Wenn Chauvinisten über Recht sprechen

Auf der Seite Legal Tribune Online hat ein Dr. Alexander Stevens Ratschläge für alle Chauvinisten, wie sie trotz der neuen Gesetzeslage beim Sexualstrafrecht ohne Verurteilung durch Weihnachten kommen. Der Autor ging davon aus, dass ein solches Thema per se nicht sonderlich ernstzunehmen ist und lediglich eine rechtliche Hürde für den Chef von Welt darstellt, ungefähr auf dem gleichen Level wie das Nummernkonto auf den Caymans. Dazu passt auch, dass ihm gelegentlich einfällt, dass Vorgesetzte auch weiblich sein können, aber das wird auch eher als Tribut an eine Norm denn aus Überzeugung geschrieben. Die "5 Tipps, wie Sie straflos durch die Weihnachtsfeier kommen" sind denn auch genau das, was man erwarten würde. Ihre Betrachtung lohnt sich, um jenen Chauvinismus entlarven zu können, der in den Schaltzentralen der Macht und denen, die sich dafür halten, immer noch so vorherrschend ist.

Wer mit einer alkoholisierten Person auf oder nach einer Weihnachtsfeier Sex hat, der hat ein Problem. Denn inzwischen muss man sich vor einem Sexualkontakt mit einer in ihrer Willensbildung eingeschränkten Person ihrer Zustimmung versichern, so verlangt es § 177 Abs. 2 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StBG).

Was hier als ein rein rechtliches Problem debattiert wird (der Artikel gibt imn Folgenden Tipps, wie man mit geschickten juristischen Begründungen vielleicht doch mit alkoholisierten Frauen schlafen kann) ist einem Menschen mit Mindestmaß an Anstand eigentlich ohnehin klar. Zustimmung zu Sexualakten kann nicht gegeben werden, wenn das Bewusstsein getrübt ist. Aber für den Chauvinisten von Welt ist das natürlich "spaßbefreit" (Zitat aus dem Artikel). Klar, wenn man Spaß so definiert, dass man seine Autoritätsposition ausnutzt um Mitarbeiterinnen erst zum Trinken zu animieren und dann die Trunkenheit hernimmt um sie in die Kiste zu kriegen. Wie schade, dass sowas nun verboten ist. Keinen Spaß mehr heutuzutage! Da fragt man sich direkt, warum man eigentlich Jura studiert hat.

Vorsicht gilt jetzt auch bei überraschenden Annäherungsversuchen auf dem vorweihnachtlichen Firmenfest. Bestraft wird gem. § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB nämlich seit neuestem, wer so schnell und überrumpelnd vorgeht, dass die sexuelle Handlung bereits geschehen ist, ehe das Opfer den Vorfall registriert oder es nicht mehr rechtzeitig mit einer Äußerung reagieren kann. Ein überraschender Kuss der guten Zusammenarbeit wegen oder eine plötzliche Umarmung, weil sich doch an Weihnachten alle prinzipiell ganz liebhaben, kann nun problematisch werden.

Ah, der überraschende Kuss der guten Zusammenarbeit wegen! Der Klassiker. Ich meine, wer mag das nicht? Kommt der dreißig Jahre ältere Vorgesetzte, küsst einen auf den Mund, lallt was von guter Zusammenarbeit. Da kann Weihnachten kommen!

Seit der Strafrechtsreform wird bestraft, wer die Furcht des Opfers vor sozialen Nachteilen für Sex ausnutzt. Den Klassiker, den der Gesetzgeber dabei vor Augen hatte, waren wohl betriebliche Weihnachtsfeste à la Beckenbauer und Co. Schließlich soll sich niemand genötigt fühlen, mit dem hässlichen alten Chef ins Bett zu gehen, um im nächsten Jahr mal "Mitarbeiter des Jahres" zu werden (oder vielleicht gerade nicht mehr sein zu müssen). [...] Wenn sie die ausnahmslos von Gott gegebene Wetterlage in der Hoffnung ausnutzen, Ihre Kollegin werde genau deshalb bei Ihnen im Taxi mitfahren und womöglich auch bei Ihnen übernachten und, wenn man schon mal da ist, auch ein klein wenig Sex mit Ihnen haben, haben sie sich schon strafbar gemacht - wohlgemerkt ohne dass sie ihr irgendwie gedroht hätten oder gar etwas für den Nachteil könnten.
Ihre Kollegin muss auch nicht einmal nach dem Taxi fragen. Es reicht schon, wenn sie annimmt, dass Sie es ihr gerade deshalb nicht anbieten, weil Sie sie ins Bett bekommen möchten. Denn wenn Sie ihr das Taxi überlassen, könnte sie ja jederzeit zu sich anstatt mit zu Ihnen fahren, um dort - wetterbedingt - mit ihnen Sex haben zu müssen. Einer "Drohung" wie "Oh, es schneit draußen! Schade, dass ich zuerst beim letzten Taxi war, aber wir können es uns ja bei mir zu Hause noch etwas bequem machen" bedarf es gar nicht erst.

Das Problem erledigt sich quasi selbst, weil man dafür ja nach der neuen Rechtslage eh auf den Alkohol verzichten müsste. Und dann kann man selbst fahren. Aber ich glaube, diese simple Lösung wäre dann wieder "spaßbefreit", weswegen es schon eines hypothetischen Szenarios bedarf, indem Mann der Kollegin die Mitfahrt im Taxi anbietet, und sie entscheidet sich dann (spontan, der guten Zusammenarbeit wegen), den Mann mit in ihre Wohnung zum Sex einzuladen. Das passiert ja regelmäßig, da können sich die männlichen Chefs kaum davor retten.

Womöglich wird manch einer einwenden, dass eine bloße weihnachtliche Umarmung doch niemals sexuell belästigend sein kann - ich kann Ihnen jedoch versichern, der Gesetzgeber sieht das seit der Sexualstrafrechtsreform anders.

Nicht nur der Gesetzgeber, du Creep. Aber keine Angst:

Nachdem der Straftatbestand der sexuellen Belästigung aber noch immer eine körperliche Berührung verlangt, sind Luftküsse, Blicke in den Ausschnitt, Nachpfiffe und wiederholtes Fragen nach Dates weiterhin nicht strafbar.

Ist das nicht gut zu wissen? Luftküsse, Blicke in den Ausschnitt, Nachpfiffe, wiederholtes Fragen nach Dates wenn sie "Nein" gesagt hat. Ich meine, was so ein Chef von Welt und Doktor der Jurisprudenz halt unter akzeptablem, vielleicht gar angemessenem Verhalten versteht. Nicht so "spaßbefreit" wie unsereiner, der das für unterste Schublade und absolut daneben hält. Aber ich habe natürlich auch nicht Jura studiert. Und dann das Finale:

Mein Tipp also: Um potenzielle Strafbarkeitsfallen auf Weihnachtsfeiern von Anfang an zu umschiffen, sollten Sie die eigene sexuell getriebene Abenteurerlust immer klar kommunizieren. Am besten fackeln Sie nicht lange, sondern sagen einfach gleich, was Sache ist, ganz ohne Subtext. Kein "Hey, wie geht's?" mehr, das hat sowieso genervt. Sagen Sie stattdessen: "Hey, ich finde dich sexuell attraktiv und habe Lust auf einen One-Night-Stand oder vielleicht auch auf mehr". Nicht aufgeben, wenn die Konkurrenz mit etwas subtileren Methoden mehr Erfolg hat.

Ist das nicht drollig? Die Konkurrenz versucht natürlich auch nichts anderes, als Frauen besoffen zu machen und mit dem letzten Taxi zum Sex in die Wohnung zu ködern. Denn wenn alle Männer Schweine sind, ist auch das eigene Verhalten nicht schlimm. Liegt ja quasi in der Natur der Sache.

Lieber Dr. Alexander Stevens, das Problem sind Sie. Ihr unreflektierter Chauvinismus, Ihre Anspruchshaltung, Ihre Flegelei. In Bereichen, die immer noch zu großen Teilen von Männern dominiert werden und die Frauen nur als Untergebene und potenzielle Fleischstücke kennen, mögen Sie noch glauben, eine Mehrheit darzustellen. Aber der Wind dreht sich, und dieses Verhalten ist nicht mehr die Norm. Sie sind ein Fossil. Sie wissen es nur noch nicht.

Wenn Chauvinisten über Recht sprechen

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