Wenn der Wutsturm kommt

Von Frühlingskindermama @fruehlingsmama
Ich sitze auf dem Sofa, immer noch fix und fertig. Mir ist flau im Magen und durch meinen Kopf dröhnt das Wutgeschrei der Kleinen, das schon 3 Stunden zurückliegt. Fast 45 Minuten lang war sie völlig außer sich, hat gewütet und getobt, geschrien und geweint, getreten und Dinge nach mir geworfen. Nichts half. Ich war bei ihr, habe sie begleitet, ohne ungeduldig, sauer oder selbst wütend zu werden. Ich habe zwischendurch geweint, weil ich ihr überhaupt nicht helfen konnte und auch aus Mitleid mit mir selbst, weil sich dieser Wutsturm wiedermal an mir entladen hat. Aber ich bin ganz ruhig geblieben. Ich saß auf dem Fußboden im Flur, wo sie hockte und sich herumwälzte, habe die Arme nach ihr ausgestreckt, wenn ich das Gefühl hatte, sie öffnet sich ein Stück weit. Ich sah es in den zusammengekniffenen Augen in ihrem wutverzerrten, schreienden Gesicht, dass sie gern wollte, aber nicht konnte. Nach einer langen Weile kam sie sogar zwei Mal kurz zu mir und versuchte, sich anzuschmiegen, stieß mich aber gleich wieder von sich und brüllte noch mehr. Es ging noch nicht. Ich war still, habe nichts gesagt, sondern nur gewartet. Jedes Wort, jede Handlung verstärkte das Gebrüll nur. Die Kinder waren spät mit dem Papa nach Hause gekommen. Wir wollten Abendbrot essen, der Große saß schon am Tisch. Er hielt sich die Ohren zu. Der Mann brachte ihn mit seinem Essen ins Kinderzimmer, um ihn zu schützen. Irgendwann, nach einer unendlich scheinenden Zeit, es waren fast 45 Minuten, beruhigte sich die Kleine endlich und war wieder zugänglich. Dann ließ sie auch wieder Körperkontakt zu. Wir aßen zusammen und kuschelten auf dem Sofa.
Woher kam dieser Wutsturm? Früher wäre ich völlig ratlos und überfordert gewesen und hätte mir solch eine heftige Reaktion nicht erklären können. Oft war ich auch gekränkt. Mittlerweile kenne ich meine Kinder und weiß meist, worauf und wie sie reagieren. Ich habe mich auch selbst weiterentwickelt. Und das macht mich ruhiger. Ich denke, es war eine Kombination aus diversen unglücklichen Faktoren. Es war Freitag und die Kinder waren kaputt von der Woche. Die Kleine machte seit kurzem keinen Mittagsschlaf mehr in der Kita und war nachmittags immer enorm knatschig gewesen. Der Mann hatte die Kinder am Vortag und am Wutsturm-Tag von der Kita abgeholt und sie hatten mich an diesen beiden Tagen 10 Stunden lang nicht gesehen. Er war an beiden Nachmittagen mit den Kindern noch bis 18:15 Uhr unterwegs gewesen und das ist für sie extrem anstrengend, besonders im Winter. An den Nachmittagen war laut Aussage des Mannes alles super gewesen, d.h. die Kleine muss sich sehr zusammengerissen haben, da sie bei mir seit Wegfall des Mittagsschlafs immer motzig gewesen war. Nach der stundenlangen Anpassung in der Kita kam also noch das Zusammenreißen beim Papa dazu. Vielleicht war sie auch sauer auf mich, dass sie so lange von mir getrennt sein musste. Sie war also erschöpft, müde, kaputt, hatte mich vermisst, war gleichzeitig sauer und musste ihre Emotionen sehr lange unterdrücken. Als sie nach Hause kam und mich sah, kam das alles hoch. Und wenn sich so vieles in einem Menschen anstaut, muss das irgendwie raus. Dann fehlt nur noch ein Tropfen, der zur Explosion führt.
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Der konkrete Auslöser war: ich hatte für beide Kinder ein Mini-Mitbringsel auf den Tisch gelegt. Als die Kleine das sah und sich irgendwie benachteiligt fühlte, brüllte sie los. Da ihr Mitbringsel sie so sehr aufregte, packte ich es wieder weg. Das regte sie natürlich noch mehr auf. Dann musste ich mich kurz um den Großen im Bad kümmern. Das war zuviel für sie. Der Wutsturm brach sich Bahn und ließ sich nicht mehr stoppen. Zum Glück war ich ausgeruht und ausgeglichen, da ich an beiden Tagen nach der Arbeit noch zwei Stunden allein zuhause war, bis die Kinder kamen. Bin ich gestresst, angeschlagen oder unter Druck, klappt das Geduldigsein und Ruhigbleiben nicht so gut. Zum Glück war auch noch eine andere Betreuungsperson, der Papa, greifbar, der sich um den Großen kümmern konnte. Wenn man allein mit beiden Kindern ist, muss das andere Kind in dieser Zeit komplett zurückstecken und warten. Denn wenn ich mich um das Geschwisterkind kümmere, wird die Wut immer stärker. Und auch nach dem Wutsturm bekommt ja das sich gerade beruhigende Kind meine Aufmerksamkeit. Wenn ich mich dann gleich wieder dem Geschwisterkind zuwende, regt sich das Wutsturm-Kind nämlich wieder auf. Das sind sehr schwierige, kräftezehrende Situationen für alle Beteiligten.
Nachdem die Autonomiephase der Kleinen bisher wirklich - im Vergleich zum Großen - recht glimpflich verlaufen ist und meist gut zu händeln war, weil ihre Wut nicht ganz so heftig und körperlich war, ihre Ausraster berechenbarer waren und sie sich schon immer leichter beruhigen ließ als der Große, durchläuft sie nun seit einigen Monaten doch noch eine deutlich extremere Phase. Sie wird jetzt immer sehr schnell wütend, manchmal ärgert sie jede Kleinigkeit, und sie lässt sich kaum noch von außen beruhigen, sondern man muss wirklich mit ihr zusammen warten, bis der Wutsturm vorbei und sie wieder zugänglich ist. Ich tröste mich immer damit, dass es das letzte Aufbäumen ihrer Autonomiephase ist. Sie ist jetzt 3 1/2 Jahre alt. Und es macht für mich einen großen Unterschied in der "Nachbereitung" solcher Wutstürme, dass man, weil sie ein sehr kuscheliges, anschmiegsames Wesen hat, danach wieder mit ihr knuddeln und schmusen kann. Das war ja beim Großen nicht möglich gewesen und das macht viel aus.
Trotzdem kosten mich solche Ausraster immer noch viel Kraft, ich bin richtig aufgewühlt, weil ich in diesen Momenten soviel Energie aufbringe, um der Kleinen bzw. beiden Kindern gerecht zu werden. Und ich weiß noch, wie ausgelaugt ich nach den häufigen und heftigen Wutstürmen des Großen immer war. Für die Kinder selbst ist das natürlich auch unglaublich anstrengend, aber sie erholen sich schneller. Mir hängt das noch stundenlang nach. Diesmal aber nicht, weil ich mich zermarterte und mit meinen Reaktionen haderte, wie früher oft, sondern ich wusste, ich hatte genau richtig reagiert. Sondern weil es eben Kraft kostet und ich danach liebevoll weiter mache, ohne sie spüren zu lassen, wie erschöpft ich davon bin. Weil ich mitleide, wenn eines meiner Kinder leidet und ich es nicht herausholen kann. Weil ich mich selbst in solchen Situationen sehe, als kleines Kind, das nicht aufgefangen wurde. Weil ich schon eine sehr kräftezehrende Autonomiephase beim Großen hinter mir habe. Und weil sich besonders viel immer bei mir entlädt.
Ich kann das übrigens viel besser zuhause auffangen als draußen in der Öffentlichkeit. Draußen, vor allem in Gegenden, wo wir Leute treffen, die wir kennen, bin ich viel schneller gestresst und ungeduldig. Ich weiß, dass das bei manchen Eltern umgekehrt ist. Bei mir wirkt dann der zusätzliche Druck von außen so, dass ich nicht so reagiere, wie ich eigentlich möchte. Kennt ihr das auch?
Ich hoffe, dass ich die Kleine auch noch durch den Rest ihrer Autonomiephase so geduldig und verständnisvoll begleiten kann wie an diesem Abend. Ich bedauere es, dass ich beim Großen damals noch nicht so weit war, aber die Umstände waren eben tatsächlich andere und man entwickelt sich als Eltern ja auch weiter. Es gibt immer einen Auslöser und eine oder mehrere Ursachen für solche Wutstürme, auch wenn diese für uns auf den ersten Blick vielleicht nicht oder schwer zu erkennen sind. Aber wir sollten es zumindest versuchen. Ich führe mir immer mein Mantra vor Augen, dass die Ruhe der Bezugsperson die wichtigste Voraussetzung zur Beruhigung des Kindes ist (siehe Rezension von "Das überreizte Kind"). Das hilft durch die Wutstürme hindurch. Doch wie ich meinen Tank danach wieder fülle, weiß ich noch nicht.
Nach einer Begebenheit am Freitag, 16.12.2016.