"Du läßt mich denken - ich wollt Dir nochmal danken dafür /
Dein altes 1-2-3 und 4 meine Struktur /
Fantasier und meditier zu deiner Rythmik - behalt meinen Kopf"
[DCS - Hirnsturm 1999]
Warum schaltet dieser Flaneur denn bitte jetzt der aktuellen Besprechung von DCS ein inzwischen 13 Jahre altes Zitat voraus? Ist ihm seine Kreativität abhanden gekommen & muss er jetzt tatsächlich seine alten Postings wiederkäuen?
Nee, werte Leserschaft, ich will etwas völlig anderes sichtbar machen, ich stimme jetzt eine nicht ganz bierernste (und sehr launige) Hymne an auf die jutte alte Zeit an, als alles, aber auch alles (wirklich alles) besser war :D.
Ich mein' 13 Jahre sind eine verdammt lange Zeit, manch einer war vor 13 Jahren noch ein Hanswurst (oder -würstin) auf der Kindergartenrutsche & stolperte dann später in diesen Strassenraphype der Hip Hop wehtat wie ein Pofick, während manch ein Kölner MC mit Namen Schivv & Ro Kallis (damals war er noch ein Rotzlöffel) Jahre vor eurer Geschlechtsreife schon kluge Zeilen mit Langzeitwirkung ins Mic zauberten.
Die vorangestellte Zeile ist mehr als nur eine Hook, die seit Jahren in meinem angegrauten Oldschoolschädel nachhallt, sondern eine stilistische Standortbestimmung, an der es zahlreichen aktuellen Silbenschiebern einfach mangelt. Manch eine neue Katze verzichtet bereitwillig auf Inhalt, Stringenz, Eigenständigkeit & Nachhaltigkeit - und manch ein aktueller Käufer will eben genau diese kalorienschwache Massenmastware.
Und so stapeln sich Haus & Maus-Reime, Messer sind besser-Spackereien & sonstige Hackfressepolkatänze galore in den deutschen Charts. Und wen - bitte sehr - wundert es dann noch, wenn Menschen mit einem gewissen Anspruch an lyrische Finesse aus dieser Szene bereitwillig desertieren?
Und eben dieser Unterschied vermieste mir lange Zeit Hip Hop gründlichst - MCs mit einem etwas gewissenhafteren Umgang mit Vokabular, Bildhaftigkeit & Selbstreflexion wurde als Studentenrapper diffamiert, Politik war eh komplett tabu, dafür der Schwulenhass plötzlich hoffähig & FemCees, die "in the early golden days" manch einem männlichen Kollege die Butter locker von der Stulle stylten, durften plötzlich nur noch als textilfreier Bühnenschmuck oder Hookbitch auftreten. Langweilig, chauvinistisch, hochdämlich und problematisch.
Natürlich gibt es grandiose neue Katzen wie Maeckes & die Chimps, Edgar Wasser, die Leipziger Funkverteidiger-Posse & die neuen Kölner rund um Retrogott oder die erzlustige Antilopengang, just to name a few - aber mal ehrlich, im Gegensatz zu den Komplettheinern in den Charts sind all diese Styleschaffenden doch leider ne Minderheit.
Ich hatte das Glück in Hip Hop reinzustolpern als RAG die Untertage droppte, Doppelkopf den Tapirlingo zum Esperanto der denkenden Styleköpfe machten, man sich vor Mördermonstermuscheln fürchte, sich des Pferdelunge Sport-EP durch Land frass und man sich bedankte, wenn einen dieses charmante Abstraktum Hip Hop zum Denken brachte.
Der Kontrast zwichen heute & dem sogenannten damals könnte nicht schärfer sein. Damals war Individualität & Finesse beim Texten kein Nischenproduktcharakteristika, sondern einfach Pflicht, ich mein man musste konkurrieren mit den Zeilenmagiern der Jams.
Kurz gesagt, damals gab es zahlreiche MCs, heute leider nur ne Unmenge Rapper ... und jetzt bekomme ich nach dem vielzeiligen Abkotzen auch endlich die Kurve ... manche dieser MCs kehren wieder & ich möchte sie einfach mal kurz selbst zitieren, denn DCS neue Scheibe lässt mich denken, kopfnicken, loslachen & unentwegt wtf!-sagen.
Silber ist eigentlich ein vollkommen irreführender Namen für diese Platte, diese Anspielung auf eine eher mittelmäßige Wertanlage unter den Edelmetallen passt einfach nicht. Und fünf Krone in der Juice sind auch zu wenig, eigentlich hätten DCS gut dran getan dieses Ding "Üppig gefüllte Schatzkammer" zu nennen, aber man gibt sich lieber unaufgeregt.
