein Klammerkind er war. Auch mit den Großeltern war er bei ihren seltenen Besuchen schon 2-3 Stunden allein unterwegs. Die Kleine dagegen war bis zum heutigen Tag noch nie allein bei befreundeten Familien und nur ein einziges Mal allein mit Oma und Opa unterwegs, als der Große auf einem Kindergeburtstag war. Es ist einfach schwieriger, für das zweite Kind eigene Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Dafür wächst sie wie selbstverständlich in zwei befreundete Familien hinein, deren älteres Kind im Alter des Großen ist und das kleinere etwas jünger als die Kleine. Vom Gefühl her war der Große also in ihrem Alter schon mehr "flügge" und öfter mal weg, obwohl er viel zurückhaltender und anhänglicher war. Außerdem hatten wir da schon unsere mehrmonatige Babysitter-Odyssee hinter uns und er war im Gegensatz zur Kleinen daran gewöhnt, dass sich fremde Menschen in unserer Wohnung aufhielten.Wenn sie aber unser erstes Kind gewesen wäre, würde das mit Sicherheit auch anders aussehen.
Der Große wurde etwas nach ihrer Geburt, mit ca. 2 1/4 tagsüber trocken, was zum großen Teil das Verdienst seiner Bezugserzieherin war, die sich in seiner Entthronungszeit rührend und zuverlässig um ihn kümmerte und ihm in der Kita einen sicheren Hafen bei all den häuslichen Veränderungen schuf. Die Kleine ist ja gerade überraschend und völlig selbstbestimmt trocken geworden, wie hier beschrieben, und geht in den letzten Tagen völlig eigenständig zur Toilette. Sie ist außerdem viel selbstständiger, was das An- und Ausziehen, Mithelfen und Kooperieren betrifft, und der Alltag ist mit ihr wesentlich einfacher zu bewältigen als mit dem Großen in dem Alter. Er wollte damals noch sehr viel getragen werden, was schon in der Schwangerschaft sehr nervig war, mochte keine Treppen steigen und sowieso nicht laufen. Glücklicherweise fuhr er seit seinem 2. Geburtstag, genau wie die Kleine jetzt, Laufrad, was für mich in den letzten Wochen der Schwangerschaft eine große Entlastung war.
Der größte Unterschied ist definitiv, dass die Hauptbezugsperson der Kleinen immer noch eindeutig ich bin, während der Große im gleichen Alter sich zum Papa hinorientiert hatte. Dies begann ca. ein Vierteljahr vor ihrer Geburt und gab uns die Möglichkeit, dass sich der Papa zunehmend um ihn kümmern konnte, während ich mich mit meiner Schwangerschaft und dann dem Baby beschäftigte. Es war eine riesengroße Erleichterung, dass der Große sich selbst mehr dem Papa zuwandte und ich etwas Freiraum gewann. Ob der Große schon in der Schwangerschaft spürte, dass sich bald etwas Grundlegendes verändern würde und er sich deshalb aus Selbstschutz hin zum Papa orientierte, mag sein. Vielleicht hätte das die Kleine in der gleichen Situation auch gemacht. Aber sicher bin ich mir da nicht, da das emotionale Band zwischen ihr und mir ein ganz anderes ist. Jedenfalls hat es deshalb nach der Geburt wunderbar funktioniert, dass ich eine Zeitlang nicht greifbar und auch nicht zuständig für ihn war. Obwohl es stellenweise für mich sehr schmerzhaft war, von der bisherigen Nummer 1 hin zu "Mama weg!" degradiert zu werden, konnte ich dennoch die positive und entlastende Entwicklung erkennen. Wenn die Kleine mich jetzt mit einem Baby-Geschwisterchen teilen müsste, wäre es sicherlich sehr schwierig für sie. Obwohl sie auch dem Papa gegenüber sehr aufgeschlossen und zugewandt ist, bin im Zweifel immer ich es, die zum Trösten und Beruhigen nötig ist.
Also: wenn die Kleine jetzt die Große würde, wäre es in vielen Bereichen (vor allem hinsichtlich der Selbstständigkeit, Kommunikation und Kooperation) für uns sicherlich einfacher als damals mit dem Großen. Sie würde, denke ich, die Ankunft, Versorgung und Integration eines neues Familienmitgliedes interessierter und engagierter verfolgen als der Große. Der Verlust der Mama als Hauptbezugsperson durch ein neues Baby würde sich aber für sie schwieriger gestalten als seinerzeit für den Großen. Das sind natürlich rein theoretische Spekulationen aus meinen Beobachtungen und Erinnerungen heraus. Aber trotzdem spannend, über die eventuellen Unterschiede zu sinnieren.
In jedem Fall ist es wirklich unvorstellbar, heute ein Baby zu bekommen und die Kleine mit 26 Monaten zur großen Schwester zu machen, wie es dem Großen geschehen ist. Sie ist doch noch so klein!
Wenn die Kleine jetzt die Große würde

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