Akif Pirinçci
Es gibt viele Gründe, etwas gegen Akif Pirinçci zu haben. Er ist ein gehässiger Stänkerer. Emotionen wie Liebe und Zärtlichkeit sind ihm fremd. Er hat eine primitive Gossensprache am Leib, die was-weiß-ich-auch-immer kompensieren soll. Man würde ihm einen guten Freund wünschen, der ihm etwas Zuwendung gibt und ihm all die Bereiche des menschlichen Lebens erschließt, die ihm noch unbekannt sind.
Allein: Die Empörung, die momentan wegen seiner KZ-Äußerung durch die Medien geht, ist unangemessen. In unzähligen Schlagzeilen lesen wir, Pirinçci bedauere es, dass es keine KZs mehr gebe.
Hat er das wirklich gesagt? Will er wirklich Menschen vergasen? Und wenn ja, wen?
Nun, natürlich hat Pirinçci nichts dergleichen gesagt. Er hat von einem CDU-Politiker gesprochen, der einem Asylgegner gesagt habe, wenn ihm die Flüchtlingslager nicht passten, könne er ja das Land verlassen. Und Pirinçci fährt fort: „Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“
Okay. Man muss diesen Nazi-Vergleich weder gut noch angemessen finden. Mir gefällt er auch nicht. Aber in welchem Kontext bringt ihn Pirinçci?
Er empört sich zunächst über die Äußerung des CDU-Manns. Diese Empörung ist – sofern der CDU-Mann das tatsächlich so gesagt hat – durchaus nachvollziehbar. Eine offene Gesellschaft muss Gegenpositionen aushalten können. Niemand soll wegen seiner politischen Meinung aus dem Land gejagt werden.
Das war in Deutschland nicht immer so – worauf Pirinçci ganz offensichtlich anspielt. Bis zum 23. Oktober 1941 konnten Juden die Reichsfluchtsteuer zahlen und auswandern, wenn ihnen die Verfolgung in Deutschland nicht mehr passte. Am 23. Oktober 1941 verbot Himmler die Auswanderung und leitete die von Pirinçci so genannte „andere Alternative“ ein: die Deportation der verbliebenen Juden in die Vernichtungslager.
Pirinçci sagt also: Der CDU-Mann kann dem Asylgegner nur die Ausreise empfehlen, weil er nicht die Möglichkeit hat, ihn ins KZ zu stecken. Und er fügt ein „leider“ ein, womit er dem CDU-Mann unterstellt, diese Alternativlosigkeit zu bedauern.
Die Schlagzeile zu Pirinçcis Äußerung müsste also lauten:
Pirinçci: CDU-Mann bedauert, dass KZs außer Betrieb sind
Stattdessen lesen wir:
Pirinçci: „KZs sind leider außer Betrieb“
Und das ist – ob es einem gefällt oder nicht – eine grobe Verzerrung dessen, was Pirinçci wirklich gesagt hat. Das Wort „leider“ ist ganz offensichtlich Teil einer uneigentlichen, ironischen Rede, mit der Pirinçci die Position des CDU-Politikers drastisch überspitzt. Man muss das nicht gutfinden. Aber man muss es zumindest richtig lesen.
Leider gehen solche sprachlichen Feinheiten in der aktuellen politischen Diskussion mehr und mehr verloren. Symptomatisch war schon Joachim Herrmanns „wunderbarer Neger“ Anfang September. Herrmann hatte ebensowenig Roberto Blanco einen „Neger“ genannt wie Pirinçci die Schließung der KZs bedauert hat. Er griff lediglich die Aussage eines Bürgers auf, der gesagt hatte, „Die Neger passen nicht zu uns“. Daraufhin sprach Herrmann über die gelungene Integration vieler Zuwanderer und führte als Beispiel Roberto Blanco an, der doch immer ein „wunderbarer Neger“ gewesen sei.
„Neger“ war in diesem Kontext offenkundig ein Zitat. Herrmann griff damit – für jeden aufmerksamen Zuhörer klar erkennbar – die Aussage des Bürgers auf und führte sie ad absurdum. Doch die Medien überschlugen sich, die „unglaubliche Entgleisung“ des bayerischen Innenministers anzuprangern.
Zitate, Ironie und sprachliche Zwischentöne haben es im aufgeheizten politischen Klima dieser Tage schwer. Man wünscht sich apodiktische, affirmative, völlig unzweideutige Aussagen – eine nicht ungefährliche Entwicklung. Sie reduziert die Komplexität des Diskurses auf ein primitives Freund-Feind-Schema, das der Denk- und Redeweise Pirinçcis ähnelt. Diskurs wird zu Agitation, und die Sprache zu einem bloßen Vehikel politischer Parolen.