Unaufgeregtes (ok absurd schlechtes) Cover, kein aufdringliches Gehype, es wird lieber solide ne feine Mix in die Cloud geschmissen, in Anzügen vor der Kamera posiert & eine Single rausgehauen, deren ATCQ/de Funes-Hook mir sicherlich auch noch in 13 Jahren reinlaufen wird. Der Beat - unfickbar, ohnehin. Beats aus der Bude & Raps ausm Herzen mit deutlich höherem Hirnanteil. Badabing! Ja, ich nenne es ein Comeback & was für eins! Eindrucksvoll, unaufgeregt, unangepasst.
Oftmals tauchen ja alte Helden wieder auf & scheitern grandios beim Versuch auf Beats zu reiten, die zu zähmen sie nicht befähigt sind. DCS ist immer noch organisch, Peer & Lifeforce wissen noch immer wie sie den Micswingern Feuer unterm Gesäss entfachen & die beiden bedanken sich mit eindrucksvoller Performance - die waren tatsächlich weg?
Die Platte ist sooooo rund, dass ich kurzfristig mal die Idee verfolgte, dass die vier sich in den letzten Jahren bestimmt immer mal täglich (klammheimlich) zum Stylen trafen, aber nix veröffentlichten. Aber nöö, universitäre Karrieren, Kinder & so ein paar andere Erwachsenenkramsachen sprechen dagegen.
Erwachsen ist auch ein Prädikat mit dem ich die Platte beschreiben würde, auch wenn ich den Begriff eigentlich scheue. Aber die Themen haben sich eben gewandelt, nix mehr Booze & Bong, sondern reisen & reifen. Und erfreulicherweise blitzen überall diese "Du lässt mich denken"-Anspielungen wieder auf - DCS hatten ja nie einen auf überlegene Intellektuelle gemacht, sondern vielmehr diese reflektierten, strassenweisen Film geschoben, der mir immer schon hochsymphatisch war & ich rechne es ihnen hoch an, dass sie sich bei Silber nicht verbiegen, sondern einfach 2012 ihr ganz eigenes Ding machen, ohne auf Trends zu schielen.
Die Platte ist durchgehend ne Bombe, daher macht es meines Erachtens eigentlich wenig Sinn über einzelne Perlen zu sprechen, aber ich möchte mich zu ein paar Zeilen trotzdem äussern, einfach, weil man brillante Texte niemals unterschlagen sollte - gerade in der heutigen verflachten Zeit.
Die Single kennt ja inzwischen jeder & daher lass ich sie mal trotz Mörderbeat & Killerpunch aus, stattdessen will ich euch für Bis ich dich finde begeistern. Das 2012-Update zu Hirnsturm, noch immer ist es die heilende Wirkung von Hip Hop, das kreative Moment, diese Meditieren auf Beats, welches im Zentrum steht - hab ich sofort gefühlt & umgehend geliebt - alleine deswegen hätte ich schon die Scheibe gekauft.
Aber da kommt noch mehr runter in der Contentlawine, direkt danach ein Anderthalbminüter (Les Miserables) für all die Zu-Kurz-Gekommenen, für die, die still oder laut leiden, ne glaubwürdige Kopfhochhymne ohne ekligen Sozialkitschbeimengungen - muss man auch erst mal beherrschen, sowas - klassischer DCS-Shit.
Und nach diesen beiden brillanten Dingern kommt dann Nachtfrost - Kallis Requiem für seine verstorbene Mutter. Gänsehautnummer sondersgleichen. Wer bei diesem Ding unberührt bleibt, sollte mal ernsthaft über ne langjährige Pulverpause nachdenken. Und ja Leute, dass war jetzt nur die B-Seite :D.
Natürlich werden noch einige klassische Bildermonster auf den Hörer losgelassen, Kopfkinokönige waren DCS ja eh schon immer. In die Welt erzählt von Flucht & Heimkehr, vom sich selbst fremd machen müssen, um sich wieder selber zu finden, von der Neugier & dem unbändigen Drang trotz aller Reisen immer wieder an den Ursprung zurückzukehren. Die Weisheit der angegrauten Katzer eben. Manche Newbies haben ja schon Angst mit den Öffentlichen in den nächsten Kiez zu fahren, man könnte ja seine erzbequemen Klischees beschädigen.
Und übrigens Alter - dieses überzogene lyrische Feuerwerk, welches Schivv & Kallis zusammen mit Mister Olli "du und mein Penis" Banjo bei Sex im Alter abfackeln geht ja mal überhaupt nicht mehr klar, da kopfnickt dein Zwerchfell ...
Kurz gesagt: Eindrucksvolles, eigenständiges, reifes, erfreulich kluges Comeback, dass mich sogar ein wenig wieder mit Hip Hop versöhnt, weil er mich mal wieder denken lässt. Danke DCS. Und die Flaneurempfehlung mach ich jetzt auch nochma explizit.