Von Michaela Preiner
Akram Khan (Foto: Jean-Louis Fernandez) 21. Mai 2018 Tanz Er ist einer der Superstars des zeitgenössischen Tanzes und im Festspielhaus St. Pölten ein gerne gesehener Gast. 900 Millionen Menschen sahen eine Choreografie von ihm – 2012, bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in London. Der Tänzer und Choreograf Akram Khan gestaltete damals einen Part des großartigen Spektakels und dürfte mit dieser Zuschauerzahl im Tanzbusiness wohl einen Rekord halten. Nun begeisterte er das Publikum in seinem Abschieds-Solo mit dem Titel „Xenos“. Übersetzt bedeutet dies sowohl Gast als auch Fremder. Khan nahm dafür an einem britischen Projekt mit dem Titel 14-18 NOW teil, in dem künstlerische Arbeiten gefördert wurden, die Bezug zum 1. Weltkrieg aufweisen. Die Rolle von Soldaten in Indien, die für die britische Krone starben, ist beinahe vergessen, aber in „Xenos“ wird das Publikum daran erinnert.Wobei Akram Khan den Bogen der Interpretation weiter spannt. Denn gleich zu Beginn lässt er einen Text einspielen, in dem darauf hingewiesen wird, dass es sich nicht um einen Krieg handle, sondern um den Weltuntergang. Mit dem Percussionisten B C Manjunath und dem Sänger Aditya Prakash beginnt der Abend in einer indischen Klangwolke, die durch Donnergrollen und Lichtausfälle auf das bald einsetzende Chaos hinweist. Khan lässt in seinem ersten Auftritt einen jungen Mann zu diesen Klängen mit traditionellen, indischen Bewegungen tanzen und beeindruckt dabei mit einer ganzen Reihe von Pirouetten. Die Farbe Weiß des traditionellen Gewandes, das er trägt, verrät noch nichts vom kurz darauf einsetzenden Grauen, das den Mann am Ende in eine ganz andere Gestalt verwandeln wird. Die Glöckchen, die er an seinen Fußfesseln montiert hat, verwandeln sich bald, quer über die Brust gespannt, zum Symbol seiner aufgezwungenen, soldatischen Knechtschaft.
Akram Khan (Foto: Jean-Louis Fernandez) Akram Khan (Foto: Jean-Louis Fernandez) Eine Schräge, welche die Bühne in der Tiefe stark verkleinert, wird zu einem Hindernis, einer Hügelkuppe oder einem Abhang, von welchem beständig Gestein rollt. Auch dieses ist mit einer Symbolkraft aufgeladen. Die rollenden, kleinen Steine versteht man kurz vor Aufführungsschluss als Metapher für all die ungezählten Toten, die der 1. Weltkrieg forderte. Aber sie symbolisieren in der für Interpretationen offen angelegten Choreografie zugleich auch den unabdingbaren Tod aller Menschen.Die beeindruckende Bühnenlandschaft stammt von Mirella Weingarten und wird durch einen großartigen Lichteinsatz von Michael Hull ergänzt.
Harte Schläge, Maschinengewehrsalven, ein Lautsprecher, der sich in einen Suchscheinwerfer verwandelt – all das verweist direkt auf die kriegerischen Handlungen, in welchen Khan einen aussichtslosen Kampf ficht. Das Bühnenbild vermittelt permanente Instabilität, aber auch das Ausgesetztsein einer todbringenden Handlung unter freiem Himmel. Zweimal öffnet sich auch der Blick in eine Höhle, hoch über Akram Khans Kopf. In ihr spielen die beiden genannten Musiker gemeinsam mit Nina Harries, Andrew Maddick und Tamar Osborn anfangs traditionell Indisches. Je länger die Aufführung dauert, umso weiter entfernt sich Khan jedoch von der dezidierten, indischen Ausgangssituation. Als das Ende naht, wird Mozarts „Lacrimosa“ aus seinem Requiem, KV 626 angestimmt. Damit setzt er das Sterben in einen universellen Kontext, lässt aber auch die aufgezwungene, kulturelle Übernahme Indiens von den Briten unweigerlich mitschwingen. Die Musik steht nun für mehr als nur für die Trauer um die Gefallenen. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Abgesang auf unsere Welt.
Zu diesem Zeitpunkt trägt Khan, von Schmutz und Erde bedeckt, nur mehr eine Hose, die man von dem erdigen Surrounding nicht mehr optisch trennen kann. Der Kampf, den er am Ende kämpft, ist nicht mehr nur der eines Soldaten im 1. Weltkrieg. Es ist der Kampf gegen den Untergang der Welt an sich.
Akram Khan (Fotos: Jean-Louis Fernandez)Akram Khans „Xenos“ ist ein Stück, in dem er die Zerstörungskraft von Kriegen, aber auch die Kolonialisierung und die damit einhergehende Unterdrückung der kulturellen Traditionen der Besiegten anspricht. Es ist ein Abgesang über Zeiten und Kulturen hinweg, in dem das europäische „Ecce homo-Motiv“ universal lesbar wird. Sein Bühnen-Abschied trägt nichts Versöhnliches oder Hoffnungsfrohes in sich, sondern ist eine dunkle Dystopie, in welcher der Mensch unverschuldet Leid ertragen muss und in seiner Vergänglichkeit letztlich nicht einmal Spuren auf dieser Welt hinterlässt.
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