Einfach nur Phowa zu praktizieren, wird uns auf den Tod nicht vorbereiten. Vielleicht haben wir nicht einmal die Gelegenheit, solch eine Praxis auszuführen. Der Tod kann ohne Vorwarnung eintreten oder wir sind vielleicht zu krank, diese Technik auszuführen. Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Phowa-Praxis aufgeben sollten. Dennoch sind es die Beständigkeit und die Ernsthaftigkeit unserer Dharma-Praxis während unseres Lebens, die uns auf den Tod wirklich vorbereiten. Die Lehren des Hinayana, des Mahayana und des Vajrayana bieten uns praktische Ansätze dies wahrzunehmen, sodass wir in einer Weise leben, dass wenn der Tod kommt, erwartet oder nicht, unser Geist bereit sein wird. Wie können wir Phowa praktizieren, wenn wir plötzlich sterben? Was wir allerdings machen können, ist die Lehren des Buddhas zu studieren und sie ins tägliche Leben integrieren. Beispielsweise haben uns die Hinayana-Lehren die Zehn Unheilsamen Taten gegeben: nicht zu töten, nicht zu stehlen oder sexuelles Verhalten zu unterlassen, nicht zu beleidigen, tratschen, lügen oder Zeit mit sinnlosen Themen zu vergeuden und fühlende Wesen nicht missachten, indem man an ihre Wohlergehen denkt, sich an ihrem Glück erfreut und den Geist in der rechten Sicht übt. Die Sichtweise ist am wichtigsten und das Sprungbrett für Körper, Rede und Geist.
Es genügt aber nicht, diesen Grundsätzen zu folgen, wir müssen die Zehn Heilsamen Taten ebenfalls anwenden, die die Richtlinien dafür sind, wie man lebt. Die Verwandlung unserer Gewohnheiten erfordert mehr Anstrengung als einfach nur die Negativität auszureißen, sie beinhaltet auch die Ansammlung von positiven Tugenden. Beispielsweise statt zu töten, das in der Sichtweise des Hinayana immer eine unheilsame Tat ist, sollten wir daran arbeiten, Leben zu schützen, jenen mit Medizin und Nahrung zu helfen, die leiden und andere vor Leid beschützen. Statt zu stehlen, üben wir Großzügigkeit mit unseren Gedanken, Worten und Taten, indem wir in jeder Situation das geben, was wir können. Um Heilsames anzusammeln, halten wir an den moralischen Standards fest, die ein Gegenmittel für Ehebruch sind. Hinsichtlich unserer Sprache praktizieren wir, indem wir wahrhaft sind, immer in einer deutlichen und ehrlichen Art sprechen. Statt Zerwürfnisse oder Spaltungen zu verursachen, verwenden wir unsere Energie dafür, Leute zusammen zu bringen. Wir sind achtsam, indem wir sanfte Worte verwenden und diskutieren den Dharma und sinnvolle Themen. Mit unserem Geist richten wir uns auf die Sichtweise aus, anderen Wesen zu nutzen und erkennen die erleuchteten Eigenschaften in jenen, die uns umgeben und auch in uns selbst, statt dauernd den gewöhnlichen Gedanken und Vorstellungen zu erliegen.
Aus der Perspektive des Mahayana haben wir die Praxis der Sechs Paramitas, bekannt als die Sechs Vollkommenheiten: Großzügigkeit, ethische Disziplin, Duldsamkeit, Streben, Meditation und Weisheit. Indem wir diese Lehren anwenden und unseren Körper, unsere Rede und unseren Geist mit diesen leitenden Prinzipien üben, leben wir ein ehrbares und tugendhaftes Leben und bereiten uns selbst auf das Sterben und die Gelegenheit vor, die das Sterben bietet, Erleuchtung zu erlangen.
Im Vajrayana ist es unsere Übung, unsere Selbstnatur als Gottheit zu erkennen. Menschen können zu Amitabha beten, darauf hoffen, in seinem reinen Bereich wiedergeboren zu werden, denken, dass dies ihr Dilemma bei Tod lösen wird. Vielleicht haben wir entschieden, dass wir zu Amitabha beten können, an ihn denken, so als ob „er jemand wäre“, der uns helfen wird und dass es einen Ort „irgendwo“ gibt, wo wir mit ihm hingehen können. Wenn man denkt, dass da eine feste, substanzielle Gottheit und ein Ort zum Hingehen wären, dann ist das eine sehr gewöhnliche Sichtweise. Gemäß dieser Art des Denkens kann man sich dann wundern: „Was, wenn Buddha Amitabha mich nicht mag? Was, wenn ich ihn nicht mag?“ Dies ist nicht die korrekte Art der Annäherung. Die Gottheit ist nichts anderes als Leerheit, die Basis von allem, die Grundlage des Geistes. Ebenso sagen die Leute vielleicht: „Ich mag diese Gottheit, aber ich mag jene nicht.“ Voreingenommen zu sein, ist ebenfalls eine gewöhnliche Sichtweise, die weder einen Platz in unserer Praxis hat, noch zur Erkenntnis des reinen Gewahrseins führt. Das Greifen nach objekthaften Phänomenen und dem begrifflichen Geist, wird nicht zur Sichtweise führen oder zum Zustand der Entspannung, der für einen fruchtbaren Übergang notwendig ist. Wenn wir sterben oder anderen, die sterben, helfen, dann ist es entscheidend, dass wir entspannen. Das wird von Nutzen sein.
Sich nur auf eine Praxis zu konzentrieren, ist alles, was notwendig ist, um die eigenen erleuchteten Eigenschaften zu erkennen. Das ist der Punkt in den Übungen der Gottheitenerzeugung. Diese Techniken leiten uns an, die Natur der Erleuchtung zu verwirklichen, die die Essenz von dem ist, was wir bereits sind. In Wahrheit ist unsere Natur die Gottheit. Unsere Kontemplation der Gottheitsnatur, in uns selbst, in anderen und in unserer Umgebung, hat die Eigenschaft und Macht, die gewöhnliche begriffliche Gespaltenheit auszureißen und zu verwandeln, die wahre Natur unseres Geistes zu offenbaren. Es geschieht mit diesem Geist, dass wir in den Übergang des Sterbens eintreten. Im Tod ist die Verwirklichung das wahre Phowa.
Nach einer Belehrung des Ehrw. Gyatrul Rinpoche.