Wenn das Licht nicht mehr reicht

Hungry Sharks gastierte mit „Anthropozän“ bereits im Dezember im Dschungel Wien. Am 7. und 8. Jänner gibt es Wiederholungen, aber zuvor sind sie am 4. und 5.1. auch in Klagenfurt mit dieser außergewöhnlichen Produktion zu sehen.

Es ist 15 Jahre her, dass der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul J. Crutzen den Begriff „Anthropozän“ prägte. Der Terminus besagt, dass das Zeitalter, in dem wir gerade leben, nicht mehr eines ist, dass die Natur gestaltet und prägt, sondern maßgeblich der Mensch selbst.

Anthropozän (c) Dušana BaltićAnthropozän (c) Dušana Baltić

„Anthropozän“ nennt sich auch die neueste Arbeit der Gruppe Hungry Sharks, die im Dezember Premiere hatte. Empfehlenswert ist das Tanzstück nicht nur für Jugendliche ab 13, wie es in der Programmierung steht, sondern auch für Erwachsene, die Lust auf eine Vorstellung haben, in der sowohl der Intellekt als auch das ästhetische Empfinden auf eine ganz besondere Weise angesprochen werden.

Es ist stockfinster im Saal. Nach wenigen Augenblicken betreten einige Menschen die Bühne. Wie viele es sind ist unklar, denn nach wie vor ist fast nichts zu sehen. Ab und zu flackert das Licht einer kleinen Taschenlampe auf. Darin ist erkennbar, dass das kleine Grüppchen dicht beieinander bleibt und offenbar dabei ist, vorsichtig den Bühnenraum zu erkunden. Bald schon sitzen sie beisammen, Füße an Füße, in ihrer Mitte ein schwaches Licht, das sie offenbar wärmt. Sie bedingen einander, helfen einander, aber nur so lange, bis der Lichter mehr werden und sich bald jeder ein eigenes leisten kann. Valentin „Knuffelbunt“ Alfery, der zugleich auch für die Choreografie verantwortlich ist, schafft es, mit zeitgeistigem Tanz Bilder zu evozieren, die zu Beginn durch eine geschickte Lichtführung (Joe Albrecht ) vieles in Schwebe und einer ungewissen Ahnung lassen. Eine wunderbare Metapher auch für unser rudimentäres Geschichtsbewusstsein, das gerade rund um das Thema Menschwerdung auf großen Strecken im Dunkeln tappt.

Zusammen um ein Feuer sitzen hat eine andere emotionale Qualität als alleine mit einer Glühbirne, Tischlampe oder einer Lichterkette zu hantieren, wie kurz darauf zu sehen ist. Noch ist man damit beschäftigt, die Bilder zu einem Ganzen, zu einem Verständlichen im eigenen Kopf zusammenzufügen. Aber je länger die Vorstellung dauert, umso logischer wird auch die Handlung. Hungry Sharks erzählen wesentlich mehr als persönliche Geschichten. Sie entwerfen einen Schnelldurchlauf von der Besiedelung der Erde durch uns Menschen vom Beginn, bis herauf in unsere übertechnisierte Gegenwart, die vom Raubbau der Ressourcen im höchsten Maße bedroht zu sein scheint.

Anthropozän (c) Dušana BaltićAnthropozän (c) Dušana Baltić

Wenn zumindest alle Beteiligten mit dem, was sie an Lichtressourcen für sich ergattern konnten zufrieden wären, dann würde die Truppe etwas Realitätsfremdes veranschaulichen. Das Gerangel um mehr, das Gerangel um die letzten Ressourcen, das unweigerlich am Höhpunkt der Vorstellung entsteht, lässt jedoch direkte Parallelen in unser Hier und Heute zu. Gekämpft wird dabei um jede einzelne Glühbirne. Gehortet wird auf Kosten der anderen und die Verteilungskämpfe nehmen so lange ihren Lauf, bis schließlich alles im Dunkel versinkt.

„Wir wollten keinen versöhnlichen Schluss zeigen“, so der Choreograf. „Dann würden alle aus dem Saal befriedet nach Hause und hätten nichts zum Nachdenken“, und weiter: „Wir wollten ein Stück über die Ressourcenknappheit und –verteilung auf unserer Welt machen. Und die wichtigste Ressource auf der Bühne ist das Licht“. Das Besondere daran ist jedoch nicht nur diese Idee, sondern dass sie mit Tänzerinnen und Tänzern umgesetzt wird, die normalerweise nicht vor großem Publikum auftreten. Mit von der Partie sind Österreichs beste Break-Dancer, oder um sie mit dem genauen Terminus zu benennen – Österreichs beste urban dancer. Farah Deen, Patrick Gutensohn, Franz Günter Moser-Kindler, Manuel Pölzl, Moritz Steinwender, Tarek Tillian und Valentin „Knuffelbunt“ Alfery selbst.

Anthropozän (c) Dušana BaltićAnthropozän (c) Dušana Baltić

Sie alle kennen sich gut, denn die Szene ist in unserem Land ist nicht wirklich groß. Regelmäßig treffen sie sich zu nationalen aber auch internationalen battles und konkurrieren gegeneinander. Dabei sind sie oft unter sich und haben wenig Publikum. Dieser Umstand war ein Anreiz, abseits der herkömmlichen Szene Produktionen zu gestalten, die viel mehr Menschen sehen können. Und so dürfen sich nun die Zuseherinnen und Zuseher mit Figuren wie Breakings, Loggings, Poppings oder Freezings in einem gänzlich anderen Setting vertraut machen als jenem, aus dem sie eigentlich stammen.

„Anthropozän“ wirkt im zeitgenössischen Tanzgeschehen wie eine seltene, kostbare Pflanze, die gehegt und gepflegt werden will, um Ableger zu bekommen. Der Erfolg der Produktion lässt hoffen, dass Hungry Sharks bald wieder mit einem neuen Stück zu sehen sein werden.

Fazit: Extrem empfehlenswert!

Weitere Infos und Termine auf der facebook-Seite der Hungry Sharks oder beim Dschungel Wien.


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