Gastbeitrag von Dr. Peter Pitzinger
Immer wieder kann man lesen, dass sich Nachbarn über Kinderlärm beschweren oder die Errichtung von Kindergärten an Einsprüchen der Anrainer scheitert. Doch wie sieht die Situation tatsächlich rechtlich aus? Haben solche Beschwerden Aussicht auf Erfolg?
Kinderlärm könnte einerseits nach dem Privatrecht ein Streitfall werden, etwa in dem ein Nachbar bei Gericht eine Unterlassungsklage einbringt, weil die Spielgeräusche und das Kinderlachen als „Immission“ in sein Grundstück oder seine Wohnung indirekt einwirken. Eine solche Klage ist nur möglich, wenn die Einwirkung das übliche Maß überschreitet und die ortsübliche Benützung des eigenen Grundstückes oder der eigenen Wohnung wesentlich beeinträchtigt. Eine Lärmbelästigung von spielenden Kindern wurde aber von den Gerichten stets als ortsüblich qualifiziert, nur unmittelbare Einwirkungen, zum Beispiel das Werfen eines Balles über den Zaun in den fremden Garten, sollte unterlassen werden. Ein Rechtsanwalt wollte im Jahr 2007 einen neuen Spielplatz in seiner Wohnanlage verhindern und ging mit den Fall durch alle Instanzen. „Von einem Kinderspielplatz ausgehender Lärm könne grundsätzlich nicht als Störung angesehen werden, die die Brauchbarkeit einer Wohnung oder einer Rechtsanwaltkanzlei vermindere“ schreibt schließlich der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil. Als Maßstab sei das Empfinden eines Durchschnittsbürgers wesentlich, nicht die besondere Empfindlichkeit einer Person, merkte das Höchstgericht an.
Zum Bereich des privaten Rechts gehören auch Hausordnungen und Mietverträge, die meist auf die Ruhezeiten in der Nacht und am Wochenende verweisen. Kinderlärm und Babygeschrei müssen aber auch in diesen Fällen akzeptiert werden. Absichtliche Lärmquellen, wie z.B. Rollschuhfahren in Ruhezeiten, können natürlich untersagt werden.
Wenn die Polizei anrückt, dann gab es eine Anzeige nach dem öffentlichen Recht. Im NÖ Polizeistrafgesetz etwa ist die Erregung ungebührlichen störenden Lärms eine Verwaltungsübertretung und kann mit Geldstrafen oder Arrest bestraft werden. Diese oder ähnliche Formulierungen finden sich in den Gesetzen aller Bundesländer. Dazu gibt es auch eine Reihe von Entscheidungen der Unabhängigen Verwaltungssenate, die als letzte Instanz Verwaltungsstrafsachen entscheiden.
Ein Lärm kann dann strafbar sein, wenn er „störend“ ist und „ungebührlich“ ist. Störend bedeutet, dass die Geräusche wegen ihrer Lautstärke für das menschliche Empfindungsvermögen unangenehm in Erscheinung treten und das „Wohlempfinden“ eines Durchschnittsmenschens beeinträchtigt. Es kommt dabei nicht auf die subjektiven Gefühle der Person an, die sich beschwert fühlt, sondern es ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Zur Ungebührlichkeit ist zu sagen, dass ein gewisses Maß an Lärm, auch wenn dieser als störend empfunden wird, geduldet werden muss. Wer gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muss, handelt ungebührlich.
Gerade in Wien wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat einige Male entschieden, dass die Geräusche die „mit dem Aufziehen von Kindern regelmäßig verbunden“ und nicht vermeidbar sind, kein ungebührlicher Lärm sind. 1993 wurde eine Mutter mit Straferkenntnis schuldig gesprochen, weil „sie es unterlassen hätte, auf die in der Wohnung anwesenden Kinder erzieherisch einzuwirken, sodass durch Kindergelächter und Gequietsche, Herumlaufen, Trampeln, Polter- und Klopfgeräusche, sowie Schreie, störender Lärm erregt worden sei.“ Dieser Bestrafung lagen Schallpegelmessungen in der Nachbarwohnung zu Grunde, die Spitzen bis zu 61 dB brachte (Quietschen eines Kindes). Wenn man bedenkt, dass etwa eine vielbefahrene Straße einen Wert von 80 bis 90 dB bringt, ist das nicht sehr viel. Die Strafe nach dem Wiener Landes-Sicherheitsgesetz betrug damals 1.000 Schilling oder 60 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe. Die Mutter berief gegen dieses Straferkenntnis.
Richtig wurde entschieden, dass der Lärm zwar – auch objektiv gesehen – störend gewesen war, aber nicht ungebührlich, denn das typische Schreien von Säuglingen und Kleinkindern kann nicht als ungebührlich beurteilt werden. Selbst eine gelegentliche kurze Rauferei von Klein- bzw. Vorschulkindern ist nicht ungebührlich.
Neben den Sicherheitsgesetzen finden sich aber auch in den Bauordnungen der Länder Anknüpfungspunkte. In Niederösterreich wurde mehrmals versucht Kinderspielplätze bis hinauf zum Verwaltungsgerichtshof zu verhindern. Die Beschwerdeführer hatten aber keinen Erfolg, denn „Spielplatzgeräte“ gehören laut NÖ Bauordnung zu den Vorhaben, die ohne Bewilligung oder Anzeige durchgeführt werden dürfen. Solche Spielplatzgeräte müssen auch nicht vorgefertigt oder nach standardisierten Konstruktionsplänen errichtete Geräte sein, sondern es fällt jedes zum Spielen geeignete und dazu bestimmte Gerät unter diesen Begriff. Selbst ganze Spielplätze müssen nicht nach der Bauordnung bewilligt oder angezeigt werden. Daher haben die Nachbarn und Anrainer keine Möglichkeit Einwände zu erheben.
In Deutschland wurde im März 2011 ein Gesetz in den Bundestag eingebracht, dass in Wohngebieten künftig nicht mehr gegen Kinderlärm geklagt werden kann. Kinderlärm kann in Deutschland derzeit als „schädliche Umwelteinwirkung“ qualifiziert sein.
Solche Gesetzeskorrekturen haben wir in Österreich Gott sei Dank nicht nötig. In Österreich gibt es eine gesicherte Rechtslage, dass Kinderlärm nicht ungebührlich und meist auch nicht störend ist. Weder durch das Privatrecht noch durch das Verwaltungsrecht können Kinder am Lachen, Laufen, Raufen und selbst Quietschen gehindert werden.
Der Autor ist Jurist, fünffacher Familienvater und Leiter des Familienreferates der NÖ Landesregierung.