Zwischen den Jahren 1962 und 2005 hat sich die beschauliche Einmillionenstadt München selbst mit dem Titel "Weltstadt mit Herz" ausgezeichnet. Neben tatsächlichen Weltstädten wie Mumbai oder Istanbul mit jeweils weit mehr als 12 Millionen Einwohnern erscheint dieser Begriff im Bezug auf München jedoch leicht überdimensioniert. Es lässt sich eigentlich nur festhalten, dass es dort immerhin einen ganz passablen Fußballverein gibt. Das Herz bedeutet in der bayrischen Landeshauptstadt schon etwas mehr: Vor allem Biergärten, Gemütlichkeit und Frischgezapftes. Als im Mai 1992 der Flughafen Franz Josef Strauß in Betrieb genommen wurde, konnte man ihn trotz der rings um die Isarauen ausgelebten Genusssucht nicht einfach mit "aviatische Bierauslieferungsroute" betiteln. Nein, der Beiname des neuen Münchner Flughafens sollte - ebenso wie der Slogan für die Stadt selbst - die herausragende und in erster Linie von den Bayern wahrgenommene weltpolitische Rolle der Alpenrepublik deutlich machen. Und so entschied man sich, das Fleckchen trockengelegten Sumpfgebiets nord-östlich vor München in Zukunft "Bayerns Tor zur Welt" zu nennen.
Aber so ein Tor führt nicht nur von innen raus, sondern eben auch von draußen rein. Denn man kann mittlerweile von überallher quasi direkt aufs Oktoberfest fliegen. Und dank des australischen Onlineshops Schnucki.com können alle lebkuchenherzliebenden Rileys, Ethans und Jacks ihre Lederhosen, Trachtenjanker und Hirschhornknöpfe mittlerweile vorab in Down Under bestellen. Schnucki.com bietet für ganz eilige Australier sogar Oktoberfest-Sets an. Nicht lange fackeln, Lederhosenmodell Florian plus Traditional Chequered Shirt in der Wunschfarbe wählen und den Bayernbua auf Mausklick von Brisbane nach Sydney liefern lassen. Für ihren großen Auftritt auf der Wiesn stülpen sich die stolzen Freizeitbayern ihre Loferl über die Aussie-Wadeln und fragen sich in seltsamen Gummizug-Hosen, die latent an vollgekackte Babywindeln erinnern und mit einer gscheiden Lederhosn absolut nichts gemeinsam haben, ob denn der alte Holzmichl noch lebt. Doch durch Bayerns Tor zur Welt flanieren zur Wiesenzeit nicht nur gamsbebartete Australier. Sondern auch zierliche Japanerinnen, die in neonfarbenen Karo-Dirndln und College-Kniestrümpfen Bierkrug-Selfies mit ihren in Hello-Kitty-Hüllen gepferchten Iphones machen.
Spätestens wenn besagte Japanerinnen mit Riley, Ethan und Jack fröhlich auf der Bierbank "Ein Stern" vom lächerlich häckelbemützten DJ Ötzi grölen, sollte man sich fragen, ob das jetzt noch Tradition oder schon die weltgrößte Kostümparty ist. Denn wenn 90% aller Wiesnbesucher Trachträger sind und davon gefühlt 70% Touristen, dann hat das mit bayrischer Kultur wohl nichts mehr zu tun. Die Wiesn scheint sich zu einer Mottoparty entwickelt zu haben, auf der man höchstens 20 % Bayern antrifft. Das Traurige ist jedoch gar nicht, dass die bayrische Tracht als weltweit Einzige zum internationalen Exportschlager mutiert ist. Sondern dass man um richtig Spaß auf dem Oktoberfest zu haben anscheinend Japanerin sein oder einen australischen Onlineshop für süddeutsche Traditionskleidung betreiben muss.
In diesem Sinne: Oans, zwoa, drei, gsuffa!