Woran es Viellesern sicherlich nicht mangelt, sind Bücher. Das hält sie aber nicht davon ab, immer wieder nach neuem Lesestoff Ausschau zu halten. Doch welche Wege gibt es überhaupt, um auf neue Bücher zu stoßen? Welche Orientierung gibt es jenseits der Literaturkritik und anderen literarischen Institutionen?
Hier folgt eine kleine, unvollständige Sammlung an Ideen, wie sich Viel- und Gelegenheitsleser einen Überblick über den Buchmarkt verschaffen und dazwischen auch noch unerwartete Entdeckungen machen können.
Überblick über Neuerscheinungen
Wenn es nicht nur die Literaturkritiker schwer haben, einen Überblick über den Buchmarkt zu bewahren, wie soll es dann Lesern gelingen? Laut einer Statistik des Börsenvereins sind in Deutschland im Jahr „2013 exakt 96.600 Titel herausgekommen“.
Die nahe liegendste Möglichkeit ist der Gang in die Buchhandlung. Die aktuellen Bücher der Saison liegen meist auf einem Tisch aufgebaut. Die Verlagsvorschauen für das Frühjahr und den Herbst, eigentlich ein Instrument, um die BuchhändlerInnen über die Neuerscheinungen zu informieren, lassen sich mittlerweile auf nahezu allen Verlagsseiten anschauen und herunterladen. Einen besonderen Service bietet hier der Börsenverein des deutschen Buchhandels, indem er die Vorschauen bündelt.
Wer gezielt nach Neuerscheinungen suchen möchte, kann dies bei neuebuecher.de tun: In der Suchmaske lassen sich Bücher nach Erscheinung auflisten, das können z. B. die letzten oder die nächsten drei Monate sein.
Lesungen & Literaturfestivals
Manchmal ist es wie auf einem Konzert: Live klingt der Song doch anders als zu Hause oder durch die Kopfhörer. Viele Autoren sind nicht nur großartige Erzähler, sondern auch Vorleser, die den Text in all seinen Farben und Klängen vor den Lesern ausbreiten und das viel besser tun als es die Stimme in unserem Kopf kann.
Schon manche Lesung hat mich zu Autoren und Büchern geführt, die ich sonst überlesen hätte. Einen einheitlichen, aber unvollständigen, Kalender über deutschlandweite Lesungen gibt es auf werliestwannwo.de, sortiert nach Stadt und/oder Autorenamen. Das Lesungsportal wird seit einer Weile überarbeitet, das ist aus optischer und funktionaler Sicht auch nötig, doch die Grundidee ist eine sehr gute.
Persönliche Empfehlungen
Üblicherweise sprechen Freunde oder Buchhändler die nächste Leseempfehlung aus. Dass das auch online geht, ist bekannt, z. B. auf Basis algorithmischer Auswertungen bei Internetshops, die sich an den Käufen und Empfehlungen anderer orientieren (und dabei vielleicht gar nicht mal so daneben liegen). Wer es persönlicher mag, kann bei MyBOOK eine Kriterienliste ausfüllen und sich die Vorschläge für seine zukünftige Lektüre per E-Mail zusenden lassen. Dahinter stehen Menschen, sogenannte Buchexperten, die sie auf vielfältige Art mit Büchern beschäftigen und mitunter Genre-Spezialisten sind und passenden Lesestoff empfehlen.
Genre und Buchcover als Leuchttürme (oder Taschenlampen)
Mit Genre-Begriffen arbeiten vor allem Verlage (ganz besonders Vertrieb und Marketing), Literaturagenturen, aber auch Buchhandlungen, um Ordnung in die Regale zu bringen und eine gewisse Orientierung für Kunden zu schaffen.
Mit dem Genre einher geht oft auch die Gestaltung des Buchcovers, an der sich leicht die Ausrichtung ablesen lässt. Blüten wie Orchideen, Samtstoffe, Federn, Pink-Schwarz-Kontraste sind zum Sinnbild für Erotikliteratur geworden, bei historischen Romanen ist es der Schoßrock eines altertümlichen Kleides und Liebesromane sind vielfach in Bonbonfarbe gehalten. Eine interessante Beobachtung am Rande: Autor und Journalist Stefan Mesch hat die Buchcover für das Frühjahr 2015 ausgewertet und dabei verblüffende Ähnlichkeiten und Trends in der Gestaltung ausfindig machen können.
Wer sich in einem bestimmten Genre bewegt, weiß also, wo er nach Büchern stöbern kann. Die Schwierigkeit beginnt aber schon bei der Genrezuordnung von Büchern. Experimentelles und Genre-Misch-Masch lässt sich nicht immer klar positionieren. In meinem Bücherregal finden sich z. B. Gegenwartsliteratur, Junge Stimmen, Kurzgeschichten/Erzähl-Bände und Klassiker. Doch Gegenwartsliteratur als Genre zu begreifen, fällt mir schwer, da die Bezeichnung eher öffnet als begrenzt – und dadurch thematisch und formal eine wunderbare Vielfalt herrscht. Insofern ist der Begriff erst einmal schön und gut, doch dahinter kann sich alles und nichts verbergen.
Indie-Books als Empfehlung verstehen
Eine Lockerung des Genrebegriffs und ein Öffnung hin zu den Themen lässt sich bei Independet-Verlagen beobachten. In einem Beitrag den ndr erklärte Daniel Beskos, Mitbegründer und Verleger des mairisch Verlags, dass unabhängige Verlage weniger in Genre und Zielgruppen denken, sondern sich eher von ihren eigenen Vorlieben leiten lassen. In der Konsequenz bedeutet es für den Leser, sich beim Griff zu Indie-Titeln auf etwas Neues einzulassen und diese Bücher als eine Empfehlung zu betrachten, die aus den bekannten Mustern und Gewohnheitsthemen ausbrechen.
Lesen nach Listen
Preisträger-Literatur oder Bestsellerlisten zu verfolgen ist auch eine Art, auf Bücher und Autoren aufmerksam zu werden. Hier und dort werden Buchcharts zu Recht eine zweifelhafte Aussagekraft nachgesagt und die Vergabe von Preisen ist außerdem nicht immer transparent und oft an außerliterarische Faktoren geknüpft.
Spannender dagegen sind Empfehlungen, die ein bestimmtes Thema teilen (wie z. B. diese Übersicht von „wasliestdu“, von Büchern, in denen es um die Liebe zu Büchern geht) oder etwas Ungewöhnliches als Ausgangsbasis nutzen (wie z. B. „Zehn rote Tipps“, die sich an der Farbe des Buchcovers orientieren, nachzulesen auf dem Blog „Literaturen“).
Themenwelten anstatt Rezensionen habe auch ich bereits ausprobiert und eine Reihe von Romanen zusammengestellt, die sich mit einem ähnlichen Thema auf verschiedene Weise beschäftigen, nämlich der Suche nach einer Konstanten. Solche Listen weiten den Genrehorizont eines jeden Lesers und zeigen, welche unterschiedlichen Umsetzungen und Herangehensweisen die Autoren für ähnliche Stoffe oder Ausgangssituationen finden.
Inspiration aus Serien und Adaptionen
Innerhalb und außerhalb der Welt der Buchdeckeln gibt es Geschichten, die auf Bücher oder Stoffe, die häufig in der Literatur verarbeitet werden, rückverweisen. Damit meine ich nicht, die Verfilmung eines Romans, sondern Bücher, Serien oder Filme, die Anspielungen, Querverweise, intertextuelle Bezüge, verdeckte oder explizite Zitate anderer Bücher beinhalten. Wer den gelegten Spuren der Autoren nachgeht, findet sich in einem System wieder, das sich selbst multipliziert. Worauf man dabei oft stößt, sind Klassiker oder Literatur aus dem Kanon. Hier einige Beispiele:
- In der Serie Lost stecken inhaltliche und symbolische Verweise auf William Goldings Herr der Fliegen oder Of Mice and Men sowie Ähnlichkeiten mit Darren Aronowskys Film Pi.
- In der Serie Gilmore Girls ist Rory fast immer mit einem Buch in der Hand zu sehen, hier gibt es sogar eine Liste all ihrer Bücher.
- Im Roman 1Q84 von Haruki Murakami kommt Die Stadt der Katzen vor. Dort ist dies angeblich die Kurzgeschichte eines deutschen Autors, nach kurzer Recherche stellt sich der Titel als dystopischer Roman eines Chinesen heraus.
- Die Serie Californication bedient sich in der ersten Staffel des Lolita-Stoffs und adaptiert in der zweiten Staffel The Great Gatsby am Leben des fiktiven Rockstars und Produzenten Lew Ashby. Zudem finden sich Parallelen zwischen der Hauptfigur Hank Moody und dem Schriftsteller Charles Bukowski.
In gleicher Weise funktioniert dieses System, wenn man sich mit den literarischen Vorbildern, Einflüssen und Traditionen von Autoren beschäftigt und damit auf neue Autoren stößt.
Vom Bücherdschungel zur Bücherwiese
Wege, die zu neuer Literatur führen, gibt es viele. Sie mögen vielleicht einem Irrgarten gleichen, doch in Sackgassen landet man dabei nicht, weil sich immer Kreuzungen, Abzweigungen und Umwege finden. Orientierungsgrößen bieten dabei jeder auf seine Weise: Der klassische Feuilleton mit Rezensionen (Online, Print, TV oder Podcast), Bücherblogs und –communities mit Rezensionen und Diskussionen, Verlage über ihre Vorschauen, Newsletter und Facebook-Seiten, der Börsenverein des deutschen Buchhandels und der Buchhandel selbst über Buchpreise, Thementische, Empfehlungen und Verkaufsaktionen.
* Diese Zeile aus der Überschrift stammt aus dem Lied „Wer von euch“ von Juli – womit wir beim nächsten Querverweis wären ;